Detmold/ Bad Salzuflen. Auf der Anklagebank sitzt ein gebrechlicher alter Mann. Er wirkt in seinem grauen Anzug unscheinbar, nur der goldene Ehering sticht hervor. Allein die Taten, die dem heute 77-Jährigen aus Bad Salzuflen vorgeworfen werden, deuten auf eine langwierige Beweisaufnahme hin. Beim Prozess vor dem Landgericht kommt es überraschenderweise anders. Kurz nach Beginn lässt der ehemalige Busfahrer für eine Behindertenwerkstatt in Lemgo über seinen Verteidiger einräumen, im Frühjahr 2024 eine seiner geistig behinderten Fahrgäste während der Fahrt dreimal vergewaltig zu haben. Vorsitzender spricht von „krasser Ausnahme“ Dass der Senior am Ende nicht für mehrere Jahre ins Gefängnis muss, beschreibt der Vorsitzende Richter Karsten Niemeyer als „außergewöhnliches Urteil“ und eine „krasse Ausnahme.“ Trotz der erheblichen Schwere der Vorwürfe verurteilt die Große Strafkammer den Mann wegen Vergewaltigung in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses, zu zwei Jahren Haft - auf Bewährung. Darüber hinaus soll der Salzufler 7000 Euro Schmerzensgeld an das Opfer (heute 46) zahlen. Die Höhe hatten sein Verteidiger Dr. Detlev Binder und Opferanwalt Christian Thüner, der die Betroffene in der Nebenklage vertritt, kurz vorher auf dem Gerichtsflur ausgehandelt. Damit es verbindlich wird, erlegt die Kammer dem Angeklagten auf, das Schmerzensgeld in Raten von 200 Euro zu bezahlen. Das Urteil stimmt mit den Anträgen von Staatsanwältin Sarah Garbuszus und Verteidiger Dr. Detlev Binder überein. Der Nebenklagevertreter stellt die Höhe des Strafmaßes ins Ermessen des Gerichts - ist mit dem Ergebnis einverstanden. Opfer muss nicht aussagen Dass es trotz der Schwere der Vorwürfe zu einer vergleichsweise milden Strafe kommt, liegt am umfangreichen Geständnis genauso wie am Täteropferausgleich durch das Schmerzensgeld. „Er hat ihr die Tat nicht erspart, die polizeiliche Vernehmung nicht erspart, aber immerhin die Aussage vor Gericht“, sagt Staatsanwältin Garbuszus. Für die betroffene Frau wäre es das Schlimmste gewesen, noch einmal aussagen zu müssen, das bestätigt auch ihr Anwalt. Auch die Kammer berücksichtigt das. „Wir haben hier eine Behinderte, die traumatisiert ist“, sagt Richter Niemeyer. Das Geständnis bedeutet daher viel, auch wenn es die erhebliche Straftat nicht schmälert. Der Senior sei zudem nicht vorbestraft und hatte zwei Monate in U-Haft gesessen. „Er hat ein hohes Alter, sodass er nicht mehr in die Situation kommt, dass ihm jemand so ausgeliefert ist“, sagt der Vorsitzende. Der Fahrer hatte die Frau eigentlich sicher zu ihrer Arbeitsstätte bei der Werkstatt der Lebenshilfe in Lemgo-Lieme und wieder zurück nach Bad Salzuflen bringen sollen, stattdessen nutzte er eine abgelegene Parkbucht im Wald aus, um die geistig behinderte Frau im April und Mai 2024 zu vergewaltigen. Zu drei Gelegenheiten, immer dann, wenn sie als letzter Fahrgast im Kleinbus verblieben war. Vergewaltigung an einer Parkbucht „Das tut weh“, soll sie gesagt haben. Davon ließ sich der Täter nicht abhalten. Es tue ihm leid, lässt der Senior nun über Verteidiger Binder erklären. „Er hofft, dass die Geschädigte das verarbeiten kann.“ Das Opfer ist nicht anwesend. Dafür machen sich die Prozessbeteiligten über Ausschnitte aus der polizeilichen Videovernehmung einen Eindruck von der geistig behinderten Frau. Untermauert wird dieser von der als Zeugin geladenen Schwester. „Sie ist 46 Jahre alt, hat aber ein sehr kindliches Wesen“, sagt die Salzuflerin. „Es muss immer jemand da sein, um auf sie aufzupassen.“ Sie hätte ihre Schwester noch nie so viel weinen sehen, wie in den ersten Monaten nach den Taten, sagt die Angehörige. Inzwischen gehe es ihr besser. Sie arbeitet weiterhin bei der Lebenshilfe, wird nur noch von Busfahrerinnen gefahren, heißt es. Dass der Fall ans Licht kam, war mehr Zufall. Einige Wochen nach den Taten fiel einer Arbeitskollegin auf, dass sich die Frau in der Umkleidekabine im Intimbereich säuberte. Darauf angesprochen soll die Betroffene von den Vergewaltigungen erzählt haben. Sie selbst hat laut ihrer Schwester keinerlei sexuelle Erfahrungen. „Sie hätte sich so etwas gar nicht ausdenken können.“ GPS-Daten des Busunternehmens zeigen wohl ebenfalls auf, wann der Kleinbus auf der Strecke länger gehalten hatte. Durch das Geständnis muss die Kammer aber nicht mehr tiefer in die Beweisaufnahme einsteigen. Lebenshilfe als Träger unter Schock Rudolph Langemann, Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe Lemgo, macht der Fall immer noch sprachlos. Es sei der Erste dieser Art bei der Lebenshilfe gewesen. „Es ist absolut abscheulich, dass so etwas passiert“. Die Lebenshilfe selbst habe auf die Vergabe der Busunternehmen und deren Organisation keinen Zugriff, habe aber nach Bekanntwerden der Vorwürfe umgehend reagiert und die Sache gemeldet. Langemann: „Wir machen viel für Gewaltprävention, weil unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders schutzbedürftig sind. Leider gibt es immer wieder Menschen, die das ausnutzen.“ Erst im Dezember 2023 hatte ein Busfahrer für eine andere Behindertenwerkstatt in Lemgo vor Gericht gestanden, weil er sich sexuell an einer Autistin vergangen hatte. Auch er bekam eine Bewährungsstrafe. Das jetzige Urteil wegen der dreifachen Vergewaltigung ist bereits im Saal rechtskräftig geworden.