Fraktionschef Harald Pohlmann: Der Königsmacher dankt ab

Lemgo. Der Lemgoer Stadtrat hat gestern Abend seine Arbeit aufgenommen. Ohne Dr. Harald Pohlmann. Der langjährige Mehrheitsführer war zu Hause, hat ein gutes Buch gelesen, ein Glas Rotwein dazu getrunken. Vermutlich auch einen guten ... Der 65-Jährige will sich raushalten, die Jüngeren machen lassen. Aus Anstand, keineswegs aus Desinteresse. Auf der Zuschauertribüne wäre er ein Störfaktor. &bdquo;Ich werde die Lemgoer Politik schweigend beobachten", verspricht er jedoch und klingt ein bisschen nach Ex-Bürgermeister und Freund Dr. Reiner Austermann. &bdquo;Mit ihm werde ich mich treffen und dann unter vier Augen tuscheln." Sagt’s. Und lächelt verschmitzt.

Markus Baier als Baudirektor nach Lemgo geholt und zum parteilosen Bürgermeisterkandidaten der CDU aufgebaut zu haben, der das Rennen deutlich gemacht hat – Pohlmanns letzter Coup. Hat er die Strippen gezogen? &bdquo;Ja, aber das waren keine Seilschaften, keine Hinterzimmerpolitik. Es ging um Kompetenz, Erfahrung, Vertrauen", sagt der Ex-Fraktionschef.

Chef von Zöllner

Damit gilt Pohlmann, im Hauptberuf Chef von Zöllner, der größten Fahrschule Deutschlands, als doppelter Königsmacher. 1998, der Mittvierziger war seit ein paar Jahren politisch unterwegs, hatte schnell an Einfluss und den wichtigen Posten als CDU-Stadtverbandschef gewonnen. &bdquo;Da habe ich einen verblüfften Reiner Austermann auf dem Marktplatz vor der Ratswaage gefragt, ob er den Bürgermeisterkandidaten macht." Der Weggefährte hatte wohl damit gerechnet, dass Pohlmann selbst den Posten will.

Wollte er nicht – und der Rest ist Geschichte: Mehr als 21 gemeinsame Jahre in der Politik wurden daraus, mehr als die Hälfte davon war Harald Pohlmann Fraktionschef (seit 2008), der als Nachrücker zudem einige Jahre Düsseldorfer Landtagsluft schnupperte. Im Kreistag und auf Bundesebene – in der Mittelstandsvereinigung – mussten politische Gegner seiner geschliffenen Rhetorik ebenfalls Paroli bieten.

Dabei war das alles nur so nebenbei, ein 50-Prozent-Job. In erster Linie ist Pohlmann ein Kind des Mittelstands, der Kaufmannschaft. Wo heute die Leopold-Apotheke steht, betrieb die Mutter ein Handarbeitsgeschäft. Als Jugendlicher erlebte Harald Pohlmann, was es heißt, wenn der Kunde König ist.

&bdquo;Wenn die Türklingel läutete, musste das Mittagessen warten, obwohl es schon auf dem Tisch stand." Pohlmann lernte, sein eigenes Geld mit Zuarbeit zu verdienen. &bdquo;Ein Einblick in die Selbstständigkeit", so interpretiert der 65-Jährige die Lehrjahre. &bdquo;Volle Verantwortung, keine Sicherheiten, auf die ich mich verlassen kann: Ich muss sehen, dass ich mit meiner Arbeit und meinem Geschick klar komme", unterstreicht er.

Surfbretter im lippischen Binnenland

Und wie Pohlmann klarkam. Er studierte – nicht Betriebswirtschaft, sondern Geschichte, Soziologie und Philosophie –, und zur Finanzierung des Bildungswegs eröffnete er mit einem Freund ein Geschäft für Boote und Zubehör. Surfbretter im lippischen Binnenland zu verkaufen, &bdquo;das war schon mutig", räumt Pohlmann ein. Doch der Gründer kam vom Regatta-Segeln, hatte es zum Deutschen Meister und Vize-Europameister gebracht. &bdquo;Nach zehn Jahren ist man es aber leid, nur um Tonnen rumzusegeln", erinnert er sich. Doch die Wettfahrten hatten Pohlmann immerhin einen Namen in der Szene beschert. Das Geschäft brummte, und der Surfsport boomte. 1000 Bretter gingen in einem Jahr über die Ladentheke.

Dann setzte Pohlmann Kurs auf die Politik. Auch dabei spielt Wasser eine Rolle. Seit 1977 war der Lemgoer an den Planungen für den Schiedersee beteiligt, übernahm selbst den Betrieb der dortigen Anlagen. Doch in den 80ern stotterte der Außenborder.

Pohlmann hatte inzwischen drei Jahre lang den Wecker auf 4 Uhr morgens gestellt, um zu promovieren – über einen Hamburger Reeder, Gründer der Seeberufsgenossenschaft und Freund von Kaiser Wilhelm II. Wie könnte es anders sein. Aber er wollte mehr am Schiedersee: mehr investieren, mehr Infrastruktur, mehr Gastronomie, mehr Freizeitangebote. Dagegen gab es Widerstand. &bdquo;Kommerzialisierung vs. stille Erholung" hieß es seinerzeit in der Politik.

Pohlmann zog den Kürzeren, ließ die Sache noch einige Jahre laufen, um sich 2007 vom Kreis Lippe aus dem Betrieb herauskaufen zu lassen.

&bdquo;Unternehmerisches Handeln war nicht gewollt", erinnert sich Pohlmann, den der Frust darüber in die Politik trieb. &bdquo;Ich wollte gestalten, es besser machen und ein starker Fürsprecher des Mittelstandes sein", unterstreicht der 65-jährige Lemgoer.

Der Politikbetrieb packte ihn, während die Geschäfte als Unternehmensberater weitergingen. Unter anderem für die Lemgoer Ferienfahrschule, wo Michael Zöllner seinerzeit einen Käufer und Nachfolger suchte. Nach einem Jahr hatte Berater Pohlmann noch niemanden aufgetan, da übernahm er den Laden mit 22 Mitarbeitern kurzerhand selbst.

Was daraus geworden ist? Deutschlands größte Fahrschule, mit 120 Mitarbeitern weiter auf Expansionskurs. &bdquo;30 Leute könnte ich jederzeit einstellen", sagt Pohlmann, der Fachkräftemangel beklagt. Als großen Vorteil bezeichnet es der Geschäftsführer, dass er vom Business Fahrschule bis heute nicht viel verstehe. &bdquo;So war ich gezwungen, mich auf gute leitende Angestellte zu verlassen. Dabei entfalten sich Motivation und Kreativität besser, als wenn sich der Chef in jedes Detail einmischt."

Einmischen will er sich, wenngleich nicht mehr in der Lemgoer Lokalpolitik, allerdings weiter. Seit 20 Jahren ist Pohlmann Bezirkschef der Mittelstandsvereinigung, seit zehn Jahren dort außerdem auf Bundesebene vorn dabei. &bdquo;Und diese Tätigkeit gebe ich auch noch nicht auf. Der Mittelstand braucht jede Unterstützung, dringender denn je", ist der Lemgoer überzeugt.

Online-Handel und nun Corona setzten dem Einzelhandel zu. Auch eine Aufgabe für die Lokalpolitiker. &bdquo;Da braucht es gute Konzepte, um eine Innenstadt wie Lemgo attraktiv zu halten", betont Pohlmann. Umso mehr treibt den 65-Jährigen die Zusammensetzung der kommunalen Gremien um.

&bdquo;Wo sind die Ärzte, Anwälte, Unternehmer im Stadtrat?" Politik erinnere ihn oft an ein Fußballspiel, bei dem die besten Spieler auf der Tribüne sitzen. Mitmachen, Einmischen – sein Motto. Als größten Erfolg für Lemgo rechnet er wesentliche Entscheidungen zur Stadtentwicklung (etwa Fachmarktzentrum und Ratskeller-Umbau). Seine größte Niederlage sei die Umbenennung der Bürgermeister-Gräfer-Realschule.

Fraktionschef Harald Pohlmann: Der Königsmacher dankt ab

Lemgoer CDU-Politiker Dr. Harald Pohlmann bekommt das Verdienstkreuz

Interview voller Klartext: Alter und neuer Chef der Mittelstandsvereinigung rechnen ab

Lob und Dank: Warum Ministerpräsident Wüst den Lemgoer Harald Pohlmann würdigt

Diese Themen müssen für Burkhard Pohl (Grüne) in Lemgo Chefsache werden

Klaus Rübesamen sagt bei Brasseler in Lemgo nach 44 Jahren ade

Mehr Chance als Risiko - Künstliche Intelligenz kommt in Lemgo unters Brennglas

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus