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Corona: Lippe kommt zum Stillstand

Sven Kienscherf, Till Brand, Marianne Schwarzer und Katrin Kantelberg

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150 Abstriche wurden am allen am Samstag genommen. Das Foto zeigt das Drive-In-Diagnosezentrum am Hangar, wo mittlerweile ein Zelt aufgebaut wurde. Die Menschen werden von Helfern in Schutzkleidung in Empfang genommen und bleiben im Auto sitzen.  - © Kreis Lippe
150 Abstriche wurden am allen am Samstag genommen. Das Foto zeigt das Drive-In-Diagnosezentrum am Hangar, wo mittlerweile ein Zelt aufgebaut wurde. Die Menschen werden von Helfern in Schutzkleidung in Empfang genommen und bleiben im Auto sitzen.  (© Kreis Lippe)

Kreis Lippe. Basta: Seit Samstag sind in Nordrhein-Westfalen bis auf weiteres sämtliche Veranstaltungen untersagt – öffentliche und private. Vor dem Wochenende hatten bereits einige lippische Kommunen von sich aus eine entsprechende Verfügung erlassen. Zu dem Zeitpunkt lag den Bürgermeistern der konkrete Erlass aus dem Ministerium noch nicht vor.

Kreis Lippe

Im Kreis gibt es insgesamt 55 bestätigte Coronafälle – damit sind acht weitere Infektionen bekannt. Für einen Coronafall gibt es dagegen Entwarnung – die Frau ist genesen.

„Trotzdem rechnen wir mit steigenden Fallzahlen, wir kommen jetzt in die Phase, dass neue Fälle dazukommen und auch Menschen, die die Infektion überstanden haben", erklärt Landrat Dr. Axel Lehmann. Am Samstag wurde von insgesamt 150 Personen ein Test-Abstrich genommen.

Kommunen

Wie Kreis-Pressesprecher Steffen Adams am Sonntag erklärte, hätte die Bezirksregierung den Kreis Lippe und die Kommunen über den Erlass informieren müssen. Das sei nicht geschehen, so dass der Kreis erst über die LZ davon erfahren habe. Für eine Stellungnahme war die Bezirksregierung am Sonntag nicht zu erreichen.

Auch Blombergs Bürgermeister Klaus Geise kannte den Erlass nicht. „Wir halten uns an die Weisungen der Behörden", erklärte er. Gleichwohl zeigte er sich erschüttert, dass etwa 350 Freie Evangeliumschristen in ihrem Bethaus Sonntagsgottesdienst feierten. Sobald er davon Kenntnis bekam, fuhr er mit Uwe Praschak vom Fachbereich Ordnung dorthin und bat, die Versammlung in aller Ruhe aufzulösen. „Dem wurde sofort Folge geleistet", berichtet er.

Jörg Bierwirth, Schieder-Schwalenbergs Bürgermeister, hatte sich am Samstagabend den Erlass „zufällig von der Homepage des Gesundheitsministeriums gefischt". So konnte er den Sonntagsgottesdienst der mennonitischen Gemeinde in Schieder noch verhindern.

Detmold und Lemgo hatten bereits am Freitag von sich aus gehandelt. Als der Städte- und Gemeindebund am späteren Freitagabend den Erlass des Ministeriums dorthin weiterleitete, war bereits das meiste abgeblasen. So blieben die Parkplätze der großen Freikirchen in Lemgo – im Gegensatz zu Blomberg – leer, wie sich Verwaltungsmitarbeiter persönlich überzeugten. In Detmold hatte sich die Verwaltung frühzeitig an die Gemeinden gewandt, sagt Bürgermeister Rainer Heller. In Lemgo sind Rats- und Ausschusssitzungen in Absprache mit den Fraktionschefs vorerst ausgesetzt. In Detmold nicht ganz: „Die Ratssitzung müssen wir durchführen, allerdings in der Stadthalle, wo Platz ist. Entscheidungen wie die zum Hornschen Tor können wir nicht mit wenigen Leuten als Dringlichkeitsentscheid durchwinken", so Heller.

Bad Salzuflens Bürgermeister Dr. Roland Thomas berichtet, dass alle bekannten Veranstaltungen auch ohne Kenntnis des Erlasses abgesagt gewesen seien. Entscheidungen zur Betreuung der Schüler und zu den politischen Gremien sollen heute fallen. Ulrich Knorr aus Schlangen, Sprecher der lippischen Bürgermeister, hält die Entscheidungen aus Düsseldorf noch für „ein wenig unausgegoren". „Wichtig ist, gelassen zu reagieren."

Private Veranstaltungen

Im Erlass selbst ist nur von Veranstaltungen die Rede, eine Definition fehlt. Auf Nachfrage der LZ legt das Ministerium (MAGS) in einer schriftlichen Erklärung nach: „Der Erlass bezieht sich sowohl auf öffentliche als auch private Veranstaltungen." Dem MAGS sei sehr wohl bewusst, dass dies von den Behörden vor Ort nicht in jedem Einzelfall kontrolliert werden könne.

„In einer solchen Situation wie der aktuellen ist unser Gemeinwesen auf die Solidarität aller Menschen angewiesen." Letzteres sieht Ulrich Knorr auch so: Die Gemeinde Schlangen habe bereits vor dem jüngsten Erlass mit einem Anschreiben am Freitag/Samstag alle Vereine und Organisationen aufgefordert, ihre Veranstaltungen zu überdenken. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das Anschreiben positiv aufgenommen wurde und die Menschen von sich aus handeln."

Schulen

Die Lemgoer Schulen haben Montag und Dienstag noch zwei Karenztage: Die Kinder dürfen noch kommen, damit Eltern etwas Luft haben, um die Betreuung zu regeln. Ab Mittwoch wird der Schulbetrieb dann komplett eingestellt. Die anderen Kommunen reagieren ähnlich. Die Kinder sollen nur in kleinen Gruppen aufeinander treffen. „Wir wollen keinen Hot-Spot schaffen, von dem aus sich das Virus dann erst recht verbreitet", betont Thomas Portong. Um sicherzustellen, dass die Schüler ihre Schulen am Montag und Dienstag erreichen können, bleibt der aktuelle Fahrplan zunächst bestehen.

Kindergärten

Für alle Kindergärten hat das Gesundheitsministerium ein Betretungsverbot erlassen, das ab heute morgen gilt. Ausgenommen sind Schlüsselpersonen, die etwa in Pflege und Gesundheitswesen, Ver- und Entsorgung oder Lebensmittelversorgung arbeiten sowie für Sicherheit und Ordnung zuständig sind.

Bis Mittwoch, 18. März, sollen Schlüsselpersonen eine Bescheinigung vom Arbeitgeber beibringen. „Das MKFFI erarbeitet derzeit ein Muster für diese Bescheinigung." Sobald das Muster vorliegt, informiere sie über das weitere Vorgehen, schreibt die Stadt Detmold. Noch am Wochenende hatte auch Lemgo alle Träger informiert, dass damit nur die Eltern ihre Kinder abgeben dürfen, die „Schlüsselpersonen" sind .

Die Notfall-Hotline, die die Stadt Lemgo im Jugendamt eingerichtet hatte, war „mäßig nachgefragt." Wenn Anfang der Woche feststehe, wie viele Kinder betreut werden müssen, zeige sich, ob und wie dauerhaft Notgruppen öffnen.

„Wir unterstützen natürlich die Entscheidung, Kindertagesstätten vorerst zu schließen", sagt Nina Otholt-Wall, stellvertretende Vorsitzende des Elternbeirats der Kita Retzen in Bad Salzuflen. „Wir erwarten aber von der Bundesregierung, dass sie Millionenpakete für die Unternehmen schnürt, damit Eltern ihren Lohn weiter bezahlt bekommen, wenn sie zuhause auf die Kinder aufpassen müssen. Denn wer kann schon auf unbestimmte Zeit auf sein Gehalt verzichten?"

Hochschule

Ursprünglich hatte die Technische Hochschule OWL zwar die Vorlesungen, nicht aber die Prüfungen im März abgesagt. Jetzt werden sie doch verschoben. Wohin, steht noch nicht fest.

Ministerium äußert sich zur Informationskette

Axel Birkenkämper, Pressesprecher des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales, nimmt im Interview Stellung zu den Irritationen über die unklare Informationskette vom Ministerium NRW bis zu den einzelnen Gemeinden und Städten.

Wenn die Umsetzung bereits seit Sonntag gilt, warum weiß ein Bürgermeister dann noch nichts davon?

Axel Birkenkämper: Wie aus dem Erlass selbst ersichtlich ist dieser am 13. März an die Bezirksregierungen sowie nachrichtlich an den Städtetag, den Landkreistag und den Städte- und Gemeindebund gegangen. Fragen zur Weiterverbreitung vor Ort müssten Sie an die Behörden vor Ort richten.

Was genau ist unter Veranstaltung zu verstehen? - Reden wir hier nur von öffentlichen Veranstaltungen, was ist, wenn ein Verein intern tagt, wenn eine Familie Geburtstag feiert?

Birkenkämper: Der Erlass bezieht sich sowohl auf öffentliche als auch private Veranstaltungen. Dem MAGS ist sehr wohl bewusst, dass dies von den Behörden vor Ort nicht in jedem Einzelfall kontrolliert werden kann. In einer solchen Situation wie der aktuellen ist unser Gemeinwesen auf die Solidarität aller Menschen angewiesen. Das MAGS bittet daher alle Bürgerinnen und Bürger – unabhängig von der Frage nach Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten – auch selbst kritisch zu überprüfen, ob geplante Veranstaltungen notwendig sind.

Der Erlass beinhaltet keine Frist, der betroffene Bürgermeister hat die Gültigkeit zunächst bis Ende April verkündet. Kann sich das jede Kommune zunächst aussuchen?

Birkenkämper: Der Erlass beinhaltet keine Frist, gilt daher bis auf weiteres und ist für alle Kommunen bindend. Ministerpräsident Armin Laschet hat in einer Pressekonferenz am 13. März allerdings verkündet, dass sich die Landesregierung darauf verständigt hat, dass die an diesem Tag beschlossenen Maßnahmen (dazu zählen beispielsweise auch das Aussetzen des Unterrichts in Schulen sowie das Betretungsverbot von Kitas) zunächst bis zum 19. April gelten sollen. Das bedeutet: Sollte der Erlass nach dem 19. April nicht mehr nötig sein, würde ihn das MAGS selbstverständlich wieder aufheben.

Wie ist die Durchsetzung dieses Verbotes seitens der Ordnungsbehörden zu überprüfen?

Birkenkämper: Sollte ein Veranstalter versuchen, trotz des Erlasses eine Veranstaltung durchzuführen, wird das Ordnungsamt eine Ordnungsverfügung erlassen und die Polizei die Veranstaltung vermutlich beenden. Daneben kann es Zwangsgelder und im Nachhinein noch Bußgelder oder sogar eine strafrechtliche Verfolgung geben. Aber wie bereits gesagt: Das MAGS geht davon aus, dass sich angesichts einer solch gewaltigen Herausforderung, mit der wir es derzeit zu tun haben, eine große Solidarität in der Gesellschaft zeigt, so dass es im Regelfall nicht zu solchen Schritten kommen wird.

Information
Alle aktuellen Informationen zur Corona-Krise gibt es im Liveblog nachzulesen.

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