Ärztemangel in Augustdorf: „Wir müssen uns selbst kümmern“

Augustdorf. Ende 2022 werden voraussichtlich vier der fünf Augustdorfer Hausärzte in den wohl verdienten Ruhestand gehen. Nachfolger haben sie bislang nicht gefunden. Wolfgang Huppke sitzt für die CDU im Sozialausschuss des Kreises. Zusammen mit Maria Raschke aus der Praxis von Dr. Werner Raschke, ihres Mannes, engagiert er sich im Arbeitskreis &bdquo;Ärztenotstand". Auf dessen Initiative kommt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann am Montag, 23. März, um 18.30 Uhr ins Rathaus der Sennegemeinde. Zu der Veranstaltung sind alle Bürger eingeladen. Mit der LZ sprachen Raschke und Huppke über weitere Wege, eine Lösung zu finden.

Herr Huppke, wie kommen Sie dazu, sich so für das Thema Gesundheit einzusetzen?

Maria Raschke: Ich habe Wolfgang Huppke angesprochen, weil er gute Kontakte hat. Ich habe damals gedacht, wir müssen etwas unternehmen. Ich hatte das Gefühl, es merkt keiner, was für eine Welle auf uns zukommt.

Wie ist denn die aktuelle Lage?

Wolfgang Huppke: Die Praxen haben sich bemüht, Nachfolger zu finden. Das ist zur Zeit aber nicht möglich, weil in Deutschland etwa 10.000 Ärzte gesucht werden. Wir haben ungefähr 390.000 Ärzte, aber davon sind 47,2 Prozent Frauen, die nur in Teilzeit arbeiten. Viele dieser Ärzte sind im Angestelltenverhältnis. Sie möchten mit Blick auf ihre Work-Life-Balance keine Praxis führen.

Raschke: Augustdorf ist sehr langgezogen. Dadurch haben viele gar nicht die Möglichkeit, in die Praxen zu kommen und wir müssen viele Hausbesuche machen. Außerdem muss das Altenzentrum versorgt werden. Es gibt Familien, die wir über Jahrzehnte kennen. Die älteren Menschen haben teilweise Tränen in den Augen, weil sie sich Sorgen um die Versorgung machen. Wir möchten sie doch gut versorgt wissen. Es ist eben kein Beruf, wo man den Schlüssel abzieht und sagt: ,Seht zu, wie ihr klarkommt.’

Arbeiten Sie momentan an der Kapazitätsgrenze?

Raschke: Wir haben schon einen Aufnahmestopp für Patienten. Wir können einfach nicht mehr schaffen.

Was wäre ihr Wunsch für die Nachfolge?

Raschke: Unser Wunsch ist, dass sich jemand findet, der erst einmal mit einsteigt. Er kann auch vorher hospitieren oder erst als Angestellter mit einsteigen. Wir sind für alles offen.

Womit könnte Augustdorf denn bei Ärzten punkten?

Raschke: Augustdorf ist familienfreundlich: Es gibt sieben Kindergärten, die Realschule, zwei Grundschulen, zehn Tagesmütter. Wir haben super Ausflugsziele drum herum und eine gute Verkehrsanbindung.

Huppke: Außerdem haben wir ohne Ende kulturelle Angebote im Umfeld. Wir haben eine gute Infrastruktur der Praxen. Die Doppelpraxis der Familie Raschke steht als Wohnhaus zur Verfügung. Die Praxis von Dr. Neagu ist ein angemietetes Objekt, was ebenfalls weiter zur Verfügung steht. Beide liegen zentral im Ort und haben gut geschultes Personal.

Raschke: Wenn man über 30 Jahre hier arbeitet wie wir, ist das Personal schon fast Familie.

Was halten Sie von dem Vorschlag der Freien Wähler ein Ärztehaus zu errichten?

Huppke: Das ist aktuell illusorisch. Erst brauchen wir Ärzte und dann kann man sich über solche Dinge unterhalten. Ein Beispiel: Wir haben in Rheinland-Pfalz eine Vergleichskommune, die vor ein paar Jahren ein Ärztezentrum als Vorzeigeprojekt präsentiert hat. Jetzt machen die im Quartal fünfstellige Minusbeträge. Außerdem, wer will so etwas leiten? Die Gemeinde kann es nicht – aus wirtschaftlichen Gründen.

Also ist das keine Alternative.

Huppke: Plan A ist schnellstmöglich Nachfolger zu finden, die in die Praxen kommen und die Übergänge sicherstellen. Plan B ist die kassenärztliche Vereinigung in die Pflicht zu nehmen. Dann müssen wir überlegen, wie wir Strukturen finden, die in einer gewissen Übergangsphase die Versorgung sicherstellen können. Wir könnten zum Beispiel Praxen zeitlich befristet besetzen.

Ist die kassenärztliche Vereinigung auf Sie zugekommen?

Huppke: Dr. Hans-Christian Körner war bei der ersten Veranstaltung unseres Arbeitskreises. Er hat gesagt, dass einfach keine Ärzte da seien. Deswegen könne die Kassenärztliche Vereinigung auch nicht steuernd eingreifen.

Raschke: Wir müssen uns selbst kümmern.

Huppke: Aber wir sind dringend auf Hilfe angewiesen. Es sind auch andere in der Pflicht, diese Ärzte mal von ihrer Versorgungspflicht zu entlasten. Man kann diesen Menschen nicht zumuten, bis 70 Jahre oder länger zu arbeiten. Aber auch der neue Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, Dr. Spelmeyer, hat seinen Besuch angekündigt. Er hat gute Ideen und darauf setzen wir.

Was haben Sie denn bisher schon unternommen?

Raschke: Wir haben uns gefragt, warum niemand aufs Land gehen möchte. Wir denken, wir müssen den Beruf des Landarztes attraktiver darstellen. Es hat sich so viel für Landärzte verbessert, zum Beispiel gibt es jetzt den freien Freitagnachmittag oder den zentralen Notdienst. Darum verstehen wir dieses negative Image nicht.

Huppke: Aus diesem Grund wollen wir uns bald durch eine Werbemaßnahme attraktiv darstellen, um das Interesse auf uns zu lenken.

Was erhoffen Sie sich von dem Besuch des Ministers?

Huppke: Wir erhoffen uns, dass er uns und den Bürgern sagt, was das Land zur Zeit gegen den Notstand unternimmt. Das Land NRW unterstützt ja zum Beispiel den Ärztenachwuchs finanziell in erheblichem Maß.

Wollen Sie die Werbung dann beim Besuch vorstellen?

Huppke: Ja, das ist die Zielsetzung. Das läuft über die Berufskollegs in Lemgo. Die Schüler unterstützen uns.

Welche Maßnahmen wurden noch ergriffen?

Huppke: Der Bürgermeister hat die Internetseite mit den Informationen fertiggestellt. Er hat auch mit dem Ärztenetzwerk und der Bundeswehr gesprochen. Das war leider nicht von Erfolg gekrönt. Deswegen liegt jetzt unsere Hoffnung darin, dass wir im Ärzteblatt mit einer auffälligen Anzeige ein bisschen Bewegung in die Sache bekommen. Ich erwähne immer gerne die Anzeige von einer jungen Bürgermeisterin, die eine Art Kontaktanzeige für die Suche nach einem Arzt für ihr Dorf geschaltet hatte. Es hat sich tatsächlich jemand gemeldet. Auch unser gemeinsamer Arbeitskreis ist gefragt, Ideen mit zu entwickeln.

Raschke: Viele sagen ja auch, es komme ja jetzt der Medizin-Campus in Bielefeld. Das ist für uns aber zu spät.

Das Interview führte Redakteurin Nadine Uphoff.

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