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Wenn der Wahlzettel zur Einbahnstraße wird

Stefan Boscher

Wann ist eine richtige Wahl? Reicht dafür ein Kandidat bzw. eine Kandidatin? - © picture alliance/dpa
Wann ist eine richtige Wahl? Reicht dafür ein Kandidat bzw. eine Kandidatin? (© picture alliance/dpa)

In mehreren Städten und Gemeinden in Ostwestfalen-Lippe wird die Kommunalwahl im September zur Farce: Für das Amt des Bürgermeisters gibt es jeweils nur eine Bewerberin oder einen Bewerber – oft den Amtsinhaber. Keine Gegenkandidaten, kein Wahlkampf und damit kein demokratischer Wettstreit. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen zwar ein Kreuz machen, aber eine echte Auswahl haben sie nicht. Was sagt das über den Zustand unserer Demokratie und über die Parteien vor Ort?

Natürlich kann es Gründe geben, warum ein Bürgermeisterkandidat allein auf dem Stimmzettel steht: Zufriedenheit mit der bisherigen Amtsführung, mangelnde Erfolgsaussichten für Herausforderer oder politische Trägheit.

Doch in einer lebendigen Demokratie sollten solche Situationen die Ausnahme sein, nicht die Regel. Denn Demokratie lebt nicht vom Konsens, sondern vom Diskurs. Sie braucht Alternativen. Und sie braucht den Wettbewerb.

Warum gibt es keine Gegenkandidaten? Aus Bequemlichkeit?

Wenn dieser Wettbewerb ausbleibt, liegt das nicht nur an fehlendem Interesse in der Bevölkerung. Es ist vor allem das Versäumnis der Parteien. Es ist ihre Aufgabe, Debatten anzustoßen und Menschen für politische Verantwortung zu gewinnen. Passiert das nicht, herrscht Passivität. Man lässt den Amtsinhaber gewähren, sei es aus Bequemlichkeit, parteitaktischem Kalkül oder schlichtweg, weil man niemanden mehr findet, der bereit ist, sich der Herausforderung zu stellen.

Parteien haben sich vielerorts aus der Fläche zurückgezogen mit der Folge, dass Ortsvereine zusammengelegt werden und Strukturen bröckeln. Die Fähigkeit, glaubwürdige, kompetente Kandidatinnen und Kandidaten zu entwickeln, scheint verlorengegangen. Dabei wäre gerade das Bürgermeisteramt ideal geeignet, um politisches Engagement zu fördern und junge Talente aufzubauen. Doch stattdessen ducken sich die Parteien weg.

Noch beunruhigender ist, dass selbst große Volksparteien nicht mehr den Anspruch erheben, überall Alternativen anbieten zu müssen. Es genügt offenbar, wenn der eigene Mann oder die eigene Frau „ganz gut“ funktioniert. Doch die Demokratie lebt nicht vom Funktionieren allein.

Der Druck ist hoch, der Ton rau

Demokratie lebt vom Mitmachen und vom Ringen um Ideen. Das ist der Job der Parteien. Wenn sie diese Rolle nicht mehr wahrnehmen, wird das Fundament unserer politischen Ordnung brüchig.

Zugegeben: Es ist nicht einfach, Menschen für kommunalpolitische Spitzenämter zu gewinnen. Der Druck ist hoch, der Ton rauer geworden, gerade in sozialen Medien. Wer Bürgermeister wird, übernimmt nicht nur Verantwortung, sondern setzt sich auch öffentlicher Kritik und oft auch persönlichen Anfeindungen aus. Aber genau hier wären die Parteien gefordert.

Wenn im September an mindestens sieben Orten in OWL nur ein Name auf dem Wahlzettel steht, ist das keine Marginalie. Es ist ein Warnsignal. Demokratie ohne Wahl ist keine. Sie verkommt zur Verwaltung des Bestehenden, zur Absegnung des Status quo. Und das ist nicht nur ein Problem für die Bürgerinnen und Bürger – es ist vor allem ein Offenbarungseid der Parteien, die ihre wichtigste Aufgabe aus dem Blick verloren haben: den demokratischen Wettbewerb zu organisieren und mit Leben zu füllen.

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