Blanke Skulptur vs. nackte Frau: Zwei Detmolder Künstler bei Lieblingswerken uneins

Detmold/Bentrup-Loßbruch. So ähnlich sie sich in ihrem eigenen Kunstschaffen sind – zumindest darin, dass das jeweilige Endprodukt nicht von vornherein feststeht – so uneins sind sich Karin Oestreich und Günter Schulz, wenn sie nach ihrem Lieblingsbild gefragt werden. Während er der Geburt der Venus huldigt, hat sie sich von einem zeitgenössischen Bildhauer zum eigenen Werk inspirieren lassen. In unserer Reihe &bdquo;Mein Lieblingsbild“ erzählt das Ehepaar, was hinter ihrer Entscheidung steckt.

In ihrem Häuschen in Bentrup-Loßbruch haben sich die beiden ihre kleine Kunst-Oase eingerichtet. Oestreich, 74 Jahre, führt in ihr Atelier im Obergeschoss, wo sich Stoffe und Materialien in Regalen türmen, auf dem Tisch liegt ihr aktuelles Projekt. Seit vier Jahren ist das Paar Mitglied der &bdquo;Produzentengalerie 13.14“, Oestreich seit 30 Jahren zudem im Lippischen Künstlerbund, ihr Ehemann ist dort seit 35 Jahren – und hatte sogar 25 Jahre lang den Vorsitz inne.

Reflexionen in Edelstahl Oestreichs aktuelles Lieblingswerk besteht aus drei Teilen und hängt in ihrem Atelier an der Wand. Es sind großformatige Fotografien auf Kunststoffplatten, zu denen sie sich von der Skulptur &bdquo;Justine“ des Briten Tony Cragg hat inspirieren lassen. &bdquo;Er ist einer der bedeutendsten Bildhauer unserer Zeit“, berichtet Oestreich von dem Mann, der seit fast 50 Jahren in Deutschland lebt und unter anderem Rektor der Kunstakademie Düsseldorf war.

Besagte Skulptur ist gut 2,60 Meter hoch und besteht aus dreidimensionalen Edelstahl-Ellipsen, die aneinandergeschweißt und im Anschluss mit einer galvanisierten Chromschicht überzogen worden sind. Vor einigen Monaten hatte Oestreich die in einer Ausstellung in Düsseldorf gesehen – und kurzerhand ihre Digitalkamera gezückt. Entstanden sind so ganz spontan Fotografien, in denen sie mit den Reflexionen spielt. Beine, Besucher, sie selbst – all das spiegelt sich in der Oberfläche der Skulptur.

Normalerweise verfremde sie ihre Fotografien immer extrem stark, sodass sie später gar nicht mehr als solche zu erkennen seien. Das sei hier aber gar nicht nötig gewesen. &bdquo;Es passte einfach“, sagt sie. &bdquo;Ich erfreue mich einfach daran und es erfüllt mich, etwas Tolles, etwas, das meinen Ansprüchen genügt, geschaffen zu haben.“ Von daher könne sie auch mit Fug und Recht behaupten, dass die Fotografien ihre aktuellen Lieblingsbilder seien.

&bdquo;Ich musste es haben“ Das kann Ehemann Günter Schulz, 85 Jahre, über sein derzeitiges Lieblingsbild ebenso behaupten. Eine Etage geht es hinauf bis ins Gästezimmer unterm Dach. Ein Sofa, eine Gitarre – und ein großformatiger Druck hängen hier an der Wand. Stolz nimmt Schulz Platz und lädt ein, das Bild auf sich wirken zu lassen: &bdquo;Die Geburt der Venus“ von Alexandre Cabanel aus dem Jahr 1863.

Das Original-Ölgemälde auf Leinwand hängt heute im Musée d’Orsay in Paris und ist gut 1,30 auf 2,25 Meter groß – hier im Gästezimmer von Schulz hat sich ein etwas kleinerer Kunstdruck eingefunden. Auf den wurde Schulz eher zufällig aufmerksam, als er in einem Detmolder Laden eigentlich nach Bilderrahmen suchte. &bdquo;Ich wusste sofort, dass ich das haben muss“, erzählt er. Warum? Darüber habe er selbst erst eine ganze Weile nachgrübeln müssen. Und es am Ende doch erkannt.

&bdquo;Die Venus ist wunderschön, aber man fragt sich, was diese lächerlichen Männchen da machen“, zeigt Schulz auf die Putten am Himmel des Gemäldes. Gerade die hätten das Werk für ihn so interessant gemacht. &bdquo;Sie verkünden der Welt durch ihre Muschelhörner die Geburt des Lebens.“ Als &bdquo;Witzfiguren“ bezeichnet er die Kleinen sogar, die sich so offensichtlich an der Schönheit der Frau, die ans Ufer gespült wird, erfreuen. Aber genau das tut auch er selbst. &bdquo;Ich bin der Schönheit verfallen“, sagt Schulz. Frauen seien für ihn die besseren Menschen, sagt er – und zieht Parallelen zu seiner eigenen Vergangenheit. &bdquo;Ich bin ein Mutterkind.“

Kunst der beiden entwickelt sich Geboren 1939, der Vater im Krieg geblieben, die Mutter mit ihm und den beiden Geschwistern auf der Flucht. &bdquo;Meine Mutter war mein ein und alles, mein Leben. Sie hat für ihre Kinder auf alles verzichtet.“ Und genau da schließe sich für ihn der Kreis zum Gemälde, zur Liebe zu den Frauen, zur Weiblichkeit, sagt Schulz, während er immer wieder auf sein derzeitiges Lieblingswerk blickt.

Seine eigene Kunst kommt da allerdings ganz anders daher, verrät der ansonsten bekennende Picasso-Fan. Der frühere Kunst- und Mathematiklehrer programmiert seine Bilder nämlich seit 30 Jahren am Computer und bearbeitet sie danach weiter. &bdquo;Ich weiß nie, was es vorher wird.“

So ist es auch bei der Kunst seiner Frau. &bdquo;Sie entwickeln sich“, sagt Karin Oestreich über ihre Werke. Neben der verfremdeten Fotografie widmet sie sich mittlerweile auch wieder der Textilkunst. &bdquo;Ich gehe damit zurück zu meinen Wurzeln“, sagt Oestreich, die bereits seit den 1980ern künstlerisch aktiv ist und Kunst-, Deutsch- und Erdkundelehrerin war. Und sich schon darauf freut, ihre Werke demnächst wieder präsentieren zu dürfen.

Aktuelle Werke der beiden – darunter auch besagte Fotografien inspiriert von &bdquo;Justine“ – sind von 25. August bis 8. September in der Ausstellung &bdquo;Jetzt“ des Lippischen Künstlerbundes im Lemgoer Eichenmüllerhaus zu sehen.

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