Nach fast 300 Jahren schließt diese Kult-Kneipe im Blomberger Dorf Reelkirchen

Blomberg-Reelkirchen. 1969: Ein junger Mann, gerade 23 Jahre alt, seinen Gesellenbrief als Kfz-Elektriker in der Tasche, wird vorzeitig aus der Bundeswehr entlassen. Die Pflicht ruft. Der Ruf kommt von seinem Vater Ernst aus Reelkirchen. Fritz Diekmann soll jetzt und sofort für die elterliche Kneipe und das Lebensmittelgeschäft die Verantwortung übernehmen. Der junge Fritz gehorcht. Es ist der Beginn einer Jahrzehnte währenden Selbstständigkeit. Fritz Diekmann führt die Kneipe, seine Frau Ingrid den Lebensmittelladen. 55 Jahre lang. Um Reelkirchen herum schließen Gaststätten und kleine Geschäfte. Die Diekmanns machen weiter. Doch jetzt ist Schluss.

Wenn man ihn fragt, ob er die Kneipe und seine Gäste nicht vermisst, schmunzelt Fritz Diekmann: &bdquo;Ach, irgendwann muss man einen Schlussstrich ziehen“, sagt er. Und schließlich habe er ja am Ende diese ganzen Geschichten an der Theke x-mal gehört. Er ist 78 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen, hat einige Krankenhausaufenthalte hinter sich. Nun soll es gut sein.

Es stirbt ein Stück Historie Und doch stirbt mit der Entscheidung, die Kneipe, die eh schon seit Jahren nur noch freitags geöffnet hatte, ganz zu schließen, ein Stück Reelkirchener Historie. Denn der &bdquo;Küsterkrug“ ist etwas ganz Besonderes: Hier, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kirche und Friedhof, warteten schon die Kutscher, die ihre Herrschaft zum Gottesdienst fuhren, gemeinsam mit ihren Pferden bei einem Getränk. Errichtet im Jahre 1732 an der Stelle, wo zuvor schon zwei Bauten abgebrannt waren, ist die Gaststätte mit angeschlossenem Kolonialwarenhandel schon seit 1857 im Familienbesitz.

Fritz Diekmanns Urgroßvater Friedrich Hermann und seine Frau Luise kauften den Krug damals. Uroma Luise führte die Geschäfte nach dem Tod ihres Mannes zunächst alleine, bis sie ihn 1885 an ihren Sohn Friedrich August übergab. Seinerzeit verrät die Chronik, galten &bdquo;bei Diekmanns gekaufte Wäsche, Kleidung und Betten im Blomberger Becken und darüber hinaus als die besten“.

Wäsche hatte Ingrid Diekmann nicht mehr im Angebot, als die junge Kauffrau das Lebensmittelgeschäft 1969 gemeinsam mit ihrem Mann übernahm. Der war fachfremd und musste erst einmal ein Praktikum bei Edeka absolvieren, Buchhaltung lernen und einen Kursus für den Umgang mit offener Milch besuchen, denn die gab es damals im Diekmannschen Geschäft noch.

Mittagspause in der Kneipe Während Ingrid Diekmann das Geschäft managte, kümmerte sich Fritz um die Kneipe – übrigens auch mal mittags, außerhalb der regulären Öffnungszeiten, wenn die Arbeiter aus der Stuhlfabrik ein Bierchen trinken kamen: &bdquo;Das war ja kein Problem, eben aufzuschließen – Kneipe und Laden waren ja zusammen“, erinnert er sich. Probleme hatte wohl eher der Chef der Stuhlfabrik damit, wo und wie seine Mitarbeiter ihre Pause verbrachten. Also blieb es bei einem kurzen Intermezzo, im Gegensatz zu der Feierabendrunde: Um 15.45 Uhr standen Bier, Kurze und Knobelbecher bereit.

Viele Einheimische, aber auch Gäste aus der Umgebung besuchten den Reelkirchener Krug: Der Straßenmeister, der die Wege in den umliegenden Dörfern instand hielt, kam auch schon mal mittags oder morgens vorbei, örtliche Vereine trafen sich hier regelmäßig, Diekmanns richteten Jahreshauptversammlungen und Dorffeste aus und waren sogar mit einem Ausschank auf Wilbasen vertreten.

Während der Dorfladen unter Ingrid Diekmanns Ägide der Marke Edeka weiter lief – 1975 umgezogen in den benachbarten Saal, der zum Wohn- und Geschäftshaus umgebaut worden war –, entschied sich Fritz Diekmann 1994, im Detmolder Krankenhaus als Fahrer in der Hauswirtschaft anzuheuern. Die Kneipe betrieb er fortan nur noch im Nebenerwerb, immer freitags.

Als Filmkulisse gefragt Dennoch blieben Kneipe und Kneipier Kult. Und wer den Schankraum durch die Schwingtür betritt, den wundert das nicht. Es ist eine Reise in die Vergangenheit: alte Holzdielen, weinrote Sitzmöbel, in der Ecke eine alte Musikbox und ein Zigarettenautomat, der sogar noch die längst verschwundene Marke &bdquo;Lux“ führt, eine vom Rauch vergilbte Holzdecke und eine braun-beige Drucktapete, die das Herz der Retro-Fans höher schlagen lässt. Hier ist nicht nur für die Gäste die Zeit stehen geblieben, die Kneipe diente auch mehrfach als Filmkulisse. &bdquo;Die Einsamkeit der Krokodile“, 1999 gedreht mit Julia Jäger und Janek Rieke in den Hauptrollen, ist der bekannteste Streifen.

Viele Anekdoten werden lebendig, wenn Ingrid und Fritz Diekmann ins Erzählen kommen. Nicole Prokisch (53) ist die älteste von zwei Töchtern: &bdquo;Meine Eltern können so viel erzählen, das würde Bücher füllen.“ Aber auch sie selbst hat viele Erinnerungen – an den Duft der großen Gewürzsäcke in dem alten Haus. Oder an die spannenden Nachmittage, wenn sie sich mit ihrer Schwester Nadine zum Stöbern in den Jugendzeitschriften zurückzog. &bdquo;Diesen Vorteil hatten die beiden natürlich. Aber wenn es um Süßigkeiten ging, mussten die beiden das von ihrem Taschengeld bezahlen wie jeder andere auch“, erinnert sich Ingrid Diekmann an das strenge Regiment.

Unterstützung der Stadt erhofft Das letzte Brot ist verkauft, das letzte Bier getrunken – und was wird nun aus dem Küsterkrug? Nicole Prokisch wünscht sich, wie der Rest der Familie, dass das altehrwürdige Gebäude erhalten bleibt, denn seine geschichtliche Bedeutung ist belegt und die Traditionsgaststätte gehöre einfach zum Dorf dazu. Doch für eine Privatperson sei der Erhalt des denkmalgeschützten Hauses nicht zu stemmen. Deshalb hofft sie auf die Unterstützung der öffentlichen Hand – vielleicht ließe sich das Objekt als Dorftreff ausbauen? Eine Ortsbesichtigung mit Vertretern der Stadt hat es gegeben.

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Konsum, Kneipen, Kolonialwaren

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