Detmold. Der Andrang im Zuschauerraum ist groß, die Anspannung auf der Anklagebank gewaltig. Zumindest wirkt das Nervenkostüm der sich seit rund 10 Monaten wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Untreue vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer verantwortenden Rechtsanwältin aus Detmold dünner als zuletzt. An Prozesstag 28 rechnen offenbar einige Beobachter damit, dass tatsächlich ein Urteil fallen könnte. Selbst der leitende Ermittler nimmt zunächst im Saal Platz. Am Ende des Sitzungstages haben sich die Reihen stark gelichtet, kaum jemand bleibt bis zum Schluss. Da ist längst klar, es kommt wieder etwas anders als gedacht. Davor zermürben mehrere, teils mehrstündige Unterbrechungen nach und nach die Geduld der anwesenden Zuschauerinnen und Zuschauern. Verteidigerin Christina Peterhanwahr nutzt direkt zu Beginn ihre fristbedingte letzte Chance, um noch sechs Beweiseinträge zu stellen. Einer sieht vor, ein psychiatrisch-neurologisches Sachverständigengutachten einzuholen, weil ihre Mandantin nach einer schweren Coronaerkrankung unter einer krankhaften seelischen Störung sowie Bewusstseinsstörung gelitten habe. Durch das sogenannte „Brain Fog“-Syndrom sei die vorrangig als Berufsbetreuerin tätig gewesene Juristin von Dezember 2021 bis Ende Juli 2022 erheblich kognitiv beeinträchtig und verwirrt gewesen. Für Oberstaatsanwalt Christopher Imig sieht dieser Beweisantrag wieder mehr danach aus, als ob die Verteidigung an Prozessverschleppung interessiert sei. Schließlich werde seit knapp einem Jahr verhandelt, sagt Imig, bisher habe alles „gut funktioniert“ und eine verminderte Schuldfähigkeit seitens der Angeklagten nie im Raum gestanden. Die angegebene Diagnose gehöre außerdem nicht zu einem der vier nötigen Eingangsmerkmale, um tatsächlich von einer krankhaften seelischen Störung und damit einer eingeschränkten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit auszugehen. Antrag wird abgelehnt Die Kammer unter dem Vorsitz von Richterin Katharina Schikowski sieht das ähnlich und weist darüber hinaus in ihrem Beschluss später noch einmal auf die eigene Sachkunde des Gerichts hin. Dieses hätte nämlich von sich aus ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag geben müssen, hätte es etwaige Anhaltspunkte gegeben. Daher wird der Antrag abgelehnt. Bis die Kammer den Stand der Beratung allerdings mitteilt, vergehen insgesamt knapp vier Stunden. Immer wieder wird die geplante Fortsetzung nach hinten verschoben, es verzögert sich mehrfach. Davor hatten die Vertreter der Staatsanwaltschaft bereits eine Stunde, um ihre eigenen Stellungnahmen vorzubereiten. Erst am späten Nachmittag setzt die Kammer die Sitzung fort. Zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass nicht mehr plädiert wird – selbst wenn alle Beweisanträge abgeschmettert worden wären. Dazu kommt es aber eh nicht. Die meisten von der Verteidigerin zum Verlesen beantragten Unterlagen führt die Vorsitzende ad hoc ein, drei andere Anträge für die Vernehmung weiterer Zeugen sowie der Einholung eines Sachverständigengutachtens für Arbeitszeit von Rechtsanwaltsfachangestellten lehnt das Gericht dagegen ab. Begründet wird das überwiegend damit, dass es sich dabei bloß um Wiederholung der bereits geleisteten Beweisaufnahme handeln würde – oder es spricht aus Sicht der Kammer für die Entscheidung keine Rolle. Trotz mehrstündiger Beratung bleibt die Entscheidung zu zwei Beweisanträgen dann noch aus. Ein Antrag sieht vor, ob die komplettem Chatprotokolle zwischen der Angeklagten und einer Angestellten verlesen werden sollen. Außerdem sollte aus Sicht der Verteidigung nachgewiesen werden, dass die Medikamente einer betreuten Person ihr Erinnerungsvermögen erheblich beeinflusst hätten. Keine Gefühlsregung der Angeklagten Aus Sicht der Staatsanwaltschaft wäre das mehr ein Ausforschen und völlig ins Blaue hinein geraten. „Es wird etwas behauptet, was den Gesetzen der Naturwissenschaft widerspricht“, erklärt Oberstaatsanwalt Imig. Bei allen gestellten Anträgen geht es zuletzt um Detailfragen zu den Monate hinweg verhandelten Anklagepunkten. Wie es damit weitergeht, hält das Gericht zum Schluss offen. Obwohl die angeklagte Anwältin ihrer ehemals mitangeklagten und parallel bereits verurteilten Kanzlei-Mitarbeiterin zuletzt den Vorwurf gemacht hat, ihre Unterschrift für einen Antrag auf Verhinderungspflege gefälscht zu haben, gehen beide in den Verhandlungspausen offen aufeinander zu. Das in Auftrag gegebene LKA-Gutachten hatte nicht sicher feststellen können, ob es sich bei der Unterschrift um eine Fälschung handeln könnte. Ganz nebenbei erteilt die Kammer noch den rechtlichen Hinweis, dass im Falle einer Verurteilung auch ein Berufsverbot in Betracht kommen könnte. Die angeklagte Anwältin lässt sich dazu keine Gefühlsregung anmerken. Der Prozess wird am Freitag, 26. September, fortgesetzt. Dann könnte ein Urteil fallen.