Wachgeküsst nach 80 Jahren: Die „unsichtbare“ Orgel im Detmolder Schloss erklingt wieder

Detmold. Am Tag des offenen Denkmals war es so weit: Rund 150 Besucher hörten nach mehr als 80 Jahren die ersten Töne der Orgel im Bibliothekssaal des Schlosses.

Organist Mario Planken (25) spielte das Instrument spontan an. &bdquo;Es war, als würde ein schlafender Riese erwachen“, schwärmte er.

Im Kriegswinter 1943 verstummt Die Aeolian-Orgel von 1917, im Kriegswinter 1943 verstummt, ist nach aufwendiger Restaurierung wieder spielbar. Wiedergeburt eines Kulturschatzes.

&bdquo;Sie sehen, dass Sie nichts sehen“, informierte Schloss-Kuratorin Lisa-Marie Bergann, die zusammen mit Dr. Christian Steinmeier vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Orgel vorstellte. Die Salonorgel ist unauffällig in die Architektur des Saals eingebaut: Pfeifen erklingen in der Decke, ein Echowerk hinter Holzvertäfelungen, der Spieltisch ist versteckt, der Klang verborgen und doch allgegenwärtig. Wer im Raum sitzt, hört Musik, ohne die Quelle zu sehen – ein Effekt, der Gäste immer schon staunen ließ.

Die elektropneumatische Aeolian-Orgel No. 1108, gebaut von der renommierten Firma Aeolian aus den USA, war ein Wunderwerk ihrer Zeit. Sie konnte nicht nur manuell gespielt werden, sondern auch automatisch mittels gelochter Notenrollen. Mehr als 100 Rollen romantischer Konzertliteratur sind im Schloss erhalten. So konnte man große Musik in feinster Klangfülle erleben – Wagner, Liszt, Grieg oder Rheinberger.

Fürst Leopold IV. war ein Musikliebhaber Fürst Leopold IV. (1871–1949), letzter Regent des Fürstentums Lippe, war ein Mann, der Fortschritt liebte – Eisenbahnen, Kurbäder, Theater und Musik. Er setzte sich nach dem Brand im Jahr 1912 für den Wiederaufbau des Detmolder Theaters ein, das 1919 seine Pforten wieder öffnen konnte.

Als leidenschaftlicher Musiker, der sowohl Klavier als auch Orgel spielte, faszinierte ihn die halb automatische Orgel, die er beim Besuch des befreundeten Großherzogs von Hessen-Darmstadt im Jahr 1914 hörte. Ab 1916 ließ er die Bibliothek des Schlosses umbauen, um die Orgel einzubauen. Trotz der Wirren des Ersten Weltkriegs setzte er alles daran, das Projekt zu verwirklichen.

Als der englische Orgelbauer Thomas Perks in Berlin interniert war, erwirkte Leopold sogar dessen Freilassung, damit die komplizierte Anlage in Detmold fertiggestellt werden konnte. Im Jahr 1917 erklang die Orgel erstmals – und der Fürst spielte sie fast täglich für Gäste oder allein. Als seine Frau Bertha 1919 starb, suchte er Trost an der Orgel. Nach seiner Abdankung 1918 spielte er sie fast jeden Abend.

Der Winter 1943/44 brachte das jähe Ende: Ein Wasserrohrbruch beschädigte die empfindliche Technik, die Orgel verstummte. Nach dem Krieg fehlten Geld und Zeit, um das Instrument instand zu setzen. Der Raum wurde zur Abstellkammer, das Instrument geriet in Vergessenheit.

Aufwendige Restaurierung Im Jahr 2018 nahm Stephan Prinz zur Lippe die Restaurierung in Angriff. Fördergelder wurden bewilligt. Die Firma Klais aus Bonn baute die Orgel 2021 aus und restaurierte sie. Ende 2024 konnte sie wieder eingebaut werden und seit wenigen Tagen ist sie spielbereit. Das Ergebnis: ein orchestraler, spätromantischer Klang, der den Zuhörer umhüllt. Mit neun Registern im Hauptwerk, einem Flötenregister im Pedalwerk, vier Registern im Echowerk, dessen Klang über einen Schallkanal vom Dachboden in die Bibliothek geleitet wird, besitzt die Orgel mit zwei Manualen und Pedal eine große Klangfarbenvielfalt.

Experten erklären den Rang der Orgel: In Europa gibt es nur wenige vergleichbare Instrumente, in Deutschland gilt sie als einzigartig. Neben der Villa Hügel in Essen, wo eine umgebaute Aeolian-Orgel steht, ist Detmold der einzige Ort, an dem man diese Kombination aus Handwerk, Technik und Musikgeschichte authentisch erleben kann. Das Instrument ist ein Denkmal höfischer Musikkultur. Die Bibliothek im Südostflügel des Schlosses ist wieder ein klingendes Gesamtkunstwerk geworden.

Unter den erhaltenen Notenrollen befindet sich auch eine Rarität: Das Stück &bdquo;Prinzessin Baby“, eine unbekannte Komposition von 1916, gewidmet Leopolds jüngster Schwester Mathilde, die 1907 jung verstarb. Nun kann die persönliche Erinnerung der fürstlichen Familie wieder erklingen.

Die Orgel soll nicht im Verborgenen bleiben. Geplant sind regelmäßige Führungen und Konzerte. Schon jetzt ist das Interesse groß: Musikliebhaber, Historiker und Technikfans reisen an, um das seltene Instrument zu erleben.

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