Eine Kreuzung verliert ihr Gesicht

Leopoldshöhe-Asemissen . Sie war stets der Verkehrsbrennpunkt Nummer eins – die Kreuzung am Scherenkrug. Seit Jahrhunderten trafen hier am Rande Oerlinghausens, am Gut Niederbarkhausen, Menschen, Zugtiere und unzählige Fahrzeuge aufeinander.

Ganz früher die Ochsenkarren, Pferdefuhrwerke, Postkutschen, später, nach 1900, die ersten qualmenden und stinkenden Motorfahrzeuge. Dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, setzte der Autoboom ein. Nun beherrschten die buckeligen VW-Käfer, die gediegenen Opel-Kapitän oder die kantigen Ford-Taunus die Szenerie.

Zwei Verbindungswege

Und immer dazwischen knatterten die Motorräder über die Kreuzung: die alten 98er, die Kreidler- oder Zündapp-Mopeds – manchmal auch mit Fuchsschwanz am Heck. Am Verkehrsknoten auf Asemisser Gebiet stießen zwei Verbindungswege aufeinander. Einerseits die viel befahrene Landstraße, die von der Weser über Schötmar und Leopoldshöhe zum Oerlinghauser Pass führte.

Andererseits die alte Handelsroute zwischen Bielefeld über Lage und Lemgo nach Hameln, die heutige Bundesstraße 66. Untrennbar mit dem Straßenverkehr verbunden war die Gaststätte Scherenkrug. Wegen ihrer günstigen Lage nutzte man sie nicht nur als Raststätte, sondern als Gasträume für Veranstaltungen, Ferien oder private Treffen.

Scherenkrug blüht nach dem Krieg auf

Die bekannten Wissenschaftler Max und Marianne Weber feierten hier ihre Hochzeit, der Dichter Ferdinand Freiligrath saß im Biergarten im Schatten einer riesigen Eiche, und sogar Adolf Hitler machte im Wahlkampf des Jahres 1933 hier Station, um das Land Lippe unter seine &bdquo;Führerschaft" zu bekommen. Auch das katastrophale Ende berührte den Scherenkrug.

Denn als in den ersten Apriltagen 1945 die amerikanischen Truppen auf der B 66 Richtung Osten vorstießen, wurden sie von den letzten deutschen Soldaten vom Tönsberg herab beschossen. Zum Glück verfehlten die meisten Geschosse ihr Ziel und auch der Scherenkrug blieb unversehrt. In der Nachkriegszeit lagen die goldenen Jahre des Scherenkrugs.

Der gesellschaftliche Mittelpunkt

Gustav Ritzenhoff führte mit seiner Frau Friederike die Gaststätte, die durch ihre günstige Lage und durch ihren großen Saal praktisch den gesellschaftlichen Mittelpunkt für Asemisser und oftmals auch Oerlinghauser Feierlichkeiten bildete. &bdquo;Fast alle Familienfeiern, Silberhochzeiten, Turnveranstaltungen, Schulfeste oder Ähnliches liefen im Scherenkrug", erinnert sich Manfred Burkamp, langjähriger Leopoldshöher Ratsherr und gebürtiger Asemisser an frühere Zeiten.

&bdquo;Erst als in Asemissen im Jahre 1969 die Festhalle gebaut wurde, konnte man auf den großen Saal des Scherenkrugs verzichten." Legendär waren die Sportlerbälle und Tanzpartys in den 1950er Jahren. Kleine Bands und Musikkapellen traten in jenen Jahren auf und boten Livemusik vom Feinsten. So gastierte an Wochenenden häufig die Tanzband der Teutoburger Jäger &bdquo;auf dem Saal".

Viele traditionelle Feste

Auch die frühere Kapelle Baule aus Lemgo kennen viele ältere Mitbürger noch aus eigenem Erleben. Erdmuthe Mittelberg (88), die 1952 als junges Mädchen in der Küche des Scherenkrugs ihre erste Arbeit aufnahm, erinnert sich sehr gut an den Trubel in der Gaststätte, wenn die traditionellen Feste gefeiert wurden: &bdquo;Mein erster Tag im Scherenkrug war der 1. März 1952. Damals feierte der Gesangverein seinen berühmten Karneval-Kehraus im Saal und in allen Gasträumen.

Ich war zuständig für den Verkauf von Heißwürstchen aus der Dose." Es war keine leichte Aufgabe, meint sie, doch sie meisterte ihren Job bei höchster Anspannung offenbar bestens. Erdmuthe Mittelberg: &bdquo;Später kam Gustav Ritzenhoff zu mir und sagte: Du hast deine Generalprobe sehr gut bestanden."

Mehr Verkehr, mehr Unfälle Der Scherenkrug besaß auch eine hübsche Außenterrasse direkt an der Bundesstraße 66 und einen kleinen Biergarten an der rückwärtigen Seite. Aber der zunehmende Straßenverkehr brachte auch viel Lärm mit sich, und von gemütlichem Kaffeetrinken im Freien an der Bundesstraße konnte allmählich keine Rede mehr sein. Auch die Verkehrsunfälle häuften sich am Scherenkrug, obgleich eine Ampel für mehr Sicherheit sorgen sollte.

&bdquo;Einmal hat es während einer Silberhochzeitsfeier einen schweren Unfall auf der Straße gegeben", berichtet Erdmuthe Mittelberg. &bdquo;Bis der Rettungswagen eintraf, musste ein Schwerverletzter während der Feier versorgt werden."

Wechselnde Betreiber und unterschiedliche Konzepte

1970 gaben sie und ihr Mann Willi Mittelberg, den sie nach seiner ersten Ehe mit der Ritzenhoff-Tochter Lieselotte geheiratet hatte, die Gaststätte auf, und die beiden ließen sich in einem anderen Haus in Asemissen nieder. Doch der Niedergang des Scherenkrugs wurde letztlich mit dem Ausscheiden des Gastwirtehepaares eingeläutet. Mehrfach wechselte danach der Krug seinen Betreiber. Auch ein Restaurant mit jugoslawischer Küche war dabei. Schließlich ließ sich ein Nachtclub im Scherenkrug nieder, der &bdquo;Palm Beach Club".

1995 schließlich war auch dieses Kapitel beendet, die Gemeinde Leopoldshöhe übernahm das leerstehende Gebäude. Nach vielen Umbauten zogen Aussiedler aus Russland ein. 2016 begannen schließlich die Abrissarbeiten des Scherenkrugs, um an dieser Stelle ein modernes Straßenkreuz zu bauen. Doch immer wieder verzögerte sich der Start der Straßenbauarbeiten. Nun aber sind seit Längerem die Erdarbeiten für den Bau von zwei großen Verkehrskreiseln in vollem Gange. Und nur noch einige nostalgische Fotoaufnahmen erinnern an die bewegte Zeit des Scherenkrugs und seine berühmte Kreuzung.

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