Bevölkerungsschwund auf dem Dorf: Was sich in ländlichen OWL-Kommunen ändern muss

Die Bevölkerungszahlen in Ostwestfalen-Lippe weisen in eine Richtung: nach unten. Fast überall. Und das kann Folgen für alle haben, besonders aber für die ländlichen Kommunen, wo die Bevölkerungsentwicklung besonders negativ ist. Davon ist der Bevölkerungswissenschaftler Carsten Sauer von der Uni Bielefeld überzeugt. Aber er hat auch Ideen, wie Städte und Dörfer dem Bevölkerungsschwund entgegenwirken können.

&bdquo;Die Geburtenrate geht in allen OECD-Staaten seit Jahren substanziell zurück. Nur die Universitätsstädte wachsen“, stellt Sauer fest. Das gilt auch für OWL. Besonders die Kreise Höxter und Lippe werden in den kommenden Jahren deutlich schrumpfen, lediglich Bielefeld wächst den Prognosen zufolge.

Sauer: &bdquo;Wenn wie im Kreis Höxter im Jahr 1960 noch 3.000 Kinder geboren wurden und 2020 nur noch 1.000, dann leben nicht mehr genug Menschen dort, um die Todesfälle auszugleichen.“ Denn verschärfend käme hinzu, dass viele Leute aus solchen Regionen wegzögen. Die alte Bundeshauptstadt Bonn dagegen gleiche die niedrigste Geburtenrate in ganz NRW mit dem größten Zuzug aus und wachse deshalb. Und die, die dort leben, bleiben. Ähnliches gilt für Münster.

Geburtenrate in Bielefeld ist zu niedrig Entsprechend müsse es Bielefeld gelingen, die einmal Zugewanderten zu halten. Denn allein mit der Geburtenrate von nur 1,36 pro Frau wird das Oberzentrum seine Bevölkerungszahl nicht halten können. Dafür sind laut Statistik 2,1 Geburten erforderlich.

Nach Bielefeld kämen viele junge Menschen wegen des Studiums an einer der Hochschulen. Sie nach dem Abschluss mit attraktiven Arbeitsplätzen zu versorgen, ihren Familien gute Kita- und Schulplätze anzubieten (wo nicht nur verwahrt werde) sowie für interessante Freizeitmöglichkeiten und Infrastruktur zu sorgen, seien Hebel, die Menschen in der Stadt zu halten, so der Hochschullehrer und Forscher.

Sauer: &bdquo;Die zentrale Frage ist, wie wird das Leben für Familien so lebenswert und einfach, dass sie sich nach dem ersten Kind noch ein zweites wünschen.“ Frust mit der Kita und/oder der Grundschule steigere diesen Wunsch nicht. Auf die Spitze getrieben: &bdquo;Die Kommunen müssen dafür sorgen, dass Kinder zum Genuss werden.“ Da sei sogar ein Angebot wie der Heimattierpark Olderdissen ein Faktor.

Das sind wichtige Faktoren, damit Familien bleiben Auch Schwimmbäder, Spielplätze und Naherholungsgebiete seien wichtig. Was für kleine Kommunen auf dem Land angesichts knapper Mittel immer schwieriger wird. Kinder bekomme man übrigens in einer Lebensphase, in der es finanziell noch nicht so laufe. Entsprechend seien das Wohnungsangebot und damit die Wohnkosten entscheidend. &bdquo;Da sollte die Stadtentwicklung ansetzen und positive Anreize schaffen.“

Natürlich kommen gute Arbeitsmöglichkeiten dazu. Wer nach dem Studium fix einen klasse Job am Studienort findet, wandert nicht ab. Und da macht die Industrie- und Handelskammer dem ländlichen Raum in OWL Hoffnung. Im Kreis Höxter ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze von 40.632 im Jahr 2000 auf 45.335 im Jahr 2024 gestiegen. In Minden-Lübbecke von 109.866 gar auf 135.558. Ein nicht so hoher Anstieg wie in Bielefeld und Paderborn, aber geht doch.

.responsive23-aNgdHCRpFyJwhjJ8-choro-bevoelkerungsentwicklung-owl-bis { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-aNgdHCRpFyJwhjJ8-choro-bevoelkerungsentwicklung-owl-bis { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-aNgdHCRpFyJwhjJ8-choro-bevoelkerungsentwicklung-owl-bis { padding-top: 166.67%; } } Auch für die Zukunft sieht Gerald Staacke, IHK-Referent für Stadt- und Regionalplanung keinesfalls schwarz. Die Regionalplanung habe insbesondere dem ländlichen Raum in Ostwestfalen reichlich freie Flächen zur Ansiedelung von Unternehmen ermöglicht, bei denen die &bdquo;strategische Umweltprüfung“ bereits abgeschlossen sei. &bdquo;Für wirtschaftliche Entwicklung sind die ländlichen Räume prädestiniert“, sagt Staacke.

Verl betreibt langfristige Gewerbeflächen-Planung Dafür müssten die Städte und Gemeinden nur langfristig klug planen und zusammenarbeiten. Staacke: &bdquo;Das machen die allerdings unterschiedlich gut.“ Schlechte Beispiele mag er nicht nennen. Aber die Stadt Verl habe vor langer Zeit sehr langfristig Gewerbeflächen-Planung betrieben und habe damit Erfolg.

Immerhin stellt eine Broschüre der Deutschen Industrie- und Handelskammer fest: &bdquo;Ländliche Räume sind ein wichtiger, aber oft unterschätzter Bestandteil der Wirtschaft in Deutschland.“ Nach diesen Angaben liegt deren Anteil an der industriellen Wertschöpfung bei knapp zwei Dritteln. Das mag daran liegen, dass 91 Prozent der gesamten Fläche des Bundesgebietes zum ländlichen Raum gezählt werden. Das relativiert die Quote. Außerdem bleibt das Thema Verkehrsinfrastruktur.

Mit all diesen Angeboten und Aufgaben tut sich der ländliche Raum indes schwer. Ja, es ist ruhig und grün, die Wohnkosten sind niedrig, Jobs gibt es auch, wenn auch oft nicht genug, wie Pendlerströme zeigen. Dementsprechend genügt &bdquo;grün und günstig“ allein nicht. Im Kreis Höxter gibt es nicht mal mehr eine Disco, wie persönliche Berichte von Höxteranern und Suchanfragen im Internet zeigen.

Das sind die Folgen für Kommunen Der Bevölkerungsverlust hat Folgen auf allen Ebenen. Bis zum Tod. Die Infrastruktur schrumpft – von den Hausärzten, über Kneipen und Arbeitsplätzen bis zur Pflegemöglichkeit.

Wird allgemein davon ausgegangen, dass ein Hausarzt in Deutschland 1.264 Menschen versorgt, ist im südöstlichen Kreis von OWL ein Hausarzt für 1.639 Patientinnen und Patienten zuständig. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung praktizieren im Kreis nur 61 Haus- und Fachärzte. Mit dem &bdquo;Gesundheitsnetz Höxter“ wollen die dortigen Mediziner dem Problem entgegenwirken.

Nachbesetzung von Arztsitzen wird schwieriger Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe stellt fest: &bdquo;Generell lässt sich in diesem Zusammenhang sagen, dass die Nachbesetzung von Arztsitzen in vielen Regionen – vor allem im ländlichen Bereich – schwieriger wird, weil sich nicht mehr so viele junge Medizinerinnen und Mediziner für eine (eigene) Praxis entscheiden.“

Und in der Pflege ist es im ländlichen Raum nicht besser. Bodo de Vries, beim Johanneswerk in Bielefeld für die Pflege verantwortlich: &bdquo;Als Single im ländlichen Raum zu hoffen, im Alter gepflegt zu werden, ist naiv.“ Und in Höxter sind schon heute vergleichsweise viele Menschen pflegebedürftig. Junge sind abgewandert, die älteren bleiben zurück. Familiäre Hilfsstrukturen werden weniger.

Nachbarschaftshilfe als Alternativmodell Für Pflegedienste lohne sich der Aufwand mit den weiten Strecken nicht. Entsprechend schlägt Experte de Vries ein Netz von Nachbarschaftshilfen vor, um richtige Pflege so lange wie möglich hinauszuzögern. Er appelliert damit auch an ein Gemeinschaftsgefühl der Menschen, das in Dörfern bekanntlich meist größer ist. Noch ein Vorteil.

Demograf Carsten Sauer sieht entsprechend auch Chancen. &bdquo;Ich sehe Potenzial in der Krise. Das liegt aber nicht auf der Hand.“ Keinesfalls dürften Land und Kommunen gegen den Trend ansparen. Es gehe um gutes Wohnen ohne Verlust an Lebensqualität. Deshalb müsse in die Infrastruktur für Familien investiert werden.

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