Von Bielefelder Klinikarzt vergewaltigt: „Er ist böse, nicht krank“

Bielefeld. Mitten in der Nacht war der junge Assistenzarzt (32) bei ihr ins Patientenzimmer gestürmt, auffallend nervös. &bdquo;Ich dachte, dass er vielleicht überarbeitet war", berichtet die 36-jährige Neurologie-Patientin, die vor einer Woche aus den Medien erfuhr, dass dieser Mann sie narkotisiert und anschließend in der Klinik vergewaltigt haben soll. Der Arzt nahm sich inzwischen das Leben, die 36-Jährige wird die abscheuliche Tat nicht mehr loswerden.

Die zweifache Mutter hatte monatelang mit dem Wissen gelebt, dass dieser Arzt ihr Unrecht angetan hat: &bdquo;Was es aber genau war, dafür hatte mir die Vorstellungskraft gefehlt." An die Tat selbst hat sie keinerlei Erinnerung. Erst seit sie die Details der Übergriffe kennt, leidet sie unter Schlaflosigkeit. Schläft sie doch, träumt sie von ihrem Peiniger, der im weißen Arztkittel an ihrem Bett steht. In ihrer Erinnerung ist sie aus der Narkose nochmal aufgewacht, da hat sie den Arzt am Bett stehen gesehen, als er an ihrem Tropf hantierte. &bdquo;Sein Gesicht werde ich nie vergessen."

"Sichtlich nervös" trat er an sein Opfer heran Als Patientin des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) war sie am 28. Juli und am 2. September 2019 stationär für MRT-Untersuchungen aufgenommen worden. Im Juli suchte der 32-jährige Assistenzarzt die Frau kurz nach Mitternacht auf. Völlig überraschend. Sichtlich nervös versuchte er der verdutzten Frau einen Venenzugang zu legen. &bdquo;Er sagte mir, ich brauche Flüssigkeit. Nachdem er zweimal die Adern verfehlt hatte, traf er doch." Im Nu war die 36-Jährige bewusstlos.

Wie berichtet, wachte sie später mit Grippesymptomen und Schüttelfrost auf. Der Venenzugang lag abgerissen neben dem Bett, unter ihr lag ein Fläschchen mit dem Narkosemittel Propofol. Die Schwester, die das Fläschchen entgegennahm, soll sehr erschrocken reagiert haben. Wo das Beweismittel später landete, ist nicht mehr nachzuvollziehen.

Beim zweiten Klinikaufenthalt kehrte er zu ihr zurück Im September kehrte sie dennoch in die Neurologie zurück. Diesmal hatte sie eine Bettnachbarin. Doch das hielt den mutmaßlichen Täter nicht von seinem Tun ab. &bdquo;Er sagte zu mir: Ach, wieder hier?" Gegen 22 Uhr tauchte er wieder überraschend bei der 36-Jährigen auf und verkündete gleich beiden Patientinnen, dass sie Flüssigkeit bräuchten. Als sich bei der Patientin sofort alles drehte, fragte sie noch: &bdquo;Was haben Sie mir gegeben?" Dann war sie weg. Die Bettnachbarin forderte den Arzt auf, der Bewusstlosen zu helfen. Er reagierte aber gelassen und sagte, das sei bei der Patientin normal. Anschließend sedierte er auch die zweite Frau.

Von der Kripo sichergestellte Videodateien des Arztes sollen zeigen, dass er in dieser Nacht beide Frauen vergewaltigt habe. Am nächsten Morgen wachten beide mit Schüttelfrost auf. Die 36-Jährige berichtete der Leidensgenossin von dem ersten Vorfall und dem Fläschchen: &bdquo;Sie ist sachkundig und wusste, dass dieses Narkosemittel normalerweise nur Anästhesisten einsetzen."

Anzeige gegen den Oberarzt wegen "Beihilfe durch Unterlassen" Die Frauen beschwerten sich. Doch ihnen wurde wieder nicht geglaubt. Zwar habe der Oberarzt bestätigt, dass es überhaupt nicht üblich sei, dass Ärzte nachts Zugänge legten, doch statt mit dem angekündigten Chefarzt soll er mit dem 32-jährigen Assistenzarzt zurückgekehrt sein und soll alle Vorwürfe abgewimmelt haben. &bdquo;Ich war geschockt. Obwohl meine Nachbarin gesehen hat, wie er mich bewusstlos gemacht hat, hat man uns nicht geglaubt." Auch das Handy-Foto des Narkosemittels vom Juli soll den Oberarzt nicht überzeugt haben.

Anwältin Stefanie Höke betont: &bdquo;Man hat meiner Mandantin glauben machen wollen, dass ihr Kreislauf versagt hat, weil die Kochsalzlösung nicht die richtige Temperatur hatte." Die Strafrechtlerin erstattete deshalb jetzt auch gegen den Oberarzt Strafanzeige – wegen &bdquo;Beihilfe durch Unterlassen". &bdquo;Wir wissen nicht, ob es Taten nach dem 2. September gab. Aber wir gehen davon aus." Denn der Assistenzarzt erfuhr keinerlei Konsequenzen.

Kripo findet größere Mengen an Betäubungsmitteln Die 36-Jährige entließ sich daraufhin aus Angst vor weiteren Übergriffen selbst aus der Klinik und erstattete damals bei der Kripo Anzeige. &bdquo;Hier hat man mir das erste Mal geglaubt", sagt die Betroffene verzweifelt. Doch es dauerte sieben Monate, bis im April die Rückmeldung kam: &bdquo;Sie lagen mit Ihrem Verdacht nicht falsch." Die Kripo soll bei der Durchsuchung in der Wohnung des jungen Neurologen größere Mengen medizinische Betäubungsmittel gefunden haben. Erst danach stellte die Klinik den Mitarbeiter frei.

Es vergingen weitere Monate ohne Klarheit, bis vor einer Woche das ganze Ausmaß der Taten deutlich wurde. Endlich geknackte Videodateien sollen mehrere sexuelle Übergriffe dokumentieren. &bdquo;Zu mir gibt es einen eigenen Ordner", weiß die 36-Jährige. Die Videos hat sie sich nicht angesehen, aber sich dennoch Details schildern lassen: &bdquo;Er hat skrupellos gehandelt. Das zeigen die Videos", betont sie. &bdquo;Wer dazu imstande ist, der ist böse, nicht krank." Dass solche Täter schnell als krank bezeichnet würde, könne sie nicht verstehen.

"Ich weiß nicht einmal, ob es jemandem im Haus leidtut" Belastend empfindet die 36-Jährige auch, dass die Klinik sich trotz ihrer Aussagen so lange vor ihren Mitarbeiter gestellt habe &bdquo;Bis heute hat sich niemand von Bethel bei mir gemeldet. Ich weiß nicht einmal, ob es dort im Haus jemandem leidtut, was mit widerfahren ist." EvKB-Geschäftsführer Matthias Ernst reagiert auf den Vorwurf: &bdquo;Wir wollten Kontakt mit den Opfern aufnehmen." Um die Ermittlungen nicht zu beeinflussen, hätten die Behörden aber davon abgeraten. Auch Opferexperten hätten abgeraten, &bdquo;weil eine Ansprache weiter traumatisieren könnte".

Die Nachricht vom Suizid des Arztes habe die 36-Jährige weder schockiert noch berührt. &bdquo;Es wäre besser gewesen, wenn er sich vor einem Gericht hätte erklären müssen." Andererseits passe es zu ihm. &bdquo;Er hat stets im Verborgenen gehandelt – so hat er auch sein Leben beendet."

Die 36-Jährige hofft, dass sie mit Hilfe einer Therapie das Erlebte verarbeiten kann. &bdquo;Meine Kinder geben mir außerdem großen Halt." Dass ihr durch den Tod des Beschuldigten ein belastender Prozess erspart bleibe, sei vielleicht dabei hilfreich. Dennoch glaubt sie: Alle Opfer haben das Recht zu erfahren, was mit ihnen passiert ist." Sie selbst habe der zwölfjährigen Tochter von den Taten berichtet. &bdquo;Damit sie es nicht von anderen erfährt", betont die Mutter, die allerdings befürchtet, dass ihre Tochter nicht mehr ohne Angst ein Krankenhaus betreten wird.

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