Zwei Bad Oeynhausener erleben Freud und Leid einer „brutal schmerzhaften“ Radtour

Bad Oeynhausen. Schon der erste Tag hatte es in sich. &bdquo;Das Pontische Gebirge hat uns relativ schnell Grenzen aufgezeigt“, sagt Matthias Schlattmeier rückblickend. Mit lediglich 4 km/h seien sie vorangekommen. Dabei hatten sich Schlattmeier - der bereits zum dritten Mal mit dem Rad in der Türkei unterwegs war - und sein ehemaliger Azubi Kevin Niemann viel vorgenommen. Zwischen 14 und 21 Tage hatten sie sich für die 1.300 Kilometer lange Fahrradtour von Samsun bis zum Mittelmeer als Ziel gesetzt. Doch nach zwölf Tagen war Schluss. &bdquo;Kevins Knie streikte.“ Und Kevin selbst auch so langsam. Er wollte bis an seine Grenzen kommen bei dieser Radtour - ein Ziel, das er erreicht hat. &bdquo;Die waren schnell da“, sagt Niemanns ehemaliger Chef lachend. Aber die Eindrücke der Tour, die Gastfreundschaft, die Erlebnisse sind es, die unterm Strich hängen bleiben: &bdquo;Auch wenn ich dafür viele schmerzhafte Höhenmeter in Kauf nehmen musste“, bilanziert der 22-jährige Niemann.

Zwei Mal war Matthias Schlattmeier bereits mit seinem Rad im türkischen Hinterland unterwegs. Dieses Mal allerdings hatte Schlattmeier Begleitung dabei: &bdquo;Kevin hat in diesem Jahr seine Ausbildung bei mir abgeschlossen. Ich habe ihm versprochen: Wenn er die Prüfung besteht und danach weiter bei mir arbeitet, kaufe ich ihm das nötige Fahrrad und nehme ihn mit auf die Reise“, sagt Matthias Schlattmeier, Inhaber der DEVK-Versicherungsagentur an der Eidinghausener Straße, und lacht. Die Investition ist nicht gering: 3.500 Euro kostet das spezielle &bdquo;Bikepacking“-Fahrrad, das nicht einmal ein E-Bike ist. Nur mit Muskelkraft mussten die beiden die bis zu 2.000 Meter hohen Gebirgsketten des Taurusgebirges überwinden.

Und das als Fahrradneuling. &bdquo;Die Berichte meines Chefs haben mich fasziniert, aber bisher war das Wiehengebirge meine Grenze“, sagte der 22-jährige Kevin Niemann, 30 Jahre jünger als sein Reisebegleiter, vor der Abfahrt. Zwei längere Touren an die Nord- und Ostsee hätten der Vorbereitung gedient. Außerdem halfen Schlattmeiers Türkischkenntnisse und die sorgfältige Auswahl der Ausrüstung, sich auf die Herausforderungen vorzubereiten. Eigentlich hatten sie sich die Strecke von Samsun bis Mersin am Mittelmeer ausgesucht. Während Kevin Niemann von malerischen Landschaften und romantischen Sonnenuntergängen träumte, &bdquo;wusste ich, was auf uns zukam“, sagt Schlattmeier schmunzelnd. Am Ende standen 455 Kilometer und 6.544 Höhenmeter. &bdquo;Die waren brutal - allein schon wegen des Gepäcks.“

Eine Nacht auf Nüssen Schon der erste Tag sei eine Herausforderung gewesen, auch für den trainierten Schlattmeier. &bdquo;Das war so extrem steil, zum Teil habe ich beide Räder im Wechsel geschoben.“ Oder sechs Packtaschen transportiert - bei 30 Grad. Auch habe es kaum Mini-Märkte für Nachschub an Essen und Trinken an der Strecke gegeben. &bdquo;Das kannte ich aus der Türkei anders. Auf den bisherigen Strecken gab es an jeder Ecke einen.“ Auch Schlafplätze waren Mangelware. &bdquo;Wir haben auf einem Bauernhof gefragt, der Bewohner konnte sogar Deutsch und hat uns einen Schlafplatz im Haus angeboten“, erzählt Schlattmeier. Das allerdings war voll. Voll mit Haselnüssen. &bdquo;Die hat er im kompletten Obergeschoss getrocknet.“

Danach folgten strömender Regen und eine extreme Kälte. &bdquo;Wir haben die Notbremse gezogen und ein Hotel samt heißer Dusche gewählt.“ Und die Kälte setzte sich fort. Am dritten Tag war das Ziel Boraboygölü, ein See auf 1.090 Meter Höhe. &bdquo;Hier durften wir wegen der Bären und Wölfe nicht zelten“, berichtet der Bad Oeynhausener. Also mieteten beide eine Hütte - und drehten die Heizung auf. &bdquo;Die hat die ganze Nacht auf volle Pulle gelaufen, sonst wären wir erfroren“, erzählt Matthias Schlattmeier. Doch die Tortur setzt sich fort. Am vierten Tag sollte es zum höchsten Punkt der Tour gehen. Wieder folgten steile Strecken. Und immer wenn die beiden dachten, sie seien oben, ging es hinter dem nächsten Huckel noch mal höher hinauf.

Matthias Schlattmeier ist ein Fan der Türkei, ihrer Menschen und der Sprache. Und so lernte er in den vergangenen Jahren nicht nur Türkisch, sondern auch viele Menschen aus dem Mittelmeer-Land kennen. Und als er während der Radelei einen Kontakt vor Ort suchte, wurde ihm per Whats-App sofort einer vermittelt. &bdquo;Den sollten wir im Ort treffen.“ Somit ging Schlattmeier davon aus, dass es genau diese Person war, die an einer Tankstelle auf die Straße sprang und die beiden einlud. Ein Irrtum - wie sich später herausstellte. &bdquo;Vollkommen fremde Leute haben uns eingeladen“, ist auch Kevin Niemann noch immer völlig platt. Letztlich landeten sie doch noch beim Kontakt aus Bad Oeynhausen.

&bdquo;Alle haben mit uns gelitten“ Nicht aber, ohne vorher eine Sightseeing-Tour zu bekommen. &bdquo;Amasya ist toll, das ist eine Stadt für Verliebte, mit riesigen Herzbeleuchtungen und einer Burg.“ Die Spritztour allerdings sorgte zwischenzeitlich für einen Gruselfaktor. &bdquo;Unser Gastgeber bog in einen Feldweg ab und dann kam nichts mehr. Da hab’ ich gedacht, gleich sind wir ein Fall bei Aktenzeichen XY“, gibt Schlattmeier schmunzelnd zu. Dabei ging es lediglich zu einem Essen mit Ausblick. &bdquo;Die Gastfreundschaft - überwältigend“, bilanziert der 51-Jährige. &bdquo;Und alle haben mit uns gelitten“, ergänzt Niemann.

Erlebnisse wie an der Talsperre von Sorgun, als der Weg im Nichts endete und die Moschee, die meist eine Möglichkeit zum Übernachten bietet, zwar sicht-, aber nicht erreichbar war. &bdquo;Uns sind Erntehelfer vors Rad gelaufen, die sich so gefreut haben und uns spontan eingeladen haben.“ Schlattmeier und Niemann kamen so doch noch zu einem sicheren Schlafplatz. &bdquo;Ich war froh, dass wir nicht draußen zelten mussten. Das war zwar malerisch drumherum, aber mit Gruselfaktor“, erzählt Kevin Niemann. &bdquo;Wir hatten so unglaublich viel Spaß mit wildfremden Leuten“, ergänzt Schlattmeier.

Der aber doch auch froh war, wieder zuhause zu sein und zur Feier der Heimkehr Kohlrouladen serviert zu bekommen. &bdquo;Nicht immer Oliven und labberige Pommes mit Weißbrot zum Frühstück.“ Das sei ihm zu den Ohren rausgekommen. Die Heimkehr war eher als gedacht. Nach gut zehn Tagen auf dem Rad kapitulierte Kevin Niemanns Knie. Es wurde dicker und dicker und die Kilometer weniger und weniger. &bdquo;Es war aber eigentlich schon am zweiten Tag klar, dass wir unser eigentliches Ziel, das Mittelmeer, in der angedachten Zeit nicht erreichen. Dann hätten wir acht Wochen unterwegs sein müssen“, gibt der 51-jährige Schlattmeier zu.

Ein Traum von 140 Heißluftballons Dabei hatte auch Matthias Schlattmeier einen großen Traum. Er wollte die Heißluftballone von Kapadokien sehen. &bdquo;Da steigen jeden Tag bis zu 140 Heißluftballons auf.“ Sollte der Traum unerfüllt bleiben? &bdquo;Ich hab ganz unruhig geschlafen, weil mir das schon wehtat, es nicht zu sehen.“ Und so sprang Schlattmeier des Nachts aus dem Bett, lief im Pyjama auf die Straße und hielt das erstbeste Taxi an. Danach rüttelte er Kevin Niemann wach und die beiden düsten samt Fahrer mit dem Auto schnell nach Kapadokien. &bdquo;Wir waren auf die Minute pünktlich und es war unfassbar schön.“ Die Fotos davon sind beeindruckend. Dutzende Ballons fahren dem Sonnenaufgang entgegen, die Körbe so nah, &bdquo;dass man den Mitfahrenden die Hände schütteln kann“. Und auch die Höhlen im Fels, ein Welterbe, sei beeindruckend gewesen. &bdquo;Aber die Türkei lässt das verkommen, alles ist zugemüllt - dabei gibt es nichts Vergleichbares.“

All das sind Erlebnisse, die hängen bleiben. &bdquo;Diese Erlebnisse hat Kevin auch gebraucht. Der war jeden Tag schon fertig, wenn wir morgens das 30-Kilo-Rad gepackt hatten.“ Kevin habe nur noch nach Hause wollen. Weshalb der Chef für gute Momente sorgte. Zum Beispiel mit einem Stopp in einem Hamam Bad - als Erholung. &bdquo;Wir waren zwar aus dem Gebirge raus, aber es gab immer noch Steigungen.“ Drei Mal war Schlattmeier unterwegs und weiß deshalb: &bdquo;Diese Tour war brutal schmerzhaft. Dafür musst du geschaffen sein.“ Kevin Niemann winkt er ab. Er ist es nicht. Und ob der junge Mann jemals wieder aufs Rad steigt? &bdquo;Ich glaube nicht“, antwortet lachend der Chef für den ehemaligen Azubi. Aber er ist voll des Lobes für seinen Mitradler: &bdquo;Kevin hat mehr als meinen vollen Respekt. Der hat sehr, sehr geil durchgehalten. Und hat es all seinen Kritikern gezeigt.“

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