Tötungsvorwurf vom Tisch: Deshalb erwarten zwei junge Lagenser dennoch lange Haftstrafen

Detmold/Lage. Fassungslos blicken die Angehörigen den beiden 19-Jährigen auf dem Weg zurück in die Zellen hinterher. Da ist das Urteil gerade wenige Minuten alt. Den etwas jüngeren Angeklagten packt für einen kurzen Moment die Wut, als die Vorsitzende Richterin Anke Grudda das Strafmaß verkündet. Es ist vielleicht der erste von neun Prozesstagen, an denen den beiden Angeklagten nicht zum Lachen zumute ist. Beide müssen für mehrere Jahre ins Gefängnis.

Am Ende ist die Anklage nicht mehr ganz haltbar: Seit Mitte Mai müssen sich die 19-Jährigen vor der Großen Jugendkammer wegen Totschlags und versuchten Mordes verantworten. Das Duo soll im November einen 40-jährigen Bekannten im Iltisweg getötet und danach seine Wohnung in Brand gesetzt haben, um die Tat zu vertuschen. Den Vorwurf eines vollendeten Tötungsdelikts nimmt die Staatsanwaltschaft am Ende zurück. &bdquo;Was genau in der Wohnung passiert ist, können wir nur erahnen“, sagt Staatsanwältin Helena Fromme im Plädoyer.

Lange Haftstrafe für den älteren Angeklagten Genauso sieht es am Ende auch das Gericht. Die Große Jugendkammer verurteilt den ein paar Monate älteren Angeklagten nach einer teils &bdquo;ernüchternden Beweisaufnahme“ wegen vorsätzlicher Körperverletzung und schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Körperverletzung zu sechs Jahren Haft nach Jugendstrafrecht. Das Gericht stützt sich dabei auf die Angaben des älteren Angeklagten. Schon zum Prozessauftakt hatte der vorbestrafte Lagenser gestanden, den 40-Jährigen geschubst und dabei versehentlich getötet zu haben.

Der alkoholisierte Mann soll durch den Schubser an diesem Novembernachmittag an die Wand gestoßen und tot zu Boden gegangen sein. Den Brand hätten die Jungs später gelegt, um Spuren zu verwischen. Der ältere Angeklagte hat auch hier betont, den Spiritus allein verteilt und das Feuer selbst gelegt zu haben. Die Kammer muss seine Angaben so hinnehmen, alternative Beweise hat sie nicht. Sicher ist nur, dass der Mann nicht durch den Brand gestorben ist, sondern durch stumpfe Gewalt. Die Vorsitzende macht daher im Saal deutlich, dass das Gericht erhebliche Zweifel daran hat, dass sich das Tatgeschehen wirklich so abgespielt hat. Das Aggressionspotenzial, die Misshandlungsvideos - nichts deute auf eine oft dargestellte Freundschaft zwischen den Angeklagten und dem Opfer hin.

Rechtsanwalt Johannes Salmen, der wie sein Kollege Dr. Detlev Binder eine Jugendstrafe von unter fünf Jahren für den gemeinsamen Mandanten fordert, bringt es im Plädoyer auf den Punkt. Die Tat sei aus einem &bdquo;Sumpf“ heraus begangen worden. Über Monate hatte sich die Gruppe aus Jugendlichen förmlich beim Getöteten eingenistet, sie &bdquo;lungerten herum, tranken und nahmen Drogen“. Kaum ein Zeuge aus dem Umfeld schien im Verlauf des Prozesses ernsthaftes Interesse zu haben, an der Wahrheitsfindung mitzuwirken. Ähnlich hat es auch die Kammer empfunden. Richterin Grudda blickt während der Urteilsbegründung streng in den Zuschauerraum. &bdquo;Ich bin sicher, dass einige wissen, was in der Nacht wirklich passiert ist.“ Das Gericht sei teilweise eiskalt angelogen worden.

Handyvideo als wichtiges Indiz Für das in der Wohnung gelegte Feuer sieht das Gericht beide Angeklagte dennoch verantwortlich. Laut der Vorsitzenden ist ein Handyvideo dazu wichtiges Indiz. &bdquo;Das Video ist der zentrale Punkt dieses Verfahrens“, sagt Grudda. Ohne die Aufnahmen wäre es wahrscheinlich nicht mal zur Festnahme gekommen. Dass die beiden sich unmittelbar nach dem Ausbruch des Feuers in der Nähe des Tatorts filmten, Faxen machten, sich gegenseitig beschuldigen und dann der Ältere den Satz fallen ließ &bdquo;Wir sind die Mörder“ ist aus Sicht des Gerichts entlarvend. Nur Tatbeteiligte hätten zu diesem Zeitpunkt von einem toten Menschen in der Erdgeschosswohnung wissen können. &bdquo;Eine andere plausible Erklärung gibt es aus Sicht der Kammer nicht.“

Deshalb verurteilt das Gericht den anderen Angeklagten wegen Beihilfe zu schwerer Brandstiftung samt Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren Haft. Dabei muss die Kammer noch ein Urteil von Mai berücksichtigen, als der 19-Jährige wegen einer Einbruchsserie und Körperverletzung zu einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden war. &bdquo;Sie müssen nicht den Kopf schütteln, aus der Nummer kommen Sie nicht mehr heraus“, sagt die Richterin. Der 19-Jährige habe seine Versionen immer an den Stand der Ermittlungen angepasst. Die Kammer glaubt ihm nicht, dass er mit der Sache nichts zu tun hat. Deshalb gibt es - anders wie von Verteidiger Hendrik Schnelle gefordert - nur für das vermeintliche Tötungsdelikt einen Freispruch.

Keine Empathie der Angeklagten Vom Vorwurf des versuchten Mordes rückt das Gericht anders als die Staatsanwaltschaft ab. Staatsanwältin Helena Fromme ist überzeugt, dass beiden bewusst gewesen sein muss, dass sie mit dem Feuer andere Bewohner des Mietshauses hätten töten können. Die Staatsanwältin beantragt daher für die Angeklagten siebeneinhalb Jahre und fünf Jahre Haft. Das Gericht muss aber laut Grudda bei dieser Bewertung auch die Persönlichkeiten der Angeklagten in Betracht ziehen. Beide hätten - nicht zuletzt durch ihr Verhalten im Gerichtssaal - erhebliche Entwicklungsdefizite und Unreife gezeigt.

Wie wenig der Tod des 40-Jährigen die beide gekümmert hatte, habe das Gericht mit Schrecken zur Kenntnis genommen. Es hätte an jeglicher Empathie gefehlt. &bdquo;Das ist ein erschreckendes Bild, was Sie hier abgegegen haben“, sagt die Richterin. Wie sich gerade der ältere Angeklagte entwickelt habe, sei besorgniserregend. Nur sein Geständnis sei für das Verfahren ungemein wertvoll gewesen. Das mildere auch das Urteil ab. &bdquo;Wenn Sie diese Strafe verbüßt haben, haben sie 10 Jahre im Gefängnis verbracht. Andere werden in dieser Zeit erwachsen und leben ihr Leben.“

Beide Jugendliche nutzen das ihnen zustehende letzte Wort, um sich zu entschuldigen. &bdquo;Ich möchte meine Familie stolz machen und nicht mehr traurig“, sagt der Jüngere. Ob sie es ernst meinen, wird sich zeigen. Wie sie sich geben, lässt daran zweifeln.

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