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Sparsamkeit der Lipper hat einen historischen Grund

Astrid Sewing

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Birgit Morgner führt durch das Leben einer Zieglerfamilie. Im Kotten spielte sich in früheren Zeiten viel auf der Deele ab. - © Astrid Sewing
Birgit Morgner führt durch das Leben einer Zieglerfamilie. Im Kotten spielte sich in früheren Zeiten viel auf der Deele ab. (© Astrid Sewing)

Lage.Im Kotten ist es kalt, das Schwein grunzt und schmatzt, auf der Deele schrubbt sie die Wäsche. Ihre Gedanken drehen sich um die vier Kinder, die Ernte im Garten, die Lohnarbeit auf dem Nachbarhof, den Mann, der in der Ferne arbeitet und erst in ein paar Monaten zurückkommt. Die Frauen der Ziegler waren den größten Teil des Jahres Alleinerziehende, heute würden man sagen: Sie managen ein komplexes Familienleben, das von Sparsamkeit geprägt ist. Letztere sagt man Lippern heute noch nach – zu Recht.

Briefe erzählen von einem mühsamen Alltag

Im Ziegeleimuseum Lage kann man in der Geschichte zurückwandern. Der Ringofen qualmt zeitweise, es werden Ziegel gebrannt, in einem typischen Kotten wird das Leben nachgestellt. Und nein, das Schwein grunzt nicht wirklich, die Kohlköpfe, die sich in einer Ecke stapeln, sind nicht echt. Aber die handgeschriebenen Briefe erzählen von einem Alltag, der vor allem eins ist: mühsam.

In den Briefen, die sich die Eheleute schicken, geht es nicht um Romantik. Es geht darum, wie es der Familie geht, nicht selten darum, dass eins der Kinder gestorben ist. „Die Männer sind dann natürlich nicht zurück gekommen, das ging in den allermeisten Fällen gar nicht. Die Frauen waren auf sich gestellt", stellt Museumspädagogin Birgit Morgner fest. In den Kotten gibt es keine Heizung, kalt ist es immer. Der wärmste Platz ist über dem Schweinestall. „Ein begehrter Schlafplatz."

Nur wenig kann zugekauft werden, was geht, produziert die Familie selbst. Die Kinder packen überall an, sie holen die Kartoffeln aus der Erde, helfen, wenn der Kohl gehobelt, im Topf gesäuert und damit haltbar wird. Das Schwein in seinem Koben braucht Futter, es wird draußen gesammelt. Schließlich soll es fett werden, die Wurst, der Speck, der Schinken – sie gehen zu einem Teil auf Reisen.

Ziegler reisten in die Ferne

Die Ziegler ziehen früh im Jahr in die Ferne, nehmen mit, was sie können, damit sie möglichst wenig Geld ausgeben und sparen können. Sie gehen zu Fuß, wandern nach Friesland, ins Rheinland, nach Berlin oder in die Niederlande. Später reisen sie im Waggon vierter Klasse, ganz hinten wird er angehängt, der Rauch der Lok zieht in den Wagen. Auf schmalen Brettern sitzen die Männer, in der Mitte stehen ihre Speckkisten, oben drauf liegt der Puck, die Bettdecke.

Der Proviant ist wichtig, denn ein großes Ziel haben die meisten: Sie wollen ihren Kotten nicht mieten, sondern als Eigentümer bewohnen. „Das ist vielen nicht gelungen, denn es gab ja keine Garantie, dass das alles auch so klappt, wie man sich das vorstellt. War die Ernte in einem Jahr schlecht, hungerte die Familie. Was gebraucht wird, muss zugekauft werden. Die Frauen lassen anschreiben. Wenn der Mann zurückkommt, dann muss die Rechnung beglichen werden", sagt Morgner.

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„Eun Pänning es nich vell, öber et könnter Grössens un Dalers van wern" (Ein Pfennig ist nicht viel, aber es können Groschen und Taler daraus werden) – diesen Spruch leben die Ziegler. Sie legen alles, was irgend geht, zurück. Doch viel Lebenszeit haben sie nicht. Wer konfirmiert wird, ist erwachsen und arbeitet, 18 Stunden an einem Arbeitstag, mit Pausen. Mit Mitte 40 sterben viele, die harte Arbeit zehrt sie auf.

Ihr Wille und ihre Zielstrebigkeit zeichnen die lippischen Ziegler aus, sie ist über die Grenzen bekannt. Die Zahl der lippischen Ziegler war lange Zeit klein: 1781 umfasste sie nur 248 Männer, 1836 waren es 1408, 1850 stieg ihre Zahl auf 2499, und 1910 wurde mit 14.227 ihre höchste Zahl erreicht. Noch 1923 zogen etwa 7000 Männer als Ziegler aus.

Vom Verdienst des Sommers musste die Familie durch den Winter kommen

„Sie haben sich in Gruppen organisiert. Der Ziegelmeister hat sie zusammen gehalten. Das ist für die, die ihnen Arbeit gegeben haben, sehr von Vorteil gewesen. Sie haben aufeinander geachtet, was ja auch nicht verkehrt ist, wenn sie monatelang allein in der Fremde sind", erklärt die Museumspädagogin und es schwingt mit, dass es für den ein oder anderen sicher nicht einfach war, nicht in Versuchung zu geraten. Vom Verdienst des Sommers muss die Familie über den Winter kommen, da ist es überlebenswichtig, dass die Männer kein Geld verschwenden.

Um möglichst viel heimbringen zu können, leben die lippischen Ziegler außerordentlich sparsam. Sie schlafen nicht selten in Ställen, die hygienischen Verhältnisse sind mangelhaft, der Speisezettel ist von dem bestimmt, was die Ernte hergibt. „Die Frauen haben rund ums Jahr immer arbeiten müssen. Sie haben ihre Kinder bekommen und dann sofort weiter gemacht. In den Kirchenbüchern kann man sehen, wer nicht mit einem Ziegler verheiratet war – die Kinder sind nicht im Sommer zur Welt gekommen", stellt Morgner mit einem Augenzwinkern fest. Viel Zeit für ein Familienleben gibt es nicht. In dem Kotten gibt es ein winziges Zimmer, auf dem Tisch liegen ein Spiel und ein Brief. An einer Wand in der Deele hängt ein Sparbuch – daneben das Bild eines großen Traumes: der eigene Kotten.

Es war der große Traum, keine Pacht mehr zu zahlen. - © Astrid Sewing
Es war der große Traum, keine Pacht mehr zu zahlen. (© Astrid Sewing)

Lipper sind auch heute noch sparsam

Am 13. März 1786 wurde die Gräflich-Lippische Leihekasse zu Detmold gegründet, heute sind die Summen ganz andere. An den Träumen hat sich nicht viel geändert. Nach wie vor ist Wohneigentum gefragt. Dass die Lipper sparsam sind, stehe außer Frage, meint Holger Wehmeyer von der Sparkasse Paderborn-Detmold.

Im vergangenen Jahr hätten sich 2300 Familien den Traum vom eigenen Zuhause gemeinsam mit der Sparkasse realisiert. Die Zusagen an Wohnungsbaudarlehen sei dabei um fast 10 Prozent auf 824 Millionen Euro gewachsen. Aber das Niedrigzinsniveau verändere das Anlageverhalten.

„Die Kunden denken um und investieren zunehmend auch in Sachwerte – die Wertpapier-Kultur verbreitert sich", stellt Wehmeyer fest. Insgesamt sei der Bestand an Kundeneinlagen bei der Sparkasse Paderborn-Detmold in 2020 um 10 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro gestiegen. Das verwaltete Wertpapiervermögen sei noch deutlicher gewachsen: um 12 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro.

Heinrich Hansmeier, Regionalleiter der Volksbank Detmold, sagt: „Heute sparen die Lipper noch sehr fleißig. Gerade während der Pandemie haben viele einen Teil auf die hohe Kante gelegt. Die Lipper setzen dabei zunehmend auf Wertpapiere als Vermögensanlage." Der Einzug ins eigene Haus oder in die eigene Wohnung stehe als Sparziel oft an erster Stelle, stellt Andreas Nowak, Geschäftsführer der OWL Immobilien GmbH, fest. Vor allem bei jungen Familien liege das eigene Heim im Trend. Die Nachfrage nach Immobilien sei aktuell so groß wie nie. „Man hat mehr Freiheiten und baut sich mit der Immobilie einen Teil seiner Altersvorsorge auf." Manche Ziele überdauern eben die Generationen – Sparen ist zeitlos.

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