Auf Kneipentour durch die Alte Hansestadt Lemgo

Lemgo. In den 1970er Jahren war Lemgo die Stadt mit der größten Kneipendichte (per Einwohner gerechnet) in NRW. Es ist ruhiger geworden. Anders. Und doch ist es immer noch schön, durch die Stadt zu ziehen. LZ-Mitarbeiterin Judith Stracke stellt vier Beispiele von Gastronomen vor, die Lemgos Kneipenszene geprägt haben, weiter prägen werden und für Platz an der Theke sorgen.

Le Clou 2

Keiner kommt an ihm vorbei. &bdquo;Bongo“ ist Kult. So wie sein Nokia-Handy. Eins aus der ersten Generation mit Klingelton &bdquo;Attacke“. &bdquo;Roland &bdquo;Bongo“ Alteheld selbst ist einer aus der Generation, die mit Lemgos größter Kneipendichte gut klar kam. So gut, dass er als Student seine erste Kneipe öffnete. Mit 23 Jahren. Seine Inspiration: &bdquo;Wenn ich schon so oft in der Kneipe bin, kann ich auch gleich eine eigene aufmachen.“ Damals, im Jahre 1973 und seinen &bdquo;Wiener Stuben“ in der Schuhstraße mit Mamas Buletten und dem Glas Bier für 80 Pfennig war er der jüngste.

Heute mit 71 Jahren ist er der älteste Kneipier. Knapp ein halbes Jahrhundert Gastronomie. Man sieht ihm nicht an, dass (fast) jeder schon einmal bei ihm auf ein Bier an der Theke saß. Auch nicht, dass er (fast) jeden Zapfhahn schon einmal in der Hand hielt. Sein Geheimnis verrät er mit einem Lächeln: &bdquo;Ich habe nicht geraucht.“ Roth-Händle-Zigaretten ließen ihn so kalt wie die Engländer, die er in den &bdquo;Out of Bounds“-Zeiten ab und an aus seinem Lokal weisen musste. Nach Le Clou (1976), dem legendären Club Franchipani und dem Café Ostertor (1982), Ratswaage (1984). Jovel (1998), Ratskeller (bis 2000) und All Inn (2008) ist er im Le Clou 2 angekommen. Es ist sein Wohnzimmer, aus dem er seit Eröffnung 2002 noch keinen rausschmeißen musste.

Es und er sind ruhiger geworden. Die Kneipe ist dem Restaurant mit Barcharakter gewichen: &bdquo;Früher wollten alle vor der Theke sitzen und keiner an einem Tisch. Wenn heute alle Tische belegt sind, gehen viele Gäste, bevor sie sich an die Theke setzen.“ Der Mann, der seinen ersten Caipirinha an der Copacabana mit einer TBV Lemgo-Delegation zum Aufstieg der Handballer in die erste Bundesliga 1983 zu sich nahm, scheint nicht müde zu werden, sich immer neu zu erfinden. Alles ist besser als Stillstand. &bdquo;Im Lockdown bin ich wie Falschgeld rumgelaufen“, bekennt er.

Zum Abschluss erzählt er dann die Geschichte von einem Vater, der seinem Sohn sagt, dass früher in den Kneipen noch geraucht werden durfte, worauf der Sohn fragt: &bdquo;Papa, was ist eine Kneipe?“ Wer Bongo ist, weiß in jedem Fall (fast) jedes Kind. Er ist einfach Kult. So wie sein alter Nokia-Knochen mit dem Klingelton &bdquo;Attacke“.

Weite Welt

Nur ein paar Bierdeckelwürfe von &bdquo;Bongo“ entfernt ruft die &bdquo;Weite Welt“ und in ihr die nächste Generation von Lemgos Kneipenkultur. Als Eric Menze (sein Kindheitstraum war schon immer eine eigene Kneipe) und die Brüder Juri und Timur Gajtukiew 2018 die Chance bekommen, das Haus der Biere zu übernehmen, müssen sie nicht lange überlegen. Sie sind ja bereits dort Stammgäste. Außerdem kennen sich die drei nicht nur von der Zapfsäule, sondern seit frühster Kindheit vom Fußballplatz des TuS Brake und vom Schulhof. Als &bdquo;Nachbar Bongo“ seine erste Kneipe öffnete, waren sie zwar noch nicht einmal in Planung.

Doch Plan haben die drei ziemlich besten Freunde nicht nur, wenn es darum geht, ihren Gästen einen schönen Abend zu schenken. Die Jungs sind belastbar. Während Juri (Jahrgang 1986) Inhaber der Spirituosen-Destillerie Schöttker ist, bei der Eric (mit 35 Jahren ein Jahr jünger) im Vertrieb arbeitet, steht Timur (38) seinen Mann im Designunternehmen KFF. Wie man(n) die Doppelbelastung hinbekommt ? &bdquo;Mit Leidenschaft und einem vertrauensvollen Personal“, sagen sie. Personal, das sie in der Pandemie weiter bezahlt haben, auch wenn sie als reine Kneipe nicht außer Haus verkaufen konnten. &bdquo;Das Bedrückendste in der Zeit war, unseren Laden immer leer zu sehen“, sind sie sich einig.

Einigkeit auch über den Sprung vom Stammgast zum Chef: &bdquo;Es ist unsere Stammkneipe geblieben. Die Thekenchefin hat das Sagen. Wir sind präsent und helfen, wenn es nötig ist.“ Mit rund 25 verschiedenen Sorten Bier, sechs Zapfhähnen, wobei zwei stetig wechseln, sowie mit der größten Whiskey-, Gin- und Rumauswahl der Stadt fühlen sich die Junggastronomen für die Zukunft gut aufgestellt. Noch besser läuft es nur zu Hause. Eric ist Bongos Schwiegersohn in spe und ist so ganz nebenbei Co-Trainer der 1. Fußball-Seniorenmannschaft des TuS Brake. Juri und Timur sind stolze Familienpapas.

Fußball ist dann auch das Stichwort für das, was die Weite Welt zur Sportsbar Nummer 1 gemacht hat: Es ist die einzige Kneipe in Lemgo, in der noch alle Spiele gezeigt werden. Knobeln und Kniffeln stehen ebenso hoch im Kurs. So wie der Spieleabend mit Nils Beckmeier vom Spielwarengeschäft &bdquo;Niehaus“. Mittwoch bleibt Astra-Tag (jedes Astra-Bier gibt es dann für 1,50 Euro). Bingo, Karaoke und Quizabende sind geplant. &bdquo;Kneipe ist ein Ort, um sich wohl zu fühlen und darf nicht zum Luxus werden.“ Dafür ruft in Lemgo die Weite Welt.

Jovel

Mit 14 Jahren hat Frank Kefenhörster in einer Eisdiele gejobbt und Eismaschinen geputzt. Ein wenig später wollte ihn sein Papa mit auf den Bau nehmen. Doch er wollte irgendwie mehr. Mehr Gastronomie. Und so verkaufte er noch ein bisschen später Cocktails und Eis unter anderem in Lemgos Club &bdquo;Franchipani“. In Lemgo wird er von allen Kef genannt. Und Kef übernimmt 2001 das Bar-Bierrestaurant &bdquo;Jovel“, das er noch heute führt und sein Eigen nennt. Aus dem &bdquo;Ich wollte einfach mehr“ sind inzwischen insgesamt 41 Jahre Gastronomie geworden.

Gastronomie mit Herzblut. &bdquo;Es ist einfach das, was ich am liebsten mache“, bekennt der gelernte Mediengestalter. Wer das &bdquo;Jovel“ betritt, weiß wovon der 55-Jährige spricht. Er hat Lemgos Kneipen-Szene maßgeblich mitbestimmt. Eine Szene, die er in einer Siedlung unter dem Klinikum als Kind kennenlernt. Dort gab es alleine vier Kneipen und jede Menge Frühschoppen. &bdquo;Frühschoppen, der heute Brunch heißt“, scherzt er. Und wird ernst. Das Ende der typischen Kneipe kam seiner Meinung nach 2007. Mit dem Beginn des Rauchverbots in Gaststätten und Lokalen endete auch ein Stück weit die Kneipenkultur mit beispielsweise Skat und Doppelkopf, das früher in Dunst und Qualm von Kneipen an die jüngere Generation weitergegeben und gelehrt wurde.

Kneipenzüge waren ebenso &bdquo;normal“ wie der wöchentliche &bdquo;Zock“ am Kneipentisch oder an der Theke. Den lässt sich der zweifache Familienpapa bis heute nicht nehmen. Seit mehr als 20 Jahren spielt er gerne Sonntagabend Doppelkopf oder montags Skat. Unter anderem mit Ex-Bürgermeister Reiner Austermann. &bdquo;Um die Ehre versteht sich“, verrät er. Während der Pandemie erprobt er sich zum ersten Mal als Pizzabäcker in seiner Lokal-Küche für den Außer-Haus-Verkauf. Mit Betriebsferien und einem Familienurlaub auf Mallorca betritt er ebenso Neuland. Wundervolles Neuland mit seinen Liebsten, das er genießt. Fünf Abende die Woche und täglich tagsüber ist er für seinen Traum und seine Gäste sowie sein Personal im Einsatz.

Einer, der seinen Lieblingsplatz noch immer hinter der Theke am Zapfhahn sieht. &bdquo;Man muss auf sich aufpassen“, beschreibt er das Rezept seines Erfolgs und weiß: &bdquo;Genauso wichtig sind gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ Nur so bleibt dann auch Zeit, seine Kinder aus der Schule zu holen. Der Name &bdquo;Jovel“ kommt übrigens aus dem Münsterland und bedeutet &bdquo;gut“. Bei Kef ist so ein Name Programm.

Stadtlicht

Karsten Arning war gerade mal 23 Jahre jung, als er seine erste Kneipe eröffnete. Es war die &bdquo;Eule“ in Lage. Lemgos Szene kannte er schon vorher. Er machte eine Ausbildung bei der Stadt Lemgo. Seine ersten gastronomischen Erfahrungen sammelte er als Servicekraft im &bdquo;Seitensprung“ in der Breiten Straße. Den Wunsch nach Selbstständigkeit erklärt er so: &bdquo;Ich liebe es, zu eröffnen und mich Projekten hinzugeben.“

Zu eröffnen hatte der 46-Jährige bis dato reichlich. Erst betrieb er das Beat Café mit Retro-Möbeln, bevor er vor acht Jahren die &bdquo;Alte Ratswaage“ pachtete und daraus das &bdquo;Stadtlicht“ kreierte. Nebenher nahm er die gastronomische Herausforderung der Strandbar &bdquo;Beach Island“ an und zeichnete sich mit dafür verantwortlich, dass Lemgo seinen ersten und einzigen Karnevalsverein &bdquo;Die Hansestädter“ bekam. Mit seinen Imbissbetrieben &bdquo;Currywerk“ zeigt er seit 2019, dass ihm Lemgos Gastronomie-Szene alles Andere als wurscht ist. &bdquo;Ich brenne immer noch, auch wenn ich mir mehr Zeit wünsche, um hinter der Theke zu stehen“, sagt er. Angst, baden zu gehen, kennt der Mann, der auch schon einmal als Schwimmmeister arbeitete, nicht. &bdquo;Ich könnte mit einem Wohnwagen im Wald leben, ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein.“

Selbst der Lockdown konnte ihn nicht runterziehen. &bdquo;Es war eine der schönsten Zeiten in meinem Leben. Ich habe es genossen, zu Hause zu sein. Noch nie sah unser Vorgarten so gut aus“, bekennt er. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte er in der Zeit in seinen Imbissbetrieben. Ein Glücksfall. Weniger glücklich ist er über das &bdquo;Kneipensterben“. Zu viele Auflagen und zu viel Bürokratie seien daran schuld. &bdquo;Die Welt ist digitaler geworden. Alleine die vielfältigen Zahlungsmittel haben die Gastronomie komplexer und schwieriger gemacht“, sagt er und bekommt trotz seiner mehr Büro-Zeit und weniger Theken-Zeit wieder gute Laune.

Vielleicht, weil ihm nicht so schnell die Ideen ausgehen. Und das oder gerade wegen seiner Catweazle-Mentaliät und seinem wunderschönen Vorgarten. Sein neustes Projekt startete er mit seiner Lebensgefährtin Julia. Es ist eine Lappentasche, die frisch in Produktion gegangen ist. Für das Servicepersonal, das mit dem Lappen am Mann beziehungsweise an der Frau den Tisch abwischen kann. Die dafür in der Vergangenheit genutzte Nageltasche in Leder aus dem Dachdeckerbereich hat ausgedient. Die neuen Taschen sind aus recyceltem Kunststoff, lebensmittelecht und spülmaschinenfest.

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