Dieter Schraer zieht beim Jüngsten-Turnier im Hintergrund die Strippen

Sebastian Lucas

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Der Arbeitsplatz von Dieter Schraer ist beim Jüngstentennis-Turnier vor dem Computer.
Foto: Sebastian Lucas - © Sebastian Lucas
Der Arbeitsplatz von Dieter Schraer ist beim Jüngstentennis-Turnier vor dem Computer. Foto: Sebastian Lucas (© Sebastian Lucas)

Lemgo. Vor Dieter Schraer liegt ein großer Magazin-Stapel vom Nationalen Deutschen Jüngstentennis-Turnier. Der 74-Jährige möchte für den Termin mit dem LZ-Redakteur 100-prozentig vorbereitet sein. „Ich weiß noch viel, aber alles habe ich nicht mehr im Kopf", erläutert der Dörentruper, dessen zweites Zuhause die Anlage des TC Blau-Weiß Lemgo zu sein scheint. Jahrzehntelang engagierte er sich im Verein und für das Jüngstentennis-Turnier. „Die Vereinsarbeit können nun Jüngere machen", findet der Rentner. Beim „größten Nachwuchsturnier Europas – uns ist kein anderes bekannt" – ist Schraer weiter mittendrin. Und zwar seit dem ersten Tag.

Ein kurzer Blick in die Unterlagen genügt, dann weiß er: Vom 29. bis 31. Juli 1977 fand die erste Auflage mit 272 Mädchen und Jungen in jeweils zwei Altersklassen statt. Rückblickend begann die Veranstaltung gleich mit mehreren Paukenschlägen. Die ersten Sieger bei den Jungs: Boris Becker (damals 9 Jahre) und Eric Jelen, mit dem die Tennis-Legende aus Leimen später jahrelang erfolgreich zusammen Doppel spielte.

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„An den kleinen Boris kann ich mich noch bestens erinnern. Er saß meistens am Teich und beobachtete die Vögel. Wenn er zur Turnierleitung kam, fragte er immer, ob er Schiedsrichter sein dürfe. Auf dem Platz rastete er manchmal aus, schrie und stampfte mit den Füßen auf den Boden. Auch wenn Becker seine berühmte Rolle bzw. den legendären Hecht in Lemgo noch nicht einsetzte, zeichnete sein Siegeswille ihn schon damals aus", blickt Schraer zurück: „Seine rot-blonden Haare fielen sofort allen auf."

Koderisch überrascht

Als Becker acht Jahre später den Olymp in Wimbledon erklomm und sich als jüngster Spieler aller Zeiten die Krone beim berühmtesten Tennisturnier der Welt aufsetzte, saß Schraer vor dem Fernseher: „Natürlich spürst du eine engere Beziehung als andere zu den Sportlern, die hier in Lippe aufschlugen. Wir verfolgen den Werdegang von allen ganz genau." Bei den Mädchen kam mit der Lagenserin Monika Schlegel vom TSV Oerlinghausen bei der Premiere eine Lipperin bis ins Endspiel und unterlag hier Regina Walter aus Fulda. Dass heimische Spieler bei der Traditionsveranstaltung, die bisher 43 Mal über die Bühne ging, bei der Vergabe der ersten Plätze eine Rolle spielten, war die Ausnahme. Der Lemgoer Christopher Koderisch blieb der bisher einzige aus dem Kreisgebiet, der triumphierte – und zwar 1996: „Das war eine große Überraschung", weiß Schraer.

Grafs tolle Technik

1979 und 1980 gewann Steffi Graf in Lippe, begleitet von ihrem Vater Peter: „Steffi war eine ganz ruhige, sehr sympathische Spielerin mit einer tollen Technik. Obwohl damals noch mit Holzschlägern gespielt wurde, traf sie den Ball immer am richtigen Punkt." Über die Jahre trugen sich unter anderem auch Alexander Zverev, Angelique Kerber, Sabine Lisicki und Tommy Haas in die Siegerliste ein.

Gründer und Initiator der Veranstaltung, die Schraer mit Wimbledon vergleicht („Jeder weiß, was sie bzw. ihn erwartet. Wir halten an der Ursprungsidee fest."), war Hans Bröer. Er wollte die Deutschen Tennis-Jugendmeisterschaften in Lippe etablieren. Schraer: „Der Deutsche Tennis-Bund zeigte kein Interesse, aber Hans wusste die Landesverbände und die Tennisclubs aus Bad Salzuflen, Lage, Detmold und Lemgo hinter sich."

Arbeit verändert sich

In den ersten Jahren zeichnete Dieter Schraer am Standort Lemgo mitverantwortlich, ab 1983 rückte er dann in die erste Reihe. Günther Berwinkel hieß als Vorsitzender des Tenniskreises bis 2005 der Chef, dann übernahmen Jürgen Rühle, Michael Koderisch und Schraer als gleichberechtigtes Trio. Auch Maximilian Kolowrat und Marc Kuchenbecker brachten sich ein. „Ein gutes Team ist das wichtigste, vor allem die Vereine vor Ort leisten ganz wichtige Arbeit", berichtet Dieter Schraer, dessen Schwerpunkt das Strippenziehen im Hintergrund war und ist.

Heute bildet Schraer gemeinsam mit Andreas Suermann und Kolowrat die Spitze des Fördervereins, dem die lippischen Tennisvereine angehören. Über die Jahre habe sich die Arbeit „sehr verändert", erzählt Dieter Schraer: „272 Teilnehmer waren damals ohne Internet und Computer eine riesengroße Herausforderung. Kommunikation war nur über Festnetztelefon möglich. Die Spielpläne hängten wir nachts auf." Zwischenzeitlich meldeten sogar 800 Kinder für das Jüngsten-Tennisturnier: „Optimal sind rund 700 Meldungen. Wir wollen eine Veranstaltung anbieten, die Kindern im Idealfall viermal in Folge, also von der U9 bis zur U12, richtig viel Spaß macht. Dass jedes Kind mindestens drei Partien bestreitet, ist seit Beginn an fest verankert."

"Gutes Wetter"

Wenn auf den 90 Plätzen in Lage, Detmold, Lemgo, Hiddesen, Bad Salzuflen, Herrentrup und Horn die Bälle fliegen, sitzt Schraer übrigens meistens vor dem Computer: „Den Spaß überlasse ich anderen", sagt Mr. Jüngstentennis-Turnier und schmunzelt. Dann packt er seine Hefte wieder ein und wünscht sich für das nächste Turnier? „Gutes Wetter. Bisher haben wir die Veranstaltungen immer über die Bühne bekommen, auch das soll sich nicht ändern."

Persönlich

Dieter Schraer kam 1959 nach Lemgo und trat kurze Zeit später in den TC BW Lemgo ein. „Ich bin aber nur Hobbyspieler gewesen, die Familie stand immer an erster Stelle", sagt der heute 74-Jährige, der im Export bei der Firma Staff (Leuchten) tätig war. Mit der Aufgabe verbunden waren viele Reisen ins Ausland. Im Vorstand des TC Blau-Weiß engagierte sich Dieter Schraer als Schriftführer (1972 bis 1980), Kassenwart (2016 bis 2019) und Vorsitzender (1981 bis 1989 sowie 2012 bis 2015). Mit seiner Frau Gisela, die das Jüngstenturnier ebenfalls immer unterstützt hat, lebt Dieter Schraer in Dörentrup. Das Paar hat keine Kinder.

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