"Wolf im Schafspelz": So tickt die AfD in NRW

Düsseldorf. Das vom industriellen Wandel geprägte Ruhrgebiet wie der Duisburger Norden galt lange als SPD-Hochburg. Inzwischen hat dort die AfD immer höhere Zustimmungswerte. Eine neue Insa-Umfrage zeigt: Wäre heute Bundestagswahl, würde die AfD den Wahlkreis Duisburg II gewinnen. Schon bei der Landtagswahl 2022, als es die Partei mit 5,4 Prozentpunkten so gerade ins Parlament schaffte, schnitt sie dort mehr als doppelt so gut ab. Inzwischen liegt sie auch landesweit in Umfragen bei 13 bis 15 Prozent – eine Verdreifachung. Welches Potenzial hat die Partei am Rhein, wofür steht sie und was beschert ihr Zulauf?

Nach Jahren der inneren Zerstrittenheit kommt die AfD in NRW heute recht geeint und nach außen moderater daher. Dafür sorgt vor allem ihr Mann an der Spitze. Der Mediziner Martin Vincentz führt die Partei und Fraktion seit rund einem Jahr. Zwar nutzt der smart wirkende 37-Jährige seine Redebeiträge im Landtag regelmäßig für eine Generalabrechnung mit der Politik und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Doch von allzu radikalen Äußerungen sieht Vincentz öffentlich ab.

Seit Monaten lädt die AfD in NRW regelmäßig zu Presseterminen ein. Auch von Medientrainings ist die Rede. In Plenardebatten sorgen Auftritte der elfköpfigen Fraktion aber immer wieder für Aufregung. Häufig verlassen Mitglieder anderer Fraktionen den Saal, sobald ein AfD-Vertreter ans Rednerpult tritt. Bekannt ist die Fraktion für ihre vielen Anfragen an die Regierung, von denen sie in zwölf Monaten 1.200 gestellt hat – auch eine Strategie, um die Verwaltung zu lähmen. Die größte Oppositionsfraktion SPD stellte halb so viele. Oft interessiert sich die AfD für den Bereich der Kriminalität. Sie fragt zum Beispiel regelmäßig nach der Täterherkunft und will bei Messerangriffen die Vornamen der Täter wissen. Sie übte aber auch viel Kritik am Corona-Management und an den Energieplänen des Landes.

Bürger aus OWL nennt Gründe für AfD-Zustimmung &bdquo;Die AfD sagt, was ich hören will“, meint ein Bürger aus OWL, der lieber anonym bleiben möchte, im Gespräch mit dieser Redaktion. Der 61-Jährige, der sich selber als &bdquo;Mann der Mittelschicht“ bezeichnet, ist der Meinung, dass inzwischen nur noch die AfD die Probleme im Land benenne und lösen könne. Sein Vertrauen in die anderen Parteien sei erschüttert. Er sei kein Rassist, sondern ein &bdquo;grundsolider Mensch“, der Gerechtigkeit über alles liebe. Ihn störten aber viele Entwicklungen im Land. Das betreffe die Einwanderung und das &bdquo;Aufzwingen“ fremder Kulturen, eine wachsende Kriminalität, die in vielen Fällen von Zugewanderten ausgehe, sowie eine Presse, die die wahren Hintergründe verschleiere, behauptet er.

Die anderen Parteien versuchten die Menschen zu erziehen, ob in der Sprache, der Energiepolitik oder Migration. &bdquo;Ich habe Angst, den Mund aufzumachen und dies mitzuteilen“, sagt der Mann. Genau das mache aber die AfD. Bundesparteichefin Alice Weidel spreche ihm regelmäßig aus der Seele. &bdquo;Die AfD ist für mich eine Art Notbremse.“ Und was sagt er zu rechtsextremen Tendenzen? Die &bdquo;schrecken ab“ und seien &bdquo;nicht gut für die Partei“.

Bielefelder Soziologe Heitmeyer sieht Normalisierungs-Prozess Wilhelm Heitmeyer kommen diese Aussagen &bdquo;sehr bekannt“ vor. Der Bielefelder Soziologe forscht seit 40 Jahren zu Themen wie Gewalt und Konflikten – und beschäftigt sich intensiv mit der AfD. Ihre Stimmen gewinne die Partei auch in NRW über Kernthemen, die sich emotional aufladen ließen wie Migration, Kriminalität und Klimawandel. Die könne die AfD auch künftig nicht aufgeben, trotz aller Bemühungen, sich moderater zu präsentieren.

Heitmeyer hält es für eine Illusion, dass ausgerechnet die AfD die Probleme lösen könne. Die größte von ihr ausgehende Gefahr sei aber eine andere. &bdquo;Der Gewinn der AfD mit ihrer Ausrichtung als Autoritärer Nationalradikalismus ist es, dass ein Normalisierungsprozess in Gang kommt, also, dass Teile der Bevölkerung die AfD zunehmend als ganz normale Partei ansehen.“ Das sei das Hauptproblem. &bdquo;Denn etwas, das irgendwann als normal gilt, kann nur noch schwer problematisiert werden.“ Diese Gefahr sieht Heitmeyer auch in NRW, wenngleich er der Partei hier aufgrund der Landesstruktur mit vielen großen Städten weniger Potenzial beimisst als zum Beispiel in den eher ländlichen Gebieten im Osten.

Dort wird die Partei von Personen des rechten Randes geprägt – auch &bdquo;Flügel“ genannt. Dabei handelt es sich um einen Personenzusammenschluss um Björn Höcke, der sich nach der Beobachtung durch den Verfassungsschutz aufgelöst haben will. In NRW scheint dieser Einfluss eher gering zu sein. So sind Politiker, die sich klar dem formell aufgelösten Flügel zuordnen lassen, in Führungspositionen in NRW mittlerweile eher selten.

Rechtsextremistische Tendenzen auch in OWL Dennoch gibt es auch in NRW klare Strukturen des völkisch-nationalistischen Zusammenschlusses in der AfD; ihm werden hier knapp 1.000 Personen zugerechnet. Vor allem auf Kreisebene agiert der Flügel laut Behörden weiter. Hier scheint der Einfluss der Personen aus dem &bdquo;Höcke-Lager“ größer zu sein, zum Beispiel im Kreis Paderborn, wie Experten sagen. Dort initiieren Parteimitglieder den &bdquo;Alternativen Kulturkongress“, eine Substruktur des ehemaligen Flügels. Regelmäßig lud der Verein Rechtsextremisten zu Treffen nach Paderborn ein. Der NRW-Verfassungsschutz nennt den völkisch-nationalistischen Personenzusammenschluss in der AfD ein camoufliertes, also verstecktes, rechtsextremistisches Netzwerk.

Öffentlich ist die AfD bemüht, sich von diesen Eindrücken abzugrenzen, wenngleich sie mehrere Anfragen dieser Redaktion zunächst unbeantwortet ließ. Man habe als einzige Partei eine Unvereinbarkeitsliste, die sicherstelle, dass keine Radikalen/Extremisten in die Partei gelangten. &bdquo;In der AfD sind keine Radikalen/Extremisten Mitglied“, sagt Vincentz dieser Redaktion und behauptet, dass der Verfassungsschutz immer öfter politisch instrumentalisiert werde, um einen politischen Konkurrenten kleinzuhalten. Bei der nächsten Landtagswahl in NRW 2027 sei es das Ziel, die aktuelle Marke von 15 Prozent zu erreichen, so Vincentz.

Die anderen Fraktionen und Parteien in NRW stufen die AfD trotz ihrer jüngsten Entwicklung als gefährlich ein. Ein Mitglied der Landesregierung bezeichnet NRW-AfD-Chef Vincentz gegenüber dieser Redaktion als &bdquo;Wolf im Schafspelz“. Die Fraktionen lehnen eine Zusammenarbeit mit der AfD in jeglicher Form ab. Das Klima im Landtag habe sich negativ verändert. Das machen die Beteiligten unter anderem an vielen üblen Zwischenrufen aus AfD-Reihen fest sowie daran, dass die Fraktion versuche, die Ausschussarbeit bewusst zu stören. &bdquo;Das ist keine Partei, mit der Demokraten zusammenarbeiten können“, sagt FDP-Parteichef Henning Höne dieser Redaktion. Daran werde man festhalten, egal, wie stark die AfD auch werde.

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