Bad Salzufler Unfallfahrer wegen versuchten Mordes zu mehreren Jahren Haft verurteilt

Bad Salzuflen/ Detmold. Einen Fall wie diesen hatte er in seiner ganzen Laufbahn noch nie gesehen, sagt Alexander Harder, Sachverständiger für Unfallrekonstruktion bei der Dekra, vor Gericht. Dass ein Roller während der Fahrt von hinten angefahren wird, sei sowieso schon selten. Aber dass eine Vespa sich auch noch beim Zusammenstoß im Kühler des Unfallwagens verkeilt und mehrere Kilometer thronend wie eine Galionsfigur mitgeschleift wird, übertrifft aus Sicht des Gutachters alles. Seine Analyse ist ein Höhepunkt des zweiten Prozesstages - und der endet mit einem Urteil.

&bdquo;Das Ganze war sehr ungewöhnlich“, meint der Analytiker, der den schweren Unfall vom 22. Januar am Messezentrum in Bad Salzuflen detailliert untersucht hat. Möglicherweise habe der Roller des lebensgefährlich verletzten Mädchens (damals 17 Jahre alt), der sich 35 Zentimeter in den Transporter bohrte, nach der Kollision sogar weiter geleuchtet. Schließlich habe das Licht funktioniert und gehe bei jeder Fahrt automatisch an, sagt Harder. Bei einem Punkt ist sich der Sachverständige daher zu 100 Prozent sicher: &bdquo;Der Fahrer muss den Roller in der Kühlerhaube gesehen haben.“ Daran besteht aus seiner Sicht gar kein Zweifel. Genau das ist es aber, was der angeklagte Salzufler (44) vor Gericht bestritten hat.

Das Schwurgericht unter dem Vorsitz von Richter Karsten Niemeyer glaubt dem 44-jährigen Unfallfahrer aus Bad Salzuflen diesen Teil seiner teils geständigen Aussage nicht. &bdquo;Wir sitzen hier, weil der Fahrer nach dem Unfall alles falsch gemacht hat, was er falsch machen konnte“, sagt Niemeyer in der Urteilsverkündung. Deshalb verurteilt die Kammer den Angeklagten am Ende der mehrstündigen Beweisaufnahme wegen fahrlässiger Körperverletzung und versuchten Mordes durch Unterlassen mit Fahrerflucht zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe. Außerdem soll der Unfallfahrer für drei Jahre den Führerschein abgeben.

Angeklagter profitiert vom Glück der Geschädigten Dass die Kammer mit ihrem Urteil so deutlich unter dem Antrag von Oberstaatsanwalt Christopher Imig bleibt, der sich zuvor im Plädoyer für eine Haft von fünf Jahren und drei Monaten ausgesprochen hat, liegt laut dem Vorsitzenden Richter einzig am Gesundheitszustand der inzwischen 18 Jahre alten Emilia. &bdquo;Das Glück der Geschädigten schlägt beim Angeklagten durch.“ Zwar hatte Emilia beim Unfall eine gebrochene Schulter und lebensgefährliche Hirnblutungen erlitten, inzwischen geht es der jungen Frau körperlich sowie mental aber wieder gut. Andernfalls wäre die Strafe sicher noch höher ausgefallen, sagt der Richter.

Weshalb der 44-jährige Transporterfahrer Emilias beleuchtete Vespa auf der geraden und ebenfalls gut beleuchteten Bundesstraße (B239) übersehen hatte, bleibt am Ende rätselhaft. Nach Aussagen des Unfallanalytikers hätte der Fahrer das Mädchen zumindest trotz der schlechten Wetterverhältnisse wahrnehmen müssen. Gegen einen Fahrfehler der jungen Rollerfahrerin spreche der Winkel der Kollision. Die Vespa sei völlig gerade aufgespießt worden, das Mädchen dann mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geknallt und rechts hinuntergefallen, sagt der Gutachter. &bdquo;Im Helm sieht man noch die deutlichen Spuren des Scheibenwischers.“ Den Helm hatte die junge Frau demnach auf. &bdquo;Er hat ihr das Leben gerettet“, sagt auch Oberstaatsanwalt Christopher Imig.

Mädchen wurde in vollem Bewusstsein liegen gelassen Der Unfallfahrer selbst ist mit dem Bewusstsein weitergefahren, einen Menschen möglicherweise schwer verletzt zu haben, davon ist das Schwurgericht überzeugt. Ein Mischbier und eine Dose Whisky-Cola am Abend könnten einen alkoholgewöhnten Menschen nicht stark beeinflusst haben. &bdquo;Der Roller steckte ja förmlich vor seinen Augen - wie eine Galionsfigur“, sagt der Richter. Daher kann das Gericht der Argumentation von Verteidiger Axel Isermann aus Enger nicht folgen, nach der seinem Mandanten ja gar nicht klar gewesen sein konnte, dass Emilia überhaupt schwere Verletzungen erlitten hatte. &bdquo;Er hat sie ja noch nicht mal gesehen“, sagt der Richter.

Die drei Beweisanträge, die der Verteidiger kurz vor Ende des Verhandlungstages noch einfließen lassen will, schmettert die Kammer nach kurzer Beratung ab. Verteidiger Axel Isermann hatte unter anderem noch herausfinden lassen wollen, ob die Hirnblutungen der jungen Frau nicht auch die Ursache für den Unfall gewesen sein könnten. &bdquo;Ich kann nicht ausschließen, dass der Roller kurzfristig ins Sichtfeld meines Mandanten kam“, führt der Verteidiger aus. &bdquo;Es muss nach festgestellten Tatsachen entschieden werden.“ Für diese Theorie sehen aber weder die Kammer noch Oberstaatsanwalt Anhaltspunkte.

Emilia selbst hört sich das Urteil als Nebenklägerin an der Seite ihrer Anwältin Dorothea Springstein ruhig an, ihre Familie und Freunde sitzen im Zuschauerraum. Dass sich der Angeklagte bei ihr entschuldigt hat, hätte nichts mit ihr gemacht, sagt sie. &bdquo;Es ändert ja nichts an dem, was passiert ist.“ Die 18-Jährige ist nur froh, nach dem Prozess endlich mit dem Unfall abzuschließen und nach vorne blicken zu können.

Der Angeklagte darf am Mittwochnachmittag dann sogar das Gerichtsgebäude auf eigene Faust verlassen. Denn das Schwurgericht setzt den Haftbefehl zunächst außer Vollzug. Die Auflage: Der 44-Jährige muss sich einmal wöchentlich bei der Polizei melden. Das heißt, der Salzufler muss die Haftstrafe erst antreten, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Dass sein Verteidiger Revision einlegt, ist nicht unwahrscheinlich. Schließlich hat Isermann auf eine &bdquo;gerechte Strafe“ wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort plädiert und für den versuchten Mord einen Freispruch erhofft.

Weiteres juristisches Nachspiel Das Nachtatverhalten des Angeklagten wird wohl noch weitere Konsequenzen haben. Wahrscheinlich wird sich bald auch der Chef des Angeklagten vor Gericht wegen Strafvereitelung verantworten müssen. Der soll seinem Mitarbeiter geholfen haben, die Tat zu vertuschen. Sowohl Roller als auch Transporter hatte die Polizei am Tag nach dem Unfall auf dem Salzufler Firmengelände gefunden. Der Tipp dazu an die Polizei kam von einem Arbeitskollegen des Angeklagten. Weil der jetzt wiederholt nicht als Zeuge vor Gericht erschienen ist, muss er nun ein Ordnungsgeld von 150 Euro zahlen.

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