Burg Sternberg: "Ein Ort, an dem ich Kriegsschrecken überwand"

Extertal-Linderhofe/Kalletal-Lüdenhausen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Dr. Reiner Steinweg als Flüchtlingskind aus Schlesien nach Lüdenhausen. Auf der Burg Sternberg brachte ihm Peter Harlan, der die Burg einst zur &bdquo;Musikburg" machte , die Musik näher. Das war für Steinwegs späteren Werdegang als Friedensforscher wichtig.

So wichtig, dass der heute in Österreich lebende renommierte Wissenschaftler seine Zeit auf der Burg zum Dreh- und Angelpunkt eines öffentlichen Konzertes im Rittersaal der Burg macht. Dort musiziert er mit anderen am Sonntag, 1. September, ab 10.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Wie sind Sie nach Lippe gekommen?

Dr. Reiner Steinweg : Wir sind im Februar 1945 aus Schlesien geflohen und kamen Anfang Juni in Lüdenhausen an, wo die Schwester meiner Mutter Pfarrfrau war. 1952 erfuhren wir, dass mein Vater am letzten Kriegstag gefallen war. Auch der Mann meiner Tante kehrte nicht aus dem Krieg zurück. Sie hat mich, meine Mutter und meine drei Geschwister aufgenommen. Außerdem waren da noch sechs Kinder von anderen Schwestern, wir waren also zunächst eine große Familie dort.

Wie kam es zu den regelmäßigen Besuchen auf der Burg Sternberg, auf der damals Peter Harlan, der Instrumentenbauer und Begründer es "Klingenden Museums", Kurse gab?

Steinweg: Wir hatten einen musisch angehauchten Lehrer, der die Harlans kurz vor meinem neunten Geburtstag 1948 zum Klassen-Konzert eingeladen hat. Dieses Konzert hat mich im Handumdrehen vollkommen verzaubert und von da an bin ich jeden Sonntag mit dem Fahrrad, auf dem ich noch nicht sitzen konnte, die fünf Kilometer hochgefahren um die Burg-Konzerte zu hören.

Eine Traumwelt, die ich genoss Was sind Ihre Erinnerungen an die Zeit auf Burg Sternberg?

Steinweg: Das war ein ganz starker Eindruck. Ich war von meinem neunten bis zu meinem siebzehnten Lebensjahr regelmäßig dort. Am Anfang waren im Rittersaal nur Bretter über Holzklötze gelegt, es gab sonst keine Einrichtung für Konzerte, wir haben da einfach gesessen und zugehört. Die Mischung aus Instrumentalmusik, Singen und Erzählen, das Näherbringen des inhaltlichen Hintergrundes der Stücke, die Peter Harlan damals geboten hat, war eine ganze andere Welt als die, die ich kannte. Eine richtige Traumwelt, die ich unheimlich genossen habe. Er hat auch eigene Stücke gespielt und die Teilnehmer an den Kursen ebenfalls zum komponieren ermutigt. Als ich dann erfuhr, dass mein Vater tatsächlich im Krieg gestorben war, konnte ich dieses Erlebnis verarbeiten, indem ich eine Todes-Kantate für meinen Vater geschrieben habe.

Es war also eine Art Katharsis für Sie?

Steinweg: Auf jeden Fall. Ich habe eine brennende Stadt im Rücken gehabt, ich habe Bomber über mir kreisen sehen, ich habe in einem Zug gesessen, der bombardiert wurde. Das alles konnte ich an diesem Ort beiseite schieben und in gewisser Weise so bewältigen, dass diese schrecklichen Ereignisse mich nicht gefangen hielten. Auf der Burg Sternberg und in Lüdenhausen, ein wunderschöner Ort, war ich sehr glücklich. Vor allem die Burg war der geistig anregende Ort und in gewisser Hinsicht fordernd, da man selber tätig wurde und selbstständig musizierte.

Schließt sich für Sie mit dem Konzert zu Ihrem 80. Geburtstag da ein Kreis?

Steinweg: So ist es. Ich feiere meinen Geburtstag einen Tag vorher in Lüdenhausen. Da die Burg Sternberg aber mindestens genauso wichtig war, möchte ich dort auch etwas machen und an die Frühzeit der Musikburg erinnern.

Wie haben Sie Peter Harlan als Menschen erlebt? Er scheint ja eine bedeutende Rolle in Ihrem damaligen und auch weiteren Leben gespielt zu haben.

Steinweg : Er hatte natürlich auch seine schräge Seiten. Das wissen alle, die ihn gekannt haben. Aber er hat immer mit großer Überzeugung gesprochen. Auch Leute, die ihn kritisch sahen, haben ihm dann doch auch gerne zugehört. Er war ein inspirierender Mensch. Von sich überzeugt, das mag negativ klingen, aber es ist doch auch eine Voraussetzung dafür, sagen zu können: "Das vertrete ich, das möchte ich und dafür stehe ich.” Er war sehr überzeugend und eindringlich. Ich habe ihn einmal heimlich belauscht, als er eine Stunde auf dem Spinett improvisiert hat, das hat mich schon sehr beeindruckt.

Etwas, was Sie auch in Ihrer späteren Karriere als Friedensforscher inspiriert hat. Dieses überzeugte Auftreten.

Steinweg: Als Forscher muss man natürlich davon überzeugt sein, dass das, was man erforscht, von Bedeutung ist. Und die andere Seite ist natürlich, die eigene Arbeit selbstkritisch zu betrachten und immer wieder zu überprüfen.

Als Friedensforscher haben Sie sich sicherlich einmal kritisch mit der Rolle Harlans im Kriegsende befasst. Da ist beispielsweise die Geschichte um die Verweigerung des Befehls, als Mitglied der Luftwaffe die Burg niederzubrennen, als die Alliierten anrückten. Eine Geschichte, deren Wahrheitsgehalt nicht weiter überprüft werden kann. Hat er Ihnen davon erzählt?

Steinweg: Mit mir persönlich hat er über dieses Ereignis nicht gesprochen, aber er hat immer wieder öffentlich erzählt, dass die Burg ein Munitionsdepot war, das den Alliierten nicht in die Hände fallen sollte, und dass er den Befehl gehabt habe, es zu sprengen, wenn die Alliierten näherrücken würden. Das hätte die Burg zerstört. Dass er den Befehl nicht ausgeführt hat, war natürlich Voraussetzung für alles was danach dort stattgefunden hat. Ich kann nicht garantieren, dass die Geschichte stimmt, aber er war sehr überzeugend in seinen Ausführungen und auch der lippische Landesverband, der da sicherlich nicht unkritisch war, hat ihm das ja geglaubt. Manche sagen ja nun, dass die Nazis ihn danach verschont haben, weil er der Bruder von Veit Harlan war.

"Schutt, nichts als Schutt" Der ja bekanntermaßen den Nazi-Propaganda-Film "Judsüß” gedreht hat. Können Sie einschätzen, inwiefern er dem Werk seines Bruders und dem Nazi-Regime gegenüberstand?

Steinweg: Mein Eindruck ist, dass Peter Harlan sich da rausgehalten hat. Er hat meines Wissens noch in den ersten Jahren des Nazi-Regimes mit Juden öffentlich musiziert. Das war ihm wohl ziemlich wurscht. Als Friedensforscher wäre ich bei der Thematik natürlich auch hellhörig geworden. Aber da war er schon tot. Ich habe allerdings zu seinen Lebzeiten nie gehört, dass er versuchte das dritte Reich zu verharmlosen oder seine Verbrechen zu entschuldigen. Die Trauer über den Krieg und seine Folgen hat er gelegentlich in seinen Konzerten zum Ausdruck gebracht, etwa indem er Hans Leips Gedicht &bdquo;Schutt, nichts als Schutt" rezitierte.

Inwiefern hat Ihre Jugend in der Region und vor allem die musikalische Erziehung diesen Weg geprägt?

Steinweg: Ich habe eine Weile erwogen, Musik zu studieren. Gott sei Dank habe ich das nicht gemacht, dazu hätte es vor allem vom musikalischen Gedächtnis her nicht gereicht. Aber ich habe mein Leben lang Musik gemacht. Es war die Rekreationsquelle von allen Anstrengungen bei meinen akademischen Arbeiten. Ich habe zusammengerechnet 65 Bücher geschrieben oder ediert, dazu 170 Aufsätze. Das war oft sehr anstrengend, weil sie immer unter Zeitdruck entstanden. Da habe ich Musik, - so wie Peter Harlan es uns beigebracht hat - Musik für mich selbst gespielt. Das war meine Quelle, des "an Deck bleibens”.

Hatte die Musik noch Einfluss auf den Ansatz Ihrer Forschung?

Steinweg: Auf eine Stelle in meinem Lebenslauf bin ich jetzt erst in den Vorbereitungen zu dem Konzert gestoßen, in der der Einfluss für mich offensichtlich wird. Nämlich während meiner Dissertation im Studium der Literaturwissenschaften. Tatsächlich war ich der Erste, der erkannt und ernstgenommen hat, dass Bertolt Brecht seine sogenannten Lehrstücke nicht für Schauspieler und ein Publikum, sondern zum Selberspielen geschrieben hat, für ganz gewöhnliche Leute, auch Kinder und Jugendliche. Diese Doktorarbeit ist seit 1972 in zwei Auflagen erschienen. Ich denke diesen Ansatz &bdquo;spielen für sich selber" habe ich indirekt Peter Harlan zu verdanken. Obwohl er Brecht nichts abgewinnen konnte. (lacht)

Was erwartet die Besucher auf dem Konzert am Sonntag. 1. September?

Steinweg: Wir werden mit einer Gruppe von Musikern einen Teil des Harlanschen Repertoires spielen, Stücke, die in der Frühzeit der Musikburg besonders häufig bei den Konzerten zu hören waren: Sätze aus der Geselligen Zeit, dem Glogauer Liederbuch, von John Dowland und Henri Purcells &bdquo;Sommernachtstraum". Eine Mischung aus Liedern und Instrumental-Musik, mit den entsprechenden Instrumenten wie Laute, Fidel, Gambe und Blockflöte. Wir versuchen den Stil von damals anzudeuten. Zwischendurch spreche ich auch darüber, wie sich der Rittersaal in der Zeit entwickelt hat.

Haben Sie noch eine Verbindung zu Lippe?

Steinweg: Ich habe einen Jugendfreund in Lüdenhausen, den besuche ich mindestens alle zwei Jahre. Ich komme auch immer wieder sehr gerne in das Dorf zurück. Etwas gespalten bin ich im Bezug auf die Neugestaltung der Burg. Ich verstehe allerdings, dass der Landesverband das Gebäude ökonomisch verwertbar machen musste, um es überhaupt zu erhalten, deswegen will ich das gar nicht so sehr kritisieren.

Zum Abschluss: Was kann Musik heute noch für den Frieden tun?

Steinweg: Sie kann natürlich Aspekte von Friedensbewegungen unterstützen, durch einschlägige Texte, die dann auch emotional verstärken und bewegen was die Leute bewegt. Generell würde ich sagen, solange man Musik macht, hat man keine Knarre in der Hand.

Dr. Reiner Steinweg Dr. Reiner Steinweg (80) ist Friedens- und Konfliktforscher sowie Theater- und Erzählpädagoge. Er wurde zunächst vor allem als Erforscher der Werke Bertolt Brechts bekannt, über den er seine Doktorarbeit im Fach Literaturwissenschaften verfasste. Nach einem Zweitstudium der Politikwissenschaft und Soziologie mit Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung machte er sich mit Veröffentlichungen auch in diesem Bereich einen Namen.

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