Der Soziale Mittagstisch in Lemgo ist auch ein sozialer Anker

Lemgo. &bdquo;Ein letztes Mal die Wendeltreppe hoch und runter“, hallt eine freundliche Stimme durch den Flur. Nebenan verpasst Chefkoch Manfred Wolf dem italienischen Gemüse-Eintopf mit ein paar frischen Küchenkräutern noch den letzten geschmacklichen Feinschliff. In einer Viertelstunde ist Mittag. Hochbetrieb im Gemeindehaus St. Nicolai. Ein letztes Mal, ehe es zurückgeht in die ursprünglichen Räumlichkeiten der Kirchengemeinde Heilig Geist in Lemgo.

Im Aufenthaltsraum sind kistenweise Lebensmittel aufgetischt und für die Ausgabe vorbereitet – von Obst, über Gemüse bis hin zu Kaffeepulver. Jene Dinge, die von den Ladengeschäften gespendet wurden, um sie an Bedürftige weiterzugeben. Hier kommt der gemeinnützige Verein &bdquo;Sozialer Mittagstisch Lemgo“ ins Spiel. Das Team aus über 40 Ehrenamtlern hat es sich zur Aufgabe gemacht, hilfsbedürftige Menschen mit einer warmen Mahlzeit und Lebensmitteln für den täglichen Bedarf zu versorgen. Ursprünglich wurde einmal die Woche ein Drei-Gänge-Menü an einladend dekorierten Tischen serviert. Die Pandemie machte dieses Konzept erst einmal zunichte – vorerst.

&bdquo;Jeder bringt seine eigene Geschichte mit“ Nichtsdestotrotz herrscht im Atrium vor dem Gemeindehaus reger Betrieb. Noch lange bevor die Ausgabe pünktlich um 11.30 Uhr beginnt. &bdquo;Es kommt vor, dass die Gäste hier schon um 6 Uhr in der Früh sitzen“, berichtet Heike Busse, erste Vorsitzende des Vereins und stellvertretende Bürgermeisterin der alten Hansestadt. Viele nutzten den Anlass gerne, um sich untereinander auszutauschen. &bdquo;Die allermeisten von ihnen haben nicht viele Sozialkontakte“, weiß Heike Busse. Es handelt sich überwiegend um Menschen am Rand der Gesellschaft, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden. Auch für Kinder in Begleitung bedürftiger Erwachsener ist der Mittagstisch offen. &bdquo;Jeder bringt seine eigene Geschichte mit. Und die hat dazu geführt, dass es sich diese Menschen nicht leisten können, in einem Restaurant schick essen zu gehen.“

Rund 70 Stunden ehrenamtlicher Einsatz summieren sich auch an diesem Donnerstag wieder. Das Einsammeln der Lebensmittel am Vortag, das Kochen am Ausgabetag, das Vor- und Nachsortieren – all das braucht Sorgfalt. Zeit, die das Team gerne aufbringt. Auch hat es sich auf die Fahne geschrieben, den Gästen bei Bedarf für Gespräche zur Verfügung zu stehen. &bdquo;Das leben wir und führt dazu, dass uns sehr viel Dankbarkeit entgegenkommt“, schwärmt Heike Busse.

&bdquo;Alles wird teurer“ Inzwischen hat die Ausgabe begonnen, ein Gedränge gibt es nicht. Jeder Gast bekommt auf dem Vorplatz eine Nummer zugeteilt. Frei nach dem Motto: &bdquo;Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Die Nummer 15 an diesem Tag gehört Horst Krüger, 66 Jahre alt, Stammkunde. Er bezieht weder Hartz-IV noch Grundrente, lebt von rund 1000 Euro, wie er im Gespräch verrät: &bdquo;Davon zahle ich schon allein 500 Euro Miete. Und alles wird teurer, selbst das Haareschneiden.“ Wurden vor gar nicht allzu langer Zeit noch zehn Euro für einen üblichen Haarschnitt erhoben, waren es später zwölf. &bdquo;Das habe ich auch noch mitgemacht. Jetzt sind es aber schon 15 Euro. Das kann und will ich mir auch nicht mehr leisten. Dann lasse ich mir die Haare eben bis nach Moskau wachsen, wenn ich niemanden finde.“ Seinen Humor hat Horst Krüger jedenfalls nicht verloren, ebenso wenig den Ehrgeiz, bis ins hohe Alter zu arbeiten. Mit Minijobs und Teilzeitstellen habe er sich jahrzehntelang seinen Lebensunterhalt verdient – &bdquo;und das werde ich weiterhin tun. Wer arbeiten kann, sollte das auch tun“, bekräftigt er.

Vor zwei Jahren legte ein Wasserschaden die Räumlichkeiten in der Heilig-Geist-Gemeinde lahm. In Dr. Andreas Lange, Superintendent und Pfarrer in der Kirchengemeinde St. Nicolai, fand der Verein einen Unterstützer. Als Übergangslösung stellte der Kirchenvorstand sein Gemeindehaus an der Papenstraße zur Verfügung. Die Nachfrage blieb unverändert hoch – und Corona trug dazu bei, dass sich der Verein in den Jugendräumen – die Wendeltreppe hinauf – entsprechend einrichten und Vorräte lagern durfte. Aber mit der wöchentlichen Ausgabe hört das ehrenamtliche Engagement nicht auf: &bdquo;Es kommt schon vor, dass uns Stammgäste auch mal anrufen, weil sie einen Rat brauchen oder fragen, ob sie noch jemanden mitbringen dürften“, erzählt Heike Busse, die seit vier Jahrzehnten ehrenamtliche Arbeit betreibt. &bdquo;Wir alle vom Mittagstisch sind mit ehrenamtlicher Arbeit groß geworden. Das gehört für uns einfach zum Leben dazu.“

Jeden Donnerstag 65 bis 70 Portionen

Mit sechs weiteren Helferinnen stellte Heike Busse im Februar 2017 den ersten Mittagstisch auf die Beine: &bdquo;Wir hatten das Gefühl, dass es auch aufgrund der steigenden Altersarmut hier in Lemgo einen Bedarf gibt.“ Inzwischen würden jeden Donnerstag 65 bis 70 großzügige Portionen in umweltfreundlichen Suppenbechern überreicht. Falls nach der zweistündigen Ausgabezeit noch Essen übrig bleibt, dürfen sich die Bedürftigen auch davon etwas mitnehmen. Abgesehen von Verpackungsmüll, der nun mal nicht ausbleibt, wird nichts weggeschmissen. Übrig gebliebene Bioabfälle kommen dem Lemgoer Kastanienhof zugute und werden dort an die Tiere verfüttert.

Ab sofort wieder in der Wiesenstraße Längst ist klar geworden: Hinter dem Sozialen Mittagstisch versteckt sich weitaus mehr ist als &bdquo;nur“ die reine Essensausgabe. Für viele dieser Menschen ist er ein sozialer Anker. Und das versuchen die Ehrenamtlichen aufrechtzuerhalten: Dieses Jahr veranstaltete der Verein vor dem Gemeindehaus ein Grillfest, vor der Pandemie ging es mit dem Bus in den Safaripark. &bdquo;Das hat zwar sehr viel Vorbereitungszeit gebraucht, war aber ein absolutes Highlight“, freut sich Heike Busse. Wiederholungsbedarf ist vorhanden und von allen erwünscht – wenn es die Situation wieder zulässt. Nun also ist der Soziale Mittagstisch wieder jeden Donnerstag um 11.30 Uhr in den Räumen des Gemeindezentrums Heilig Geist in der Wiesenstraße 6 zu finden. Und da sich nun wieder alles auf einer Etage abspielt, braucht es auch keine Wendeltreppe mehr.

www.sozialer-mittagstisch-lemgo.de

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