Kriminologe in Detmold: Wie schulische Leistungen und der Fachkräftemangel zusammenhängen

Detmold. "Das Problem ,Fachkräftemangel' ist ein Jungsproblem. Die bringen die Leistungen nicht." Klare Worte des renommierten Kriminologen Prof. Dr. Christian Pfeiffer. Er sagt sie, ohne den "Kerlen", wie er sie respekt- und liebevoll tituliert, eine Alleinschuld daran zu geben. Vielmehr hätten sie (wie natürlich auch die Mädchen) einen besseren Umgang verdient, mehr Elternliebe, bessere Schulen. Und klarere Regeln, etwa was die Zeit vorm PC angeht.

Jungs spielen mehr und länger online als Mädchen, und Pfeiffer sieht einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem eingangs erwähnten Fachkräftemangel. "Die Mädchen sind auf dem Arbeitsmarkt deutlich besser unterwegs", sagte er in Detmold. "Die Jungs vernachlässigen das Lernen."

Pfeiffer, Anfang der 2000er Justizminister in Hannover, untersucht derzeit wieder für das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen in einer groß angelegten Studie die seit Jahren wachsende Leistungskrise der männlichen Jugendlichen, dies macht er seit 2007 regelmäßig. 12.000 Mädchen und Jungen an allgemeinbildenden Schulen in Baden-Württemberg und Niedersachsen bekommen in diesen Monaten den ausführlichen Fragebogen, und erstmals befragt das Institut bewusst zusätzlich in drei weiteren Bundesländern Waldorfschüler. 2000 sind sein Ziel.

Wertschätzender Umgang ist wichtig Mit einer zehnten Klasse in Detmold hat er nun begonnen. Pfeiffer sagte, er wolle den seiner Ansicht nach grassierenden Falschinformationen über Waldorfschulen etwas entgegensetzen; den im Vergleich zu vielen anderen Schulen wertschätzenderen Umgang der Schüler untereinander wissenschaftlich belegen.

"Waldorfschulen kümmern sich mehr um ihre Schüler, ihre Absolventen werden keine fehlenden Fachkräfte sein. Hier gibt es vieles, von dem andere Schulen was lernen können." Die Schulgemeinschaft sei eine besondere, und wenn 13/14-Jährige in einer "Null-Bock-Phase" steckten, blieben sie bei schlechten Noten nicht sitzen, sondern würden aufgefangen. "Die machen dann ihren Weg. Die Schule muss die Lust am Lernen wecken."

"Bekommen differenzierte Angaben" Freizeitverhalten, Herkunft, Wohnumfeld, Konsum, Rollenverständnis, Gewalterfahrungen als Täter oder Opfer... "Wir erfassen das gesamte Leben", erklärte der Kriminologe; im Kern ist der Fragebogen seit 20 Jahren unverändert. Nun kommen Corona-Erfahrungen und die Eindrücke eines Krieges in europäischer Nachbarschaft dazu. "Differenzierte Aussagen zum Lernverhalten, zu Gewalterfahrungen oder zu Frustrationserlebnissen werden möglich sein."

Die Zehntklässler haben den Fragebogen als Testlauf für die anstehende Online-Befragung in einer Unterrichtsstunde ausgefüllt und Pfeiffer im Anschluss wertvolle Tipps zu dessen Verbesserung gegeben. Es fehlten Fragen nach Zukunfts-Vorstellungen, sagte eine Schülerin; eine andere fand die Ja/Nein-Antwortalternativen zu undifferenziert. Eingetragen zu haben, bis spät in die Nacht am Computer zu spielen und das dann schwarz auf weiß zu lesen, habe ihn schon erschreckt, sagte ein Schüler. "Und es stimmt, morgens lässt die Konzentration schnell nach."

"Die Rolle der Eltern ist nicht hoch genug zu bewerten" Für Pfeiffer, mittlerweile 79 Jahre alt und ein engagierter Fürsprecher der Jugend wie eh und je, ist nach jahrelanger Forschungsarbeit klar: Die Rolle der Eltern ist nicht hoch genug zu bewerten. "Unsere Frage an die Schüler, wie oft sie als Zwölfjährige in den Arm genommen worden sind, ist eine ganz zentrale. Je mehr Liebe, desto weniger Hiebe. Das können wir durch solche Untersuchungen nachweisen." Es gehe immer um respektvollen, liebevollen Umgang ohne Schläge oder Züchtigungen. "Erziehung muss gewaltfrei laufen. In den Südstaaten der USA sagen 60/70 Prozent der Eltern, körperliche Züchtigung sei okay. Wie sehen ja, was in den USA los ist."

Er sei gespannt, wie die 2023er-Umfrage im Vergleich zu der des Jahres 2019 ausfallen werde: "Damals hatten wir ein dramatisch-positives Ergebnis: weniger Hiebe, mehr Liebe. Doch jetzt hatten wir den Lockdown. Wir werden die Konsequenz für die Jugend nachweisen."

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