Nina Kunzendorf bringt in Detmold vergessene Berliner Geschichten zurück

Detmold. Festivalleiter Stephan Szász dankte Familie Oetker, dass das Literatur- und Musikfestival &bdquo;Wege durch das Land“ zum zweiten Mal Gast im Rittergut Hornoldendorf sein durfte. Umwege, mutig genommene Kurven und verlorene Pfade in Biografien und Geschichten von Menschen stehen in der letzten Festivalveranstaltung in Lippe im Fokus.

Schauspielerin Nina Kunzendorf, einem breiten Publikum aus der Fernsehserie &bdquo;Tatort“ und &bdquo;Charité“ bekannt, las aus &bdquo;Die ganze Zeit meines Lebens“ von Dinah Nelken und der deutsch-bosnische Schriftsteller Saa Staniic unterhielt mit Kurzgeschichten seines brandneuen Buches. Das Klavierduo Karla Haltenwanger & Sara Koch interpretierte dazu Werke zu vier Händen von Schubert (Fantasie f-Moll), Rachmaninoff, Ravel und Gershwin.

Die Werke der Schriftstellerin und Drehbuchautorin Dinah Nelken (1900-1989) sind leider unbekannt und nur noch antiquarisch erhältlich. Nach der Annexion Österreichs verließ sie Deutschland und kehrte im Jahr 1950 nach West-Berlin zurück. Als wichtige Werke gelten der Roman &bdquo;Spring über deinen Schatten, spring!“ (1954), der sich mit der Erfahrung des Faschismus auseinandersetzt, und die Geschichte um &bdquo;Fleur Lafontaine“, die in der DDR verfilmt wurde.

Für &bdquo;Künstler für den Frieden“ engagiert

Ab dem Jahr 1970 engagierte sie sich für die Initiative &bdquo;Künstler für den Frieden“. Ihr gesamter Nachlass befindet sich heute in der Berliner Akademie der Künste. Der Band &bdquo;Die ganze Zeit meines Lebens“ erschien im Jahr 1978 und spiegelt in 46 Texten ihre künstlerische Entwicklung und Gesellschaftskritik wider, die Nina Kunzendorf in chronologischer Reihenfolge exemplarisch vortrug. In Berliner Mundart ließ sie die Geschichte über einen jungen Mann lebendig werden, der sich aus Liebe an die Fersen eines jungen Mädchens in Berlin heftet, um ihr verlorenes Geld zu geben und dabei auf Ablehnung stößt.

In &bdquo;Zweimal Meier“ bemerkt ein geschiedenes Paar, dass sie zufällig Nachbarn geworden sind. &bdquo;Sie waren sich nie böse, konnten nur nicht miteinander leben“. Sie arrangieren sich bei der Betreuung des Sohnes. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Lebenspartner wird spürbar. Einfühlsam interpretierte das Klavierduo dazu die melancholische &bdquo;Vocalise“ op. 34,14 von Sergeij Rachmaninoff.

Mit einer überraschenden Pointe endet die Erzählung über einen Mann, dem seine Nase nicht gefällt, und der sich gegen den Rat des Arztes unbedingt operieren lassen will. Am Ende wird klar, dass sein Fahndungsbild veröffentlicht wurde. Die Erzählung &bdquo;Wiegenlied für ein nie geborenes Kind“ korrespondierte zum Klavierstück &bdquo;Pavane pour une Infante defunte“ von Ravel. Im zweiten Teil interpretierte das Duo eine Bearbeitung der &bdquo;Rhapsody in Blue“ von George Gershwin im prägnanten Zusammenspiel und mit gelungenen agogischen Übergängen.

Tragik mit Humor

Saa Staniic wurde im Jahr 1978 in Jugoslawien geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Er las vital aus seinem im Mai erschienenen Erzählband, der Tragik mit Humor verbindet und den beeindruckenden Titel &bdquo;Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ trägt. Wo dabei &bdquo;vorne“ ist, bleibt dem Leser überlassen. Seine Geschichten stellen die Frage, was wäre, wenn man sich anders entschieden hätte. Er führt an Orte wie den &bdquo;An-Proberaum“, der im Fiktionsspiel ermöglicht, die eigene Zukunft vorherzusehen. Am besten wäre es, wenn man sein Leben probeweise erfahren könnte, bevor man es einloggt.

Ausgangspunkt im Text &bdquo;Neue Heimat“ ist eine Träumerei von vier Migrantenkindern im Heidelberger Stadtteil Emmertsgrund, die sich 1994 verschiedene Versionen ihrer Zukunft ausdenken. Es geht um die Sehnsucht nach anderem Leben und Racing Profiling, die Staniic mit viel Witz in ausdrucksstarker Erzählkunst stehend vortrug. Als Migrant nach Deutschland gekommen, vermochte er deutsche Eigenheiten wie Probleme mit der Mülltrennung oder die Angst eines Justiziars beim Memory Spiel gegen seinen achtjährigen Sohn zu verlieren, in skurrilen Geschichten ironisch zu hinterfragen.

Dabei stattet er seine Figuren in schwungvoller experimenteller Jugendsprache facettenreich aus. Als Zugabe trug er einen Text vor, in dem er sich selbst in den &bdquo;Proberaum“ katapultiert, sich auf einer Bühne sieht, wo viele Menschen seine Texte hören wollen. &bdquo;Die haben dafür mega Eintritt bezahlt und ich erhalte ein mega Honorar. Als Fatih ihn fragte, ob er das einloggen will, sagte er &bdquo;Aber sowas von!“

Nina Kunzendorf bringt in Detmold vergessene Berliner Geschichten zurück

Nordwestdeutsche Philharmonie feiert Maurice Ravel bei Konzert in Bad Salzuflen

Festival in Höxter: Corvey zelebriert Freundschaft und Kunst

Doch kein „Weihnachtswunder“: Heizung in Spork-Eichholz bleibt weiterhin kalt

Detmolds „Stadtmaler“ wird bald im Landesmuseum ausgestellt

Detmolder Schülertickets werden etwas teurer

Wohnung an der Hornschen Straße in Detmold aufgebrochen

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €