Spaß oder Spardruck: Was treibt die Lemgoer zum Selbstpflücken in die Erdbeerfelder?

Lemgo. Täuscht der Eindruck oder tummeln sich in diesem Jahr tatsächlich mehr Menschen auf Lemgos Erdbeerfeldern? &bdquo;Man merkt jedenfalls, wie schnell die Felder abgepflückt sind“, sagt Julia Langer, die mit ihrem Sohn Merlin in Entrup bei Hanken zwischen den Pflanzen hockt. &bdquo;Ich finde, das Selbstpflücken boomt - es liegt bestimmt daran, dass die Gekauften so teuer geworden sind.“ Der Kleine, stilecht mit rotem Erdbeermund, habe sehr viel Freude am Ernten. Das sei für sie der Hauptgrund. Dass die Beeren so nur die Hälfte kosten, spiele ebenfalls eine Rolle. Sechs bis sieben Mal pro Saison komme sie zum Pflücken, gerade für größere Mengen wie für Marmelade.

Nach Marmelade steht auch Claudia Wilmsmeier und ihrer Tochter Theresa Schulz der Sinn. Etwa &bdquo;40 bis 50 Gläser“ will das Mutter-Tochter-Duo einkochen. &bdquo;Ganz klassisch, aber ohne Stücke, damit es auch die Kinder mögen“, erklärt Theresa Schulz. Für drei Familien soll die Menge reichen, weshalb sie etwa acht Kilogramm pflücken wollen. &bdquo;Einmal jährlich machen wir eine Art Session daraus“, sagt Wilmsmeier und lacht. Bei der großen Menge spiele der Preis eine Rolle. Wenn sie sonst Lust auf Erdbeeren habe, gönne sie sich ein Schälchen vom Stand.

Für Anita und Reinhard Kuhn aus Dörentrup ist es an der Hamelner Straße bei Schäferkordt das erste Pflücken der Saison - allerdings müssen sie die zugewiesene Reihe anfangs noch einmal wechseln: &bdquo;Alles schon leer“. Reinhard Kuhn bestätigt, dass es &bdquo;inzwischen eine Preissache geworden“ sei, sich fürs Selbstpflücken zu entscheiden: &bdquo;Die Differenz ist schon eine Hausnummer.“ Gestern hätten sie problemlos zu zweit 700 Gramm Erdbeeren vertilgt. &bdquo;Und so bekomme ich zum selben Preis 500 Gramm mehr.“ Das Erlebnis spiele jedoch auch eine Rolle. Seine Frau und er genießen augenscheinlich die Paarzeit auf dem Feld.

&bdquo;Wir haben eine hohe Nachfrage“, sagt Thomas Schäferkordt vom gleichnamigen Obsthof. Durch eine längere Trockenperiode hätten die frühen Sorten im Freiland in dieser Saison nicht ganz den gewünschten Ertrag gebracht, zudem blieben die Früchte anfangs eher klein. &bdquo;Die Mengen sind aufgrund der Klimaveränderung nur noch schwer im Vorhinein kalkulierbar. Tatsächlich mussten wir leider schon Leute wegschicken“, so Schäferkordt. &bdquo;Ich kann die Reife der Früchte ja nicht beschleunigen“, sagt er und schmunzelt.

&bdquo;Mangelnde Pflückdisziplin“ Zudem habe er früher zehn bis 15 Prozent Verlust durch Fäulnis zu verzeichnen gehabt, heute eher 20 bis 30 Prozent. &bdquo;Mangelnde Pflückdisziplin“, nennt Schäferkordt den Umstand, dass viele sich nur auf die dicksten Erdbeeren stürzten und den Rest hängenließen. So ließen sich die Reihen dann jedoch nicht sinnvoll abernten, die Verluste wiederum wirkten sich auf den Preis aus. Auch würden die Mengen, die am Ende zum Wiegen und Zahlen gebracht würden, geringer - &bdquo;früher kamen die Menschen mit Wannen und Wassereimern“ -, wobei die vor Ort verzehrte Menge eher steige.

Konkurrenz aus dem Supermarkt Auch die Brüder Jens und Erik Hanken, die ihren landwirtschaftlichen Betrieb gemeinsam führen, bestätigen einen Boom bei den Selbstpflückern. Nachdem der Wunsch nach der eigenen Ernte über Jahre rückläufig gewesen sei, habe Corona eine Wende eingeleitet. &bdquo;Das war eine Freizeitbeschäftigung, die erlaubt und gerade bei Familien mit Kindern beliebt war“, erinnert sich Jens Hanken.

In diesem Jahr nehmen die Hankens einen weiteren Nachfragesprung wahr. &bdquo;Es kommt vor, dass die Felder leer sind.“ Der Grund sei leicht ersichtlich, riefen doch zum Thema &bdquo;Selbstpflücken“ regelmäßig Interessierte an, die vor allem nach dem Preis fragten. &bdquo;Die Selbstpflücker sind sehr preissensibel“, so Erik Hanken. Es sei eine andere Zielgruppe als jene, die an den Büdchen einkauften. Doch auch dort gingen die eingekauften Mengen zurück. &bdquo;Ein bis zwei Schälchen, mehr wird selten gekauft“, weiß Erik Hanken. &bdquo;Wir konkurrieren ja auch mit den Angeboten im Supermarkt, etwa aus Spanien, wo die Sozialstandards nicht mit unseren vergleichbar sind.“

Harter Job für Erntehelfer Die Leistung der rumänischen Saisonkräfte ist für die Brüder nicht hoch genug zu bewerten. &bdquo;Das ist eine der härtesten Arbeiten der Welt“, meint Jens Hanken. Auch als das Wetter in den vergangenen Wochen kalt und regnerisch war, standen diese bei widrigen Bedingungen um 5 Uhr früh auf dem Feld. Für die Selbstpflücker dagegen ist das Ernten vor allem eine schöne Freizeitbeschäftigung. Die wenigsten ahnten, wie viel Arbeit in einem solchen Feld stecke - vom Entfernen der Disteln bis zum Wässern der Pflanzen. Bei Hanken ist eine Beregnung inzwischen bei 80 Prozent der Anbaufläche möglich, allerdings mit immensem Aufwand. &bdquo;Es geht immer nur nachts, da müssen wir dann die Schläuche verlegen - und es ist teuer, da wir nur Trinkwasser nutzen dürfen.“

Der Einstiegspreis für Erdbeeren lag bei Hanken in diesem Jahr bei 5 Euro pro Pfund - im vergangenen Jahr bei 4,80 Euro. &bdquo;Wir halten es immer so, dass wir keinen hohen Einstiegspreis wählen, um ihn dann zu senken - das ist für alle planbarer so“, findet Jens Hanken. Ohnehin gehe es nicht darum, hohe Profite zu erwirtschaften. &bdquo;Wir versuchen, dass es für unseren Betrieb auskömmlich ist.“

Thomas Schäferkordt hat Verständnis für den Spardruck, unter dem viele Menschen heute stünden. Doch er wünscht sich auch Respekt für die Arbeit der Landwirte. So koste die mechanische Unkrautbeseitigung zum Beispiel mehr als dem unerwünschten Grünzeug mit einer weiteren Spritzung, &bdquo;im ungünstigsten Fall direkt vor der Ernte“, beizukommen. Er stehe für möglichst rückstandsfreie Früchte. Doch viel Handarbeit in der Produktion treibe die Preise. So sei sein Einstiegspreis in diesem Jahr der Endpreis aus der vergangenen Saison. &bdquo;Die Produktionskosten steigen einfach“, zumal die Arbeit in Herbst und Frühjahr seine Festangestellten verrichten, keine Saisonkräfte.

Ein Mysterium bleibt für ihn, wie wohl für alle Erdbeerfans, das Folgende: &bdquo;Ich weiß nicht warum - aber von der Pflanze direkt schmecken sie noch besser als aus der Schale.“

Tipps für Selbstpflücker Bei der Anmeldung am Erdbeerfeld wird den Kunden meist gesagt, wo sie pflücken sollen. An diese Anweisungen sollten Hobbypflücker sich halten: Es ist wichtig, dass die Reihen sinnvoll &bdquo;abgegrast“ werden, damit es weniger Ausschuss gibt. Das wiederum ist gut für alle, beeinflusst der Ausschuss doch die Preiskalkulation. Nicht nur die dicksten Beeren, sondern alle Früchte, die reif sind, abernten. Sonst herrscht in den Reihen ein unübersichtliches Durcheinander. Faule Früchte sollten die Selbstpflücker gern abnehmen und zwischen die Reihen fallen lassen. So steckten sie nicht weitere Früchte an, erklären die Erdbeerbauern. Vor Ort zu naschen, ist erlaubt. Allerdings sollte die verzehrte Menge im Verhältnis zur am Ende bezahlten stehen. Weder Kinder noch Erwachsene sollten blindlings quer durch die Reihen stapfen, um keine Früchte zu zertreten.

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