Jedes zweite Kind hat Probleme beim Sprechen: Eine Paderborner Logopädin gibt Tipps

Paderborn. Immer mehr Kinder und Jugendliche haben Probleme bei ihrer Sprachentwicklung. Im Kreis Paderborn ist mittlerweile jedes zweite Kind betroffen. Das belegen Zahlen der Schuleingangsuntersuchungen, die das Kreisgesundheitsamt Paderborn jährlich vornimmt. Untersucht werden dabei alle angehenden Grundschulkinder zwischen fünf und sieben Jahren.

Für 2024 nennt die Behörde auf NW-Anfrage eine erschreckende Zahl: 49,38 Prozent der untersuchten Kinder im Kreis Paderborn weisen einen Befund im Bereich von Sprach- und Sprechstörungen auf. Bereits in den Vorjahren war diese Tendenz zu erkennen: Seit 2021 (34,6 Prozent) stieg die Zahl der Kinder mit Sprach- und Sprechstörungen kontinuierlich (2022: 41,03 Prozent, 2023: 47,25 Prozent). Nun sei laut Gesundheitsamt ein neuer Höchstwert erreicht.

Diesen Trend beobachtet auch Wiebke Jansen, Logopädin und Lerntherapeutin in der im Juli eröffneten Logopädie-Praxis Provalea in Paderborn. &bdquo;Wir merken, dass in den letzten Jahren enorm viele Kinder neu dazugekommen sind, die nicht genügend Wörter sprechen“, sagt die 32-Jährige aus Delbrück, die zuvor als Logopädin in Münster tätig war.

Hat mein Kind eine Sprachstörung? Diese Signale sollten Eltern ernst nehmen

Im Alter von zwei Jahren sollte ein Kind laut der Expertin rund 50 Wörter kennen – wobei auch Geräusche wie ein &bdquo;Wuff Wuff“, das Bellen eines Hundes, dazu zählen. Weitere Indikatoren für eine Sprachproblematik, auf die Eltern achten können: &bdquo;Benutzt mein Kind verschiedene Wortarten?“ Werden nur einfache Worte, wie &bdquo;Mama“, &bdquo;Papa“, oder &bdquo;Tisch“, genutzt und Adjektive oder Verben vermieden, sei dies ein weiteres Warnzeichen. Auch eine Sprachunlust, wenn das Kind also lieber etwas zeigt statt zu sprechen, sei ein Signal.

Neben diesen Sprachproblemen im Bereich Wortschatz und Grammatik gibt es einen weiteren großen Bereich: die Sprechstörungen. Dazu zählen dann Probleme mit der Aussprache. Können Laute nicht gebildet werden oder werden sie vertauscht? &bdquo;Ein klassisches Beispiel ist das Lispeln“, sagt Jansen. Dabei könne der Laut mit der Zunge nicht richtig gebildet werden. &bdquo;Das sollten Kinder bis fünf Jahre können“, ordnet sie ein. Auch das Vertauschen von K und T sei ein häufig auftretendes Problem. &bdquo;Das sollten Kinder ab einem Alter von zweieinhalb Jahren schon können“, so die Expertin. Bei Auffälligkeiten sollten Eltern diese mit dem Kinderarzt besprechen. Logopädie könne dann als kassenärztliche Leistung verschrieben werden.

Worauf die vermehrten Sprach- und Sprechstörungen bei Kindern im Kreis Paderborn genau zurückzuführen sind, ist bisher nicht belegt. Sowohl das Gesundheitsamt Paderborn, als auch die Paderborner Logopädin nennen aber den gestiegenen Medienkonsum bzw. die Digitalisierung im Kinderzimmer als einen Grund. Die Expertin gibt fünf Tipps, wie Eltern ihre Kinder gezielt unterstützen können.

Tipp 1: Vom passiven Fernsehschauen ins aktive Sprechen leiten

Schon bei den Kleinsten ein beliebter Zeitvertreib: Sendungen wie die &bdquo;Paw Patrol“ oder &bdquo;Feuerwehrmann Sam“ werden oft schon im Kleinkindalter konsumiert. Das geschieht allerdings in einer passiven Form: Das Kind sitzt auf dem Sofa und schaut den bunten Bildern zu. &bdquo;Damit Sprache sich entwickeln kann, braucht es einen aktiven Part“, sagt Jansen. Fernsehen an sich müsse man nicht direkt verteufeln. Wichtig sei jedoch, das Kind auch ins aktive Sprechen zurückzuholen. Jansen gibt den Tipp, dass Eltern ihr Kind bei der Fernsehsendung konkret auf Dinge, die zu sehen sind, ansprechen: &bdquo;Hast du das hübsche rote Kleid gesehen?“ Auch das Nachspielen einer Fernsehsendung, vielleicht sogar mit eigenen Figuren, sei durchaus sinnvoll. &bdquo;Kinder können so das Gesehene spielerisch nacherzählen“, erklärt die Logopädin.

Tipp 2: Aussprache beim Vorlesen durch Überbetonung fördern

Nicht nur der Wortschatz eines Kindes wird beim Vorlesen gefördert. Kinder, die Probleme mit der Aussprache von bestimmten Sprachlauten haben, können beim Vorlesen die Wörter richtig hören. &bdquo;Der Problemlaut sollte dann besonders betont werden“, rät die Expertin. Auch könne die Fehlbetonung in ein Spiel eingebaut werden, ein in der Fachsprache sogenanntes korrektives Feedback soll dabei gegeben werden. &bdquo;Schau mal, da fährt ein Loller!“, können Eltern beispielsweise absichtlich falsch sagen. Das Kind soll dann lediglich zwischen richtig und falsch wählen. &bdquo;Kinder mögen es, ihre Eltern auch mal korrigieren zu können“, weiß Jansen. Wichtig sei dann, dass auch die korrekte Sprechweise noch zu hören ist: &bdquo;Genau, du meinst Roller.“

Tipp 3: Singen und &bdquo;Hoppe, hoppe Reiter“-Spielen übt Wortstruktur

Singen, Reime, Melodie – all das fördert laut Jansen aktiv Sprache. Und das ganz nebenbei. Die Melodie, die Betonung und die Rhythmik legen besonderes Augenmerk auf die Wortstruktur. Das Hören wird mit Klang und beim &bdquo;Hoppe, hoppe Reiter“ sogar mit Bewegung kombiniert. &bdquo;Man lernt einfach besser in Bewegung und die Kinder haben Spaß dabei“, sagt Jansen.

Tipp 4: Bei Lese- und Rechtschreibproblemen vom Arbeitsblatt wegkommen

&bdquo;Wir beobachten, dass Kinder, die Probleme im Bereich Wortschatz und Grammatik haben, im Grundschulalter häufig auch eine Lese- und Rechtschreibproblematik aufweisen“, so die Logopädin. Dann sei es wichtig, vom Arbeitsblatt wegzukommen. Die richtige Schreibweise – beispielsweise des Buchstaben B, bei dem Kinder den &bdquo;Bauch“ gerne mal falsch herum malen – können Eltern laut der Expertin auch anders zeigen als nur auf dem Papier. Den Buchstaben kneten, im Sand malen oder mit Nudeln legen – der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. &bdquo;Das lässt sich spielerisch auch super in den Alltag einbauen“, rät Jansen.

Tipp 5: Richtige Atmung durch die Nase mit Pustespielen trainieren

Besonders Kinder, die im Kindergartenalter häufig erkältet sind, können sich eine falsche Atmung aneignen. &bdquo;Das wird oft viel zu spät entdeckt“, erklärt Jansen. Ein vermehrtes Atmen durch den Mund könne laut der Expertin zu einer falschen Haltung der Zunge führen. Daraus können wiederum Fehlstellungen von Gaumen und Zähnen sowie Probleme in der Aussprache resultieren. &bdquo;Das entdeckt dann spätestens der Kieferorthopäde, wenn es um eine Zahnspange geht“, sagt Jansen.

Um eine falsche Atmung schon frühzeitig zu vermeiden, empfiehlt sie Pustespiele. &bdquo;Während einer Erkältung, wenn die Nase zu sitzt, darf das Kind natürlich auch durch den Mund atmen“, im Anschluss sollte aber wieder durch die Nase geatmet werden. Das könne etwa mit einem Wattebausch-Duell geübt werden – die Watte darf dabei nur mit dem Luftstoß aus der Nase über den Tisch ins Ziel geschoben werden. Auch Ansaugspiele mit einem Strohhalm, wo die Watte von A nach B transportiert werden muss, trainieren die richtige Haltung der Zunge, ebenso wie das Schnalzen.

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