Leben ohne Emotionen: Künstlerin aus Barntrup erinnert sich an Kindheit im Dritten Reich

Barntrup. Sie war noch ein Kind und hat dennoch vieles mitbekommen: Als der Zweite Weltkrieg endet, ist Sieglinde Strohmeier erst sieben Jahre alt. Doch der Krieg und die Zeit danach sind der Künstlerin aus Barntrup gut im Gedächtnis geblieben. Im Gespräch mit der LZ berichtet sie darüber, wie diese Zeiten sie geprägt haben und wie sie ihre Mitmenschen wahrgenommen hat.

An Letztere erinnert sie sich in erster Linie als passiv: &bdquo;Ohne Emotionen haben wir gelebt, wir haben steif dagestanden. So waren alle zu der Zeit“, berichtet sie bei Kaffee und Schokolade in ihrem Haus in Barntrup, das ihr auch als Atelier dient. Vieles sei totgeschwiegen worden und besonders über Krankheiten durfte niemand reden - auch nicht nach dem Krieg. &bdquo;Gesundheit war kein Thema, die hatte man zu haben. Das Gedankengut der Nazis war noch in den Köpfen. Krank zu sein bedeutete minderwertig zu sein“, berichtet Strohmeier.

Als Kleinkinder leben Sieglinde, die 1938 geboren wurde, und ihre Geschwister noch unbeschwert. &bdquo;Unsere Familie hatte ein Häuschen im Grünen. Dazu gehörten damals die Tiere, Schweine, Ziegen, Gänse, Hühner und Kaninchen. Vom Krieg bekamen wir wenig mit. Die Luftangriffe kamen erst später“, berichtet Strohmeier. Doch dass etwas nicht in Ordnung ist, kann sie schon als Kind spüren. Sie hat, wie sie sagt, ein feines Gespür dafür. &bdquo;Es war schon anders. Der Vater war nicht mehr da. Er war im Krieg. Von der Nachbarin waren drei Söhne an der Front. Meine Mutter und sie hörten heimlich den Feindsender. Wir Kinder sollten das nicht mitkriegen“, erinnert sich Strohmeier. Als einer der Söhne im Krieg fällt und die Todesnachricht per Post zugestellt wird, bricht für die Nachbarin eine Welt zusammen. &bdquo;Ich hörte ein Wimmern und Klagen aus dem Nachbarhaus und sagte es meiner Mutter, die ganz schnell bei ihr war“, so Strohmeier weiter.

Juden werden deportiert Auch die vom Schicksal der jüdischen Menschen bekommt das Mädchen 1942 etwas mit. &bdquo;Etwa vier Jahre war ich alt, als ich die Menschen an der Ecke Hagenstraße und Wolfstraße stehen sah. Ein trauriges Bild“, berichtet Strohmeier. Ihre Mutter, mit der sie die Oma in der Burgstraße besuchen will, zittert am ganzen Leibe und redet etwas, das die Tochter nicht versteht. &bdquo;Die Worte ,schrecklich, schrecklich’ haben sich bei mir eingebrannt. Es waren jüdische Mitbürger der Stadt Barntrup, die dort warteten. Bisher wohlhabend, angesehen und freundlich. Meine Mutter war vom Beruf Schneiderin und sie hatte viel für diese Familie Katz genäht“, so Strohmeier weiter.

Immer wieder gibt es auch Fliegeralarm. Wenn die Sirenen während der Schulzeit heulen, werden die Kinder bei Familien in der Nähe der Roten Schule untergebracht. Strohmeier erlebt das als Erstklässlerin: &bdquo;Wir hatten Angst und bei den fremden Familien fühlten wir uns überhaupt nicht wohl. Ich wäre gern bei meiner Mutter gewesen.“ Und irgendwann wird es tatsächlich ernst. &bdquo;Barntrup wurde schwer angegriffen. Jagdbomber sausten durch die Luft und schmissen die Bomben ab“, erinnert sich die 86-Jährige. Damals sind laut Strohmeier Soldaten aus Hamburg in Barntrup untergebracht. Deshalb ist die Stadt voller Militärfahrzeuge und Panzer.

Bombardierung von Barntrup Für sie und ihre Familie sind die Bomben traumatisch. &bdquo;Die Bombardierung war heftig, die Erde bebte, Bombeneinschläge erschütterten uns. Meine Mutter hatte sich mit uns fünf Kindern im Keller des Hauses unter der Treppe einen sicheren Platz ausgesucht. Wir standen die ganze Zeit dort, keiner sagte ein Wort“, berichtet Strohmeier. Selbst ihr kleiner Bruder, noch ein Baby, bleibt still. &bdquo;Von den Druckwellen platzten bei uns im Hause einige Fensterscheiben. Wieder ein großer Schreck“, berichtet die Künstlerin, die erst vor Kurzem eine Gedächtniszeichnung von dieser Situation angefertigt hat. Viele Häuser werden dem Erdboden gleichgemacht. &bdquo;Als Kind nimmt man das einfach so hin“, sagt Strohmeier. Kurz darauf gehen die Kampfhandlungen in Deutschland zu Ende - und auch das wird passiv aufgenommen: &bdquo;Irgendwann war Ruhe und irgendwann war auch der Krieg vorbei. Das wurde auch gesagt. Nicht gejubelt, keine Freudensprünge, es wurde einfach nur gesagt, dass der Krieg vorbei sei.“ Die Probleme enden aber nicht mir dem Krieg.

&bdquo;Während des Krieges ging es uns nicht schlecht. Die Nachkriegszeit war wirklich schlimm“, sagt die Barntruperin. Zwar kommt ihr Vater irgendwann wieder nach Hause, doch dieser ist nicht wiederzuerkennen und bis auf die Knochen abgemagert. Durch die Unterversorgung hungern in den Jahren nach dem Krieg viele Deutsche - vor allem in den Städten sterben Hunderttausende. Besonders der Winter 1946/47 ist hart und der bis dahin kälteste des 20. Jahrhunderts. &bdquo;Bei uns auf dem Lande ging es ja noch, wir hatten den großen Garten, doch Brot und Kartoffeln wurden abgezählt. Wenn der Sauerkrauttopf leer war, sah es schlimm aus“, erinnert sich Strohmeier.

Zwölf Personen in einem Haus Die Familie lebt mit sechs Personen in einem Häuschen mit drei Zimmern. In den zwei weiteren kleinen Dachkammern werden Flüchtlinge untergebracht. &bdquo;Es waren drei erwachsene Personen und ein Kind. Später kam noch eine Verwandte mit Kind nach. Sechs Personen hausten in zwei kleinen Zimmern“, berichtet Strohmeier, die sich selbst mit ihrer Mutter und drei Geschwistern drei breite Betten teilen muss. Hauptsächlich verbringt die Familie die Zeit in der Küche vor dem gemütlichen Ofen. Es gibt fließend Wasser und einmal die Woche badet die ganze Familie im selben Badewasser.

&bdquo;Die Winter nach dem Kriege waren sehr streng und mit starkem Frost. Wir hatten große Schneeberge vor dem Haus und der Frost malte die schönsten Eisblumen an die Fenster“, berichtet Strohmeier. Unterhaltung bieten vor allem Spiele und Gespräche - das Fernsehen ist noch eine Zukunftstechnologie und das Radio funktioniert nicht richtig. Für Wärme sorgt nur der Ofen in den Wohnbereichen. &bdquo;Wenn wir zu Bett gingen, kamen wir in ein eisiges Zimmer. Aber in dem Bett lag eine Wärmflasche oder ein Steinhägerkrug, der mit Sand gefüllt war und vorher im Backofen erhitzt wurde“, sagt Strohmeier.

Parasiten und Krankheiten Den Flüchtlingen geht es laut Strohmeier in Barntrup schlechter als den Einheimischen. &bdquo;Die mussten ja alles zurücklassen“, erläutert die 86-Jährige. Auch mit Parasitenbefall und gesundheitlichen Problemen haben die Menschen zu kämpfen. Läuse, Wanzen, Krätze und auch Eiterbeulen sind der 86-Jährigen nicht fremd: &bdquo;Meine Schwester und ich hatten am ganzen Körper die Krätze. Jeden Abend wurden wir von meiner Mutter mit Petroleum eingerieben. Es tat schrecklich weh, aber es wirkte.“ Und sie leidet auch immer wieder unter heftigen Bauchschmerzen. Der Ratschlag ihrer Mutter dazu lautet: &bdquo;Mit dem Bauch auf die Sitzfläche des Stuhles legen und warten, dass der Schmerz nachlässt. Ich glaube, dass es die Spulwürmer waren, die mir zu schaffen machten.“

Auch die Kleidung ist knapp. Schuhe besohlen die Menschen immer wieder neu, bis das Oberleder am Ende ist und da es keine Wolle zum Stricken gibt, wird alte Kleidung wieder aufgetrennt, um die Wolle erneut zu verwenden. Trotz des kalten Wetters geht Tradition vor Wohlbefinden. &bdquo;Wir Mädchen durften keine Hosen tragen. Es gab auch im Winter nur Kleider und Röcke. Die Strümpfe wurden mit Strapsen festgehalten. Die Oberschenkel waren also nackt, die Kälte kroch hoch“, berichtet Strohmeier. Manchmal sollen die Kinder sogar selbst Brennholz mit in die Schule zu bringen. &bdquo;Durch die vielen Menschen, die aus dem Osten zu uns kamen, platzten die Klassenzimmer aus allen Nähten“, erinnert sich Strohmeier.

Verdrängung in den Fünfzigern Das wird erst besser, als in Barntrup die &bdquo;Von Haxthausen-Schule“ öffnet. Dort gibt genügend Klassenräume, Lehrerzimmer, Räume zum Handwerken für die Jungen und Räume mit Nähmaschinen für die Mädchen. &bdquo;Sogar eine Aula mit Flügel gab es. Im Keller waren Baderäume und Duschen untergebracht. Dort konnten die Barntruper am Samstag nach einem Obolus nach Herzenslust baden oder duschen“, erinnert sich Strohmeier. So geht es zwar langsam bergauf, doch auch die Lehrer müssen mit den neuen Zeiten zurechtkommen. &bdquo;Sich daran gewöhnen, dass sie nicht mehr die radikalen Erziehungsmethoden der Nazis anwenden konnten. Oftmals wurde mit dem Stock in die Hand geschlagen, an den Ohren gezogen“, konkretisiert Strohmeier.

In den Fünfzigerjahren kehren auch die Annehmlichkeiten nach Barntrup zurück. Es gibt ein Kino, die Menschen kaufen Autos und feiern die Schützenfeste wieder aufwendig: &bdquo;Man erfreute sich an den Kitschfilmen, die die heile Welt vorgaukelten. Die Menschen wollten so etwas sehen. Der Krieg mit seinen schrecklichen Folgen sollte vergessen werden.“

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