Baustelle vor 100 Jahren: Andreas Begemann der Mittelalter-Handwerker

Extertal-Bösingfeld. Mit einem mittelalterlichen Transportwagen bremsen? Eine schwierige Sache, zumal die Wagen oft gar keine Bremse hatten. &bdquo;Höchstens einen Hebel unter der Achse, mit dem man auf die Erde drücken konnte", weiß Andreas Begemann. &bdquo;Beim Bremsen halfen die speziell angeschirrten Pferde." Der Zimmer- und Tischlermeister aus Extertal muss es wissen. Schließlich ist der 61-Jährige Fachmann für die Rekonstruktion mittelalterlicher Fahrzeuge – und zeigt als Vorsitzender des Vereins Experimentum, wie im Mittelalter eine Baustelle aussah.

Zu Lautenklängen und Vorführungen des Brettchenwebers inszeniert die Gruppe, deren Mitglieder aus ganz Norddeutschland kommen, mittelalterliches Handwerk, etwa bei Museumsfesten. Zimmer- und Tischlermeister Begemann ist nicht nur Vorsitzender, er konstruiert auch die Fahrzeuge wie Handkarren oder Transportwagen nach mittelalterlichem Vorbild.

Dabei lässt die Gruppe mit ihren etwa 20 Mitgliedern nicht die Fantasie spielen, sondern legt viel Wert auf historische Genauigkeit. Das korrespondiert mit Begemanns Hauptberuf: Mit seiner Bösingfelder Werkstatt hat er sich auf die Restaurierung von Fachwerkgebäuden spezialisiert.

An die erste Konstruktion wagte er sich im Jahr 2008, als er gefragt wurde, ob er einen mittelalterlichen Transportwagen für die Schau &bdquo;Eine Welt in Bewegung" in Paderborn-Schloß Neuhaus rekonstruieren könnte. Der Kurator, ein Archäologe, sei auf der Suche nach einem Handwerker gewesen, der so etwas konnte. Es gab Rekonstruktionspläne, die auf Funden aus dem Mittelalter fußten.

Der Kontakt nach Extertal kam über mehrere Umwege: Der Kurator, so erzählt es Begemann, wandte sich an den Vorsitzenden des schon damals existierenden Vereins Experimentum, den Archäologen Dr. Werner Best. Und in dessen Verein wiederum war eine Frau Mitglied, deren Sohn ein Praktikum bei Begemann machte.

Dazu, dass er ins Spiel kam, habe auch die Ausstattung seiner Werkstatt beigetragen, sagt Begemann und schmunzelt. &bdquo;Im Vergleich zu anderen Tischlereien sind wir in der Steinzeit, was die Maschinen angeht." Er hatte schon früh entschieden, den Weg der Technisierung und Automatisierung im Handwerk nicht mitzugehen, erzählt er. &bdquo;Als die Anfrage kam und ich die Pläne gesehen habe, war ich sofort begeistert." Doch dann wirklich nach mittelalterlichen Plänen zu bauen, sei eine große Herausforderung gewesen. Geholfen habe dabei seine Fähigkeit, sich in die Vergangenheit hineinzuversetzen.

&bdquo;Es sind ganz einfache handwerkliche Methoden, man arbeitet ohne viele Hilfsmittel." Er habe Ehrfurcht vor den einfachen Werkzeugen, mit denen die Menschen vor vielen 100 Jahren erstaunliche Dinge gebaut hätten, sagt Begemann. Notre-Dame oder das Ulmer Münster zum Beispiel. Und alles ohne Autokran. Beim Bau des Transportwagens konnte er in seiner Werkstatt mit der altem Drechselbank die Räder herstellen.

Bei der Konstruktion kam viel Holz, nur ganz wenig Metall zum Einsatz. Die Holzfelgen mussten ohne Eisenbereifung auskommen. &bdquo;Dafür sind sie breiter." Bei der Benutzung drücken sich Steinchen in die Oberfläche und bilden so eine Art Schutzschicht. Damit ist die Abnutzung nicht so groß, stellten die Mittelalter-Freunde überrascht fest.

Seitdem hat Begemann mehrere Maschinen und Wagen nach jahrhundertealten Vorbildern konstruiert, darunter ein Ochsenkarren und ein Laufradkran. Letzterer ist heute vor dem Dortmunder Kindermuseum Adlerturm zu sehen. Solche Aufträge seien inzwischen zu einem wichtigen Bestandteil seiner Arbeit geworden, sagt der Tischlermeister und denkt auch an das Mühlrad für Corves Mühle in Hohenhausen, das er kürzlich im Auftrag der Gemeinde konstruierte (die LZ berichtete).

In normalen Jahren, die nicht von Corona geprägt sind, hat Begemann mit der Mittelalter-Gruppe fünf bis sieben Auftritte. &bdquo;Wir zeigen das Auftrennen von Holz, eine mittelalterliche Kornmühle, wir haben einen Schmied und eine Seilerei. Leider noch keinen Steinmetz." Ziel sei es, dem Publikum einen Eindruck davon zu vermitteln, mit welchen Anstrengungen damals Kathedralen gebaut wurden.

Von dem erwähnten Transportwagen, den Andreas Begemann für eine Lübecker Einrichtung herstellte, gab es übrigens noch eine zweite Version. Die war dann doch noch straßentauglich – mit einer Scheibenbremse ausgestattet. Schließlich sollte das Gefährt den Segen des Tüv haben.

Weitere Informationen unter www.experimentum-ev.de

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