S-Bahn-Pläne für Lippe: Ab 2029 werden Züge in Lage „geflügelt“

Kreis Lippe. Keine Dieseltriebwagen mehr, sondern umweltfreundliche Akku-Züge in Lippe, ein Halbstundentakt zwischen Bielefeld und Lemgo und zweite Bahnsteige in Lemgo und Horn-Bad Meinberg: Das sind Bestandteile des Konzepts der S-Bahn OWL, die im Jahr 2029 umgesetzt werden sollen. Neue batterieelektrische Triebwagen von Siemens, sogenannte Bemu-Fahrzeuge (Battery Electric Multiple Unit), sind bereits bestellt. Was die S-Bahn-Pläne für Lippe bedeuten, das erklärt Anja Stocksieker, leitende S-Bahn-Planerin beim zuständigen Verband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL), im Interview. Der NWL beauftragt Eisenbahnunternehmen wie die Eurobahn, Züge auf den Schienen fahren zu lassen.

Wie weit ist das Konzept für die S-Bahn OWL?

Anja Stocksieker: Unsere Zielmarke ist der Fahrplanwechsel im Dezember 2029. Da passiert in Lippe ganz viel. Dann bekommen wir hier in OWL die neuen Bemu-Fahrzeuge, die die bestehenden Dieselfahrzeuge ablösen. Das Zielkonzept der S-Bahn OWL nennt zwar das Jahr 2040. Wir haben den Fokus aber erst mal auf die Vorstufe 2029 gelegt, denn dieser Termin ist – anders als das Zielkonzept – nicht abhängig vom Neubau der Bahnstrecke Bielefeld-Hannover. Wir wollen schon vorher umsetzen, was geht.

Sie haben 61 neue Akku-Züge bestellt ...

Anja Stocksieker: Richtig. Die Fahrzeugausschreibung fürs Netz nördliches Westfalen ist abgeschlossen, wir wissen, welche Fahrzeuge kommen: Es handelt sich um Züge vom Typ Siemens Mireo. Alle jetzigen Dieselzüge werden durch die batterieelektrischen Triebwagen ersetzt.

Die Strecke zwischen Bielefeld und Lemgo, auf der die Regionalbahn 73 derzeit mit Dieseltriebwagen fährt, ist nicht elektrifiziert. Wie viel Oberleitung müssen Sie neu bauen, damit die neuen Züge unterwegs ihre Akkus aufladen können?

Anja Stocksieker: Gar keine. Die Oberleitung, die wir haben, reicht aus. Fahrdraht haben wir auf dem Stück zwischen Bielefeld Hauptbahnhof und Bielefeld Ost. Für den RE 82 Richtung Altenbeken ist dann das Stück ab Lage elektrifiziert. Das reicht aus, um die Batterien aufzuladen und auf dem oberleitungsfreien Abschnitt fahren zu können.

Wie hoch ist die Reichweite der Akku-Züge?

Anja Stocksieker: 80 bis 120 Kilometer sollten locker machbar sein, natürlich abhängig von der Batteriekapazität. Da spielt aber auch die Topographie der Strecke eine Rolle: Wenn ich im Sauerland unterwegs bin, habe ich ganz andere Gegebenheiten als auf dem platten Land. Außerdem hat die Jahreszeit Einfluss. Wir haben immer mit Worst-case-Szenarien gerechnet, zum Beispiel mit der Klimaanlage im Sommer auf voller Leistung oder mit der Heizung im Winter. Letztlich ist die theoretische Reichweite aber nicht so entscheidend, sondern es sind das Betriebsprogramm und die bei uns vorhandenen oberleitungsfreien Abschnitte. Und dafür haben wir die Zusage der ausreichenden Reichweite zuzüglich zehn Prozent Puffer. Zudem sind unsere Bemu besonders leicht und energiesparend.

Ist es damit vom Tisch, die Strecke zwischen Bielefeld und Lemgo mit einer Oberleitung auszustatten?

Anja Stocksieker: Wir wünschen uns die Elektrifizierung natürlich. Aber wir brauchen sie für die Bemu-Fahrzeuge nicht. Die Millionen, die das kosten würde, können wir an anderer Stelle viel besser einsetzen.

Und auf lange Sicht?

Anja Stocksieker: Im Zielkonzept 2040 sind drei Fahrten pro Stunde zwischen Bielefeld und Lage vorgesehen, die sich in Lage Richtung Lemgo beziehungsweise Detmold/Altenbeken aufteilen. Wenn ich drei Linien auf dieser Strecke habe, dann ist der Fahrdraht die wirtschaftlichere Methode. Denn die Bemu-Züge sind teurer als reine Elektro-Triebwagen.

Das könnte also bei der nächsten Ausschreibung eine Rolle spielen?

Anja Stocksieker: Ja. Das Thema Elektrifizierung ist für den Moment in die Schublade gelegt. Aber die Schublade darf auch gern wieder geöffnet werden.

Welche Vorteile gibt es denn nun für Lippe durch die neuen E-Züge?

Anja Stocksieker: Wir setzen das Flügelzugkonzept um. Den Halbstundentakt nach Lemgo , der den jetzigen Stundentakt ersetzt, streben wir schon lange an. Das können wir dann endlich umsetzen und werden deutlich mehr Fahrzeugkilometer fahren. Die Züge bestehen aus zwei aneinandergekoppelten Fahrzeugen zwischen Bielefeld und Lage, und dann splittet sich die Linie RE 82 auf: Ein Ast fährt weiter nach Altenbeken, der andere nach Lemgo-Lüttfeld. Durch die Überlagerung mit der RB 73 haben wir den Halbstundentakt zwischen Lemgo und Bielefeld.

Welche Voraussetzungen brauchen Sie dafür?

Anja Stocksieker: Wir brauchen Infrastruktur. Die Züge werden in Lemgo kreuzen. Dafür muss der zweite Bahnsteig ausgebaut werden. In Horn-Bad Meinberg wird es ebenfalls eine Zugkreuzung geben. Dort brauchen wir ein weiteres Gleis und ebenfalls einen Bahnsteig. Das ist die größte Maßnahme.

Wie werden die Fahrgäste zum zweiten Gleis kommen? Durch einen Tunnel?

Anja Stocksieker: Nein, ein Tunnel wäre etwas überdimensioniert. Es sind technisch gesicherte Reisendenüberwege geplant. Sie kommen auf den Mittelbahnsteig, indem sie ein Gleis überqueren. Weitere Verbesserungen ab Ende 2029 ergeben sich für Bad Salzuflen.

Inwiefern?

Anja Stocksieker: Bad Salzuflen wird endlich einen Halbstundentakt erhalten und gleichzeitig eine umsteigefreie Verbindung nach Bielefeld. Umgesetzt werden soll dies auch mit einem Flügelzug, in diesem Fall die RB 71. Der Zug fährt mit zwei Zugteilen zwischen Bielefeld und Herford, dann fährt ein Zugteil weiter nach Bad Salzuflen. Wir nutzen dort den bestehenden Mittelbahnsteig, der allerdings noch barrierefrei umgebaut werden muss. Durch die Überlagerung mit der bestehenden RB 72 haben wir einen Halbstundentakt geschaffen.

Ist die Reaktivierung der Begatalbahn bis Barntrup ebenfalls im Zielnetz 2040 zu finden?

Anja Stocksieker: Ja. Das Ergebnis der Machbarkeitsstudie liegt ja vor und ist sehr gut. Ob wir weiter in die Umsetzung gehen können, hängt von den Geldern ab, die vielleicht auch aus dem Sondervermögen des Bundes bei uns ankommen. Theoretisch ist eine Reaktivierung der Begatalbahn auch vor 2040 möglich und daher bereits im Zielnetz 2032 aufgeführt, allerdings nur mit einem Stundentakt. Im Zielnetz 2040 soll dort dann die nach Lemgo-Lüttfeld halbstündlich verkehrende S-Bahn auch halbstündlich weiter bis Barntrup-Ost fahren. Alles natürlich wie immer unter dem Vorbehalt der finanziellen Mittel.

Vor noch nicht allzu langer Zeit war die Rede von zusätzlichen Haltestellen für die S-Bahn, etwa am Hasselter Platz in Detmold oder an der Wittekindstraße. Peilen Sie die ebenfalls für 2040 an?

Anja Stocksieker: Im Zielkonzept 2040 wurden weitere potenzielle neue Halte auf ihre fahrplantechnische Integrierbarkeit untersucht. Im Bereich Detmold sind es die Halte Pivitsheide und Süd/Ost (am Bahnübergang Pivitsheider Straße sowie am ehemaligen Ostbahnhof in Remmighausen, Anm. d. Red.). Der Halt Süd/Ost wäre im Zielnetz 2040 umsetzbar und könnte von der S-Bahn-Linie 72 stündlich bedient werden.

Eines Ihrer Ziele für 2029 ist, den Fahrplan zu stabilisieren. Wie soll das mit der S-Bahn-Vorstufe funktionieren?

Anja Stocksieker: Zunächst einmal können die neuen Bemu-Fahrzeuge schneller beschleunigen. Damit ergeben sich Fahrzeitreserven. Aber es gibt auch Anpassungen im Fahrplan. Wir brauchen beispielsweise mehr Zeit für das Flügeln, also das Trennen und Vereinigen der Zugteile in Lage. Und es gibt weitere Veränderungen.

Nämlich?

Anja Stocksieker: Bis zur zeitweiligen Übernahme der Linie RE 82 durch die DB waren der RE 82 und die RB 73 in Bielefeld verbunden. Davor hatte der RE 82 vier Minuten Aufenthalt im Bielefelder Hauptbahnhof und ist dann als RB 73 zurück nach Lemgo gefahren – und umgekehrt. Die Kurzwende hat immer dafür gesorgt, dass sich Verspätungen auf die nächsten Fahrten übertragen haben. Derzeit gibt es keine Verschneidung zwischen den beiden Linien mehr, und sie kreuzen in Bielefeld Ost. Das hat zur Folge, dass der RE 82 etwas länger unterwegs ist, weil er in Bielefeld Ost die Kreuzung abwarten muss. Dafür hat sich aber der Betrieb stabilisiert. Der Erkenntnisse aus diesem aus der Not geborenen Konzept haben wir mitgenommen in die neue Ausschreibung.

Was heißt das?

Anja Stocksieker: Wir wollen das Konzept der Zugkreuzung in Bielefeld Ost beibehalten. Die Linien sind also in Bielefeld nicht mehr miteinander verknüpft. Der Vorteil ist, dass wir mit dem RE 82 weitere Haltepunkte bedienen können, nämlich Oldentrup und Ubbedissen.

Apropos Kreuzung: Ist das Ausweichgleis in Ehlenbruch zur Stabilisierung des Fahrplans, immer wieder vom Fahrgastverband &bdquo;Pro Bahn“ ins Spiel gebracht, im Konzept?

Anja Stocksieker: Es gibt die Empfehlung, Ehlenbruch vor 2040 als Kreuzungsmöglichkeit herzustellen. Wir brauchen es nicht für den Betrieb, wie er ab 2029 geplant ist, weil die Kreuzung weiterhin in Oerlinghausen stattfindet. Ehlenbruch gehört zu den Haltepunkten, bei denen wir an die Bahnsteige ranmüssen, weil sie noch zu niedrig und damit nicht barrierefrei sind. Im Zuge dessen gibt es die Planungsvariante, gleich einen zweiten Bahnsteig herzustellen, so dass dort eine Zugkreuzung möglich wäre.

Bis 2029 sind es noch vier Jahre. Können die Pläne noch über den Haufen geworfen werfen?

Anja Stocksieker: Wir sind schon durch die Vergabe für die neuen Fahrzeuge vertraglich an diesen Termin gebunden. Beschränkten Einfluss haben wir allerdings auf die rechtzeitige Herstellung der Infrastruktur. Die DB ist in Horn-Bad Meinberg und Lemgo bei der Schnittstelle zu den Verkehrsbetrieben Extertal mit im Boot, und da gibt es ein kleines Fragezeichen. Wir haben Verträge, aber wenn die DB zum Beispiel wieder keine Baufirma findet, können wir auch nichts machen. Das scheint generell ein Problem in der Branche zu sein.

Sie sprechen die Probleme mit den Bahn-Baustellen in diesem Sommer und im Sommer vergangenen Jahres an, als offenbar trotz Sperrung weniger gebaut wurde als geplant.

Anja Stocksieker: Ja. Und ich kann jeden Fahrgast verstehen, dem der Geduldsfaden reißt.

Mit wie viel Sperrungen und Durcheinander auf den Schienen müssen die Fahrgäste in Zukunft noch rechnen?

Anja Stocksieker: Um die Infrastruktur zu verbessern, braucht es weitere Sperrungen. Da muss man sich nichts vormachen. Danach müssen die Gleise natürlich auch instand gehalten werden. Komplett frei von Baustellen wird man also nie sein.

Was kostet die Vorstufe 2029?

Anja Stocksieker: Das können wir leider noch nicht benennen, weil die Planungen noch nicht weit genug fortgeschritten sind. Die Betreiberausschreibung läuft zudem ja auch noch. Die Betriebskosten inklusive der Angebotsausweitung übernimmt der NWL, der dafür Geld vom Land bekommt.

Persönlich Anja Stocksieker ist 36 Jahre alt, kommt aus Leopoldshöhe und hat an der TU Braunschweig Umweltingenieurwesen studiert. Schon während ihres Studiums war sie am Institut für Verkehrswesen, Eisenbahnbau und -betrieb der TU beschäftigt. Nach dem Studium arbeitete sie als Betriebsplanerin bei der Eurobahn, bevor sie 2018 zum Verkehrsverbund OWL und 2020 zum Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) wechselte. Dort ist sie strategische Planerin für den ÖPNV und leitende Planerin für die S-Bahn OWL. Anja Stocksieker wohnt mit ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter in Bielefeld.

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