Lage. Es gibt Menschen, für die ist die Angst vor Corona nur eine kleine unter viel Größeren. Menschen, die psychisch erkrankt sind und auch ohne Pandemie schon Probleme haben, ihren Alltag zu bewältigen. Zwei Besucher der Lagenser Tagesstätte von Das Dach e.V. erzählen, wie sie mit dem Wegfall von wichtigen Strukturen in den vergangenen Monaten umgegangen sind.
Ursula G. sitzt mit einem Becher Tee draußen im Garten in der Sonne. Sie wirkt dabei äußerlich völlig entspannt, obwohl es in ihrem Inneren meistens ganz anders aussieht. „Ich kann wahnsinnig schlecht allein sein. Das zerfrisst mich. Es hat mit meiner Angst zu tun", sagt die 65-Jährige und spricht offen von ihrer krankhaften Panik, beispielsweise einen Schlaganfall, Herzinfarkt oder ähnliches zu bekommen.
Panikattacken "zerfressen mich"
Ein Strudel, aus dem sie ohne Hilfe nicht herauskommt. Seit zwei Jahren besucht sie deshalb regelmäßig die Tagesstätte von Das Dach e.V., dem Verein für psychosoziale Hilfen. Drei Mal in der Woche. Die Einrichtung ist für Ursula G. ein fester Halt, auch in Zeiten des Lockdowns.
„Wir mussten unsere Tagesstätten sowie die Kontakt- und Beratungsstellen nach einem Betretungsverbot durch das Land NRW schließen, doch hier in Lage gab es eine Notbetreuung", berichtet Sabine Soltau. Die systemische Beraterin und stellvertretende Teamleiterin weiß, wie schwer diese Zeit für alle psychisch Erkrankten war. „Deren Verletzlichkeit ist stark erhöht.
Für viele waren die Isolation sowie das Fehlen sämtlicher sozialen Kontakte das Schlimmste. Das Wort Einsamkeit bekam noch mal eine ganz neue Bedeutung." Ursula G. gehörte zu den insgesamt acht Besuchern, die die Notbetreuung in Anspruch genommen haben. Zu allen anderen wurde telefonisch der Kontakt gehalten. „Jede Person sollte sich sicher sein, dass wir an sie denken", so Sabine Soltau in Erinnerung an oft lange und tiefgründige Gespräche.
Gutes Hygienekonzept
„Das hat mir sehr gutgetan", verrät Wilhelm Friedrich Hermann B.. Der 67-Jährige ist schon seit dem Jahr 2006 regelmäßiger Gast in der Tagesstätte. „Irgendwie habe ich es mit Ablenkungen wie Musik hören und Lesen geschafft, durch diese schlimme Zeit zu kommen. Geholfen hat mir auch, dass weiterhin der ambulante Dienst ein Mal in der Woche bei mir war", gibt er zu. Man sei dann zusammen spazieren gegangen, habe besprochen, was in Sachen Ärzte oder Behörden so anliegt, und die Fachkraft habe über die Einteilung seiner Medikamente geschaut. „17 Stück muss ich am Tag einnehmen. Für die Psyche und für den Bluthochdruck."
Klar, mit Ende 60 gehöre er in Sachen Corona zu den Risiko-Patienten. „Trotzdem bin ich froh, dass jetzt die Tagesstätte wieder im Betrieb ist und ich regelmäßig herkommen kann. Wir tragen im Haus alle den Mund-Nasen-Schutz, ich fühle mich sicher", betont Wilhelm Friedrich Hermann B..
"Hemmschwelle ist groß, sich Hilfe zu holen"
Das Mitarbeiterteam hat das Hygienekonzept gut umgesetzt, findet Sabine Soltau. „Wir haben Einbahnstraßen eingerichtet, Türen ausgehängt und die Räumlichkeiten zum Essen erweitert", zählt sie auf. Dreh- und Angelpunkt des Geschehens sei der großzügige Gartenbereich geworden. „Jetzt zur kalten Jahreszeit wird die Situation schwieriger."
Damit meint Sabine Soltau nicht nur die winterlichen Temperaturen, sondern sieht noch einen erweiterten Bedarfsanstieg auf Angebote wie die Tagesstätte zukommen: „Alle Menschen stehen unter Druck und einige können dem nicht standhalten. Die Hemmschwelle ist jedoch groß, sich Hilfe zu holen. Viele warten damit leider viel zu lange."