34 Schüsse in Salzuflen: Das steckt hinter dem Verzicht auf die Anklage gegen den Fahrer

Kreis Lippe. Zwei Jahre nach einer Verfolgungsfahrt, die in einer Salzufler Sackgasse mit 34 Polizeischüssen endete, hat die Staatsanwaltschaft Detmold nach Rücksprache mit dem zuständigen Amtsgericht Lemgo entschieden, keine Anklage gegen den seit dem Vorfall querschnittsgelähmten jungen Fahrer aus Herford (heute 22) zu erheben. Das teilte Staatsanwalt Alexander Görlitz am Mittwoch mit. Für die Verteidigung ist der Fall dennoch nicht ganz abgeschlossen.

Ausschlaggebend für die Entscheidung der Ermittlungsbehörde ist, dass der junge Beschuldigte sich zwar mit seiner Flucht vor einer Verkehrskontrolle und gefährlichen Fahrweise generell strafbar gemacht hat, durch die abgegebenen Schüsse der Polizisten aber selbst &bdquo; eine schwere und andauernde Querschnittslähmung erlitt“. Eine Strafe sei daher mit Blick auf diese gravierenden gesundheitlichen Folgen nicht verhältnismäßig, heißt es.

Aus Sicht der Ermittler wäre jede strafrechtliche Sanktion gegen den inzwischen 22-Jährigen &bdquo;verfehlt und pädagogisch nicht mehr sinnvoll“, erklärt Görlitz, zumal für den Herforder das Jugendstrafrecht gelte und hier der Erziehungsgedanke im Fokus stehe.

Genauso sieht es auch Verteidiger Roj Khalaf aus Würzburg, der den Beschuldigten von Beginn an vertritt. Der Verteidiger hatte eigenen Angaben nach Anfang Juli ebenfalls beantragt, das Verfahren unter diesem Aspekt einzustellen. Laut Staatsanwaltschaft fiel die Entscheidung am Ende aus Amts wegen.

&bdquo;Lieber Gefängnisstrafe als lebenslang im Rollstuhl“ Khalaf ist überzeugt, dass es im Falle eines Prozesses wegen versuchten Mordes für seinen Mandanten einen Freispruch gegeben hätte, mit dem Verzicht auf die Anklage ist er dennoch zufrieden. Soweit er das sein kann, schließlich wiegen die Folgen für seinen Mandanten schwer: &bdquo;Selbst wenn es zu einer Verurteilung gekommen wäre, hätte mein Mandant genau wie jeder andere Jugendliche lieber das Jugendstrafrecht in all seinen Extremen zu spüren bekommen, als dass er sein Leben lang im Rollstuhl sitzen muss“, sagt Khalaf. Sein Mandant hätte demnach eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren der Querschnittslähmung vorgezogen. Eine Wahl hatte er nicht.

Der damals 19-Jährige war in der besagten Nacht am 3. Juni 2023 ohne Führerschein im Audi seiner Mutter in Herford teils ohne Licht unterwegs, als er vor einer allgemeinen Verkehrskontrolle entkommen wollte und Gas gab. Seine Flucht - verfolgt von einigen Streifenwagen - endete in einer knapp 20 Kilometer entfernten Sackgasse in Bad Salzuflen-Holzhausen.

Insgesamt 13 Polizeikräfte waren an dem Einsatz beteiligt, einige fürchteten offenbar um ihr Leben, als das Auto in der Sackgasse wendete, erneut Gas gab und dabei wohl auf die teils ausgestiegenen Polizisten zukam. Die Situation eskalierte: Vier Polizistinnen und zwei Polizisten feuerten 34 Kugeln auf den Audi, fünf trafen den 19-Jährigen, verletzten ihn lebensbedrohlich. Die außergewöhnliche Anzahl an Schüssen war damals ebenfalls Thema im NRW-Innenausschuss.

Zeitweise ermittelte die Staatsanwaltschaft Detmold gegen alle an den Schüssen beteiligten Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. Schließlich ließen sich die Kugeln, die den jungen Mann tatsächlich trafen, aber den Dienstwaffen zweier Polizeibeamter aus Herford zuordnen. Das Verfahren gegen die beiden Polizisten stellten die Ermittler Ende Mai endgültig ein. Es sei nicht auszuschließen, dass die Beamten aus Notwehr gehandelt hätten, hieß es.

Ermittler können Mordversuch nicht nachweisen Der zunächst parallel im Raum stehende Vorwurf des versuchten Mordes gegen den jungen Fahrer ließ sich am Ende ebenfalls nicht mehr halten, erklärt Staatsanwalt Alexander Görlitz. &bdquo;Man konnte nicht belegen, dass er den Tod der Polizisten billigend in Kauf genommen hätte. Vermutlich ging er davon aus, dass die Polizeibeamten noch ausweichen konnten.“ Die Ermittler hätten allerdings wegen diverser andere erheblicher Straftaten Anklage erheben können.

Die Liste ist lang: Dazu zählten ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr mit Verdeckungsabsicht, versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil mehrerer Polizeibeamter, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Durchführung eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens und vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Dass sein Mandant nun nicht vor Gericht muss, sei für den 22-Jährigen eine &bdquo;echte Erleichterung“, sagt Khalaf. Es blieben aber noch viele Fragen ungeklärt. Für den Verteidiger ist die massive &bdquo;Staatsgewalt durch Schusswaffengebrauch“ immer noch der eigentliche Skandal dieses Falls.

&bdquo;Ich halte es immer noch für ein absolutes Unding, dass Polizisten meinen heranwachsenden Mandanten zu einem Krüppel geschossen haben und die Staatsanwaltschaft ohne Hauptverhandlung eine Notwehr/Nothilfe zubilligt“, erklärt Khalaf. &bdquo;Das Handeln stellt einen versuchten Totschlag durch die Polizisten dar und muss in der Hauptverhandlung aufgearbeitet werden.“

Seine Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen hatte die Generalstaatsanwaltschaft Hamm letztendlich zurückgewiesen. Jetzt will der Verteidiger noch eine weitere beim Oberlandesgericht platzieren, das sei die letzte Chance. Er hält die Beweislage, die die Schüsse der Polizei rechtfertigen soll, nach wie vor für schwach.

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