Spiele mit Pfiff: Schneeballschlacht auf dem Tivoli

Kreis Lippe/Lage. Ohne einen Unparteiischen geht es nicht. Das erkannten die Detmolder Fußballer bereits vor 100 Jahren: Es gründete sich 1919/1920 die Schiedsrichtervereinigung, die heute unter der Führung von Udo Schlingmann (56) steht. Der Loßbrucher, der für Fortuna Schlangen pfeift: &bdquo;108 Aktive stehen auf meiner Liste – offiziell. Wenn alle regelmäßig pfeifen würden, kämen wir gut klar." Die Realität sehe jedoch anders aus.Die Entwicklung kann Ernst-Albrecht Kuhlmann (76) aus Lage, früher in der Fußball-Bundesliga als Linienrichter unterwegs, gut einschätzen: &bdquo;Die Akzeptanz des Schiedsrichters war früher besser." Die LZ traf die beiden am Werreanger in Lage.

Das Jubiläum: &bdquo;100 ist schon eine besondere Zahl. Wir wollen mit den Vereinen und Schiedsrichtern zusammenkommen, uns austauschen. Für die Schiedsrichter hat es lange kein Fest gegeben", sagt Schlingmann. Doch Corona mache einen Strich durch die Rechnung: &bdquo;Die Gewinnung von Sponsoren für die Chronik gestaltet sich schwierig. Im November wollen wir im Kohlpott in Pivitsheide feiern. Ob das klappt?" Geplant sei auch eine Schulung mit einem prominenten Schiedsrichter: &bdquo;Juli, August war angedacht, nun eventuell im November. Uns ist klar, dass alles ausfallen könnte."

Die Entwicklung: Eine große Bedeutung habe die Jugend. &bdquo;Wir wollen sie fördern, ihr eine Perspektive aufzeigen und feiern auch Erfolge. Aber leider ist nur auf zirka ein Drittel von ihnen Verlass", berichtet Schlingmann. Und auf dem Feld? Ernst-Albrecht Kuhlmann: &bdquo;Meckern gab es früher auch, nur da haben andere, Zuschauer oder Offizielle, diesen Leuten in den A.... getreten." Schlingmann beobachtet: &bdquo;Die Tonart hat sich verändert – von Spielern und Zuschauern. Bei einer Schulung machten wir darauf aufmerksam, dass Verantwortliche Übeltäter ruhig stellen oder Trainer diese Spieler auswechseln sollen." Und: &bdquo;Die Zahl bei den Anwärterlehrgängen geht weiter nach unten."

Der Reiz: &bdquo;Mir macht es einfach Spaß, mit Teams zu korrespondieren, bei 100 Spielern gibt es mit zwei, drei Probleme. Meistens läuft es im Rahmen", sagt Kuhlmann, der 2021 50 Jahre dabei ist: &bdquo;Dann höre ich auf." Schlingmann widerspricht: &bdquo;Darüber reden wir nochmal..." Der Vorsitzende des Kreisschiedsrichter-Ausschusses streicht die Persönlichkeitsentwicklung hervor: &bdquo;Du stärkst dich als Mensch, bewegst dich und kannst dann trainieren, wenn du Lust und Zeit hast. Unter anderem bei Bundesliga-Spielen zahlst du keinen Eintritt."

Kuhlmanns Bundesliga-Zeit: &bdquo;Ich erinnere mich gerne an die vollen Stadien im Berliner Olympiastadion, im Niedersachsenstadion in Hannover oder auf dem Aachener Tivoli. Wir hatten nur eine Fahne, die heutige Generation besitzt ja ganz andere Möglichkeiten", sagt Kuhlmann. Schlingmann hakt ein: &bdquo;Das Spiel war doch auch viel langsamer..." Unvergessen ist für Ernst-Albrecht Kuhlmann eine Partie zwischen Aachen und Braunschweig: &bdquo;Auf einmal fing es an zu schneien, die Zuschauer bewarfen uns mit Schneebällen. Nach einer Stadiondurchsage mit der Bitte, dies zu unterlassen, ging es erst richtig los. Aber auch diese Partie brachten wir über die Bühne."

Die aktuelle Situation: &bdquo;Zirka 90 unserer 108 Schiedsrichter stehen wirklich regelmäßig zur Verfügung. Es gibt Kollegen, die 90 Partien in einer Serie leiten, zur Halbserie stand einer bei 65 Begegnungen", so Schlingmann. Schulungen seien Pflicht, der Schiedsrichter-Ausschuss entscheide, wann jemand von der Liste gestrichen wird: &bdquo;Wir sind großzügig." Mit Nils Hasse (Lügde) und Jan Ole Krüger (Diestelbruch), die in der Landesliga pfeifen und im Kader für die Westfalenliga stehen, gibt es eine Spitze. Der Hiddeser Henry Schröder (16) sei ein &bdquo;großes Talent, der Bezirksliga-Aufstieg ist für ihn bereits möglich". Aber: &bdquo;Für die Breite brauchen wir mehr junge Leute."

Das Finanzielle: 24 Euro pro Spiel plus Fahrtkosten für die Schiris gibt es, Schlingmann findet das &bdquo;in Ordnung". Pro fehlenden Schiedsrichter zahlen die Klubs 250 Euro, dazu 20 Euro Strafe, wenn einer nicht zu den monatlichen Schulungen – insgesamt sieben im Jahr – erscheint. Schlingmann: &bdquo;Fallen die Klubs unter eine Quote von 60 Prozent, gibt es nochmal 50 Prozent Aufschlag." Der Vorsitzende des Kreisschiedsrichter-Ausschuss stuft die Höhe der Strafen als zu gering ein, sagt: &bdquo;Eigentlich schon."

Die Vereine: &bdquo;Sie machen zu wenig, wir benötigen Unterstützung, vor allem qualifizierte Leute", stellt Ernst-Albrecht Kuhlmann heraus. Und Schlingmann ergänzt: &bdquo;Neue Leute bekommen wir meist nur, wenn Schiedsrichterkollegen Freunde oder Bekannte ansprechen." Wichtig sei, dass &bdquo;der Spaß für den Fußball da ist. Natürlich ist es leichter, ein Spiel zu leiten, wenn du selber gespielt hast und das Spiel verstehst."

Die Zukunft: &bdquo;Wir könnten Schwierigkeiten bekommen", weiß Schlingmann: &bdquo;Ein großes Problem sind Beleidigungen, die es inzwischen auch in der Kabine und in den sozialen Netzwerken gibt. Das schreckt einige ab. Früher hast du dich nach dem Spiel Auge in Auge unterhalten, ein Bier betrunken. Dann war alles vergessen."

Persönlich Udo Schlingmann: Der 56-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Loßbruch: &bdquo;Weil Fortuna Schlangen Schiedsrichter brauchte, bin ich 1982 eingestiegen, habe den Schritt aber nie bereut. Vorher hatte ich lange Jugendbetreuung gemacht." Seit 2014 ist Schlingmann Vorsitzender des Detmolder Kreisfußball-Ausschusses, der Maler und Lackierer arbeitet in einer Tischlerei.

Ernst-Albrecht Kuhlmann: &bdquo;Ich wollte die Fußballwelt besser und fairer machen. Deshalb wurde ich Schiedsrichter." Das sagt der 76-jährige Lagenser, der für FSG 95 Waddenhausen/Pottenhausen in der Kreisliga aktiv ist. Früher fungierte er in der Fußball-Bundesliga als Linienrichter. Kuhlmann lebt in Lage, arbeitete als Einkäufer, hat Frau, zwei Kinder und drei Enkelkinder.

100 Jahre Schiedsrichter in Detmold - Laut der Chronik gründeten zwischen 1910 und 1914 Männer in Lippe Fußball- und Leichtathletikvereine. Die Klubs (u.a. Teutonia Detmold, BSV Lemgo, SuS Lage, VfL Bad Salzuflen) wollten eigene Schiedsrichter, die Leitung der Spiele in Lippe erfolgte zunächst aus Bielefeld. 1919/1920 fanden sich Schiris in den Gruppen Detmold, Lage und Lemgo zusammen.

- Erster Obmann war Theo Lauhöfer, es folgten Scheffer (Detmold), Conrad Hesse (Heidenoldendorf), Mölling (Detmold), Fritz Mahlmann (Hiddesen), Willi Rau (Lage). Die Blomberger um Hartwig Ottolien hatten sich den Detmoldern noch vor Kriegsbeginn angeschlossen. Von 1933 bis 1938 fungierte Karl König in Detmold als Obmann, den noch vor Kriegsbeginn Willi Stock (Jerxen) ablöste.

- Nach Kriegsende nahmen Sprick, Stecker und Postert das Ruder in die Hand. Es entstanden vier Untergruppen.

- Weitere Schiri-Bosse: Karl Materna (Heiden, 1951-1956), Karl Ebert (Heidenoldendorf, 1957-1973), August Geise (Wahmbeck, 1973-1979), Eckhard Danhäuser (Heiligenkirchen, 1979-1989), Karl Heinz Blöhs (Diestelbruch, 1989-2001), Hans Wehr (Heiden, 2001-2004), Uwe Schnelle (Hörste, 2004-2006), Klaus Dieter Meier (Sabbenhausen, 2006-2014).

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