Streit um HNO-Vergütung: 14.000 kranke Kinder warten auf OP-Termine

Düsseldorf/Paderborn. Die Krankenkassen und HNO-Ärzte in Deutschland streiten um die Vergütung für ambulante Eingriffe bei Kindern. Eine Lösung ist nicht in Sicht, obwohl sich die Versorgung inzwischen so stark verschlechtert hat, dass Kinder bis zu anderthalb Jahre auf einen OP-Termin warten müssen. Die Folgen sind verheerend, denn viele Kinder leiden aufgrund der Verzögerungen an Entwicklungsstörungen. In NRW ist die Lage nach Angaben des Deutschen Berufsverbands der HNO-Ärzte besonders angespannt, weil im Zuge der Krankenhausreform 33 Belegabteilungen in Kliniken geschlossen wurden.

Worüber streiten Krankenkassen und HNO-Ärzte?

Seit 2023 gelten neue Vergütungen für HNO-Ärzte, die ambulante Operationen bei Kindern anbieten. Typisch sind Eingriffe an den Gaumen- und Rachenmandeln und das Einsetzen von Paukenröhrchen bei Ergüssen. Nach Angaben des HNO-Berufsverbands ist die Vergütung jedoch zu gering, um diese Eingriffe weiter wirtschaftlich anbieten zu können.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat festgelegt, dass HNO-Ärzte für die Entfernung der Rachenmandeln oder dem Einsetzen von Paukenröhrchen jeweils bis zu 277 Euro pro Operation erhalten. Beide Eingriffe dauern laut Spitzenverband etwa 15 bis 20 Minuten. &bdquo;Die Vergütung setzt sich aus 111 Euro für den direkten Eingriff, bis zu 47 Euro für die postoperative Überwachung und Nachbeobachtung und 119 Euro für die Anästhesie zusammen“, erklärt ein Sprecher. Die Entfernung der Gaumenmandeln sei komplexer, weshalb Ärzte mit bis zu 475 Euro vergütet würden. &bdquo;Wovon 180 Euro auf den operativen Eingriff selbst entfallen, bis zu 110 Euro für die postoperative Überwachung und Nachbehandlung und 160 Euro für die Anästhesie.“

Von 111 Euro müssen Ärzte OP-Miete und -Personal bezahlen Die 111 Euro für den Operateur sind nach Angaben des HNO-Berufsverbands jedoch nicht mit dessen Honorar gleichzusetzen. &bdquo;Davon müssen alle mit der Operation verbundenen Kosten bezahlt werden wie OP-Miete und -Personal, Instrumentenaufbereitung, Versicherung und Rufbereitschaft“, erklärt der Paderborner HNO-Arzt Dominik Brors, der sich als Bezirksvorsitzender im Berufsverband engagiert. &bdquo;Damit kann nicht mehr wirtschaftlich gearbeitet werden. Nötig sind 250 Euro pro Eingriff.“

Werden bei einem ambulanten Eingriff nicht nur Paukenröhrchen eingesetzt, sondern auch Polypen oder Mandeln entfernt, erhalten die Operateure für diese zusätzliche Leistung nach Angaben des Berufsverbands keine zusätzliche Vergütung mehr. &bdquo;Diese Eingriffe werden aber in den allermeisten Fällen in Kombination durchgeführt, damit Kinder nicht mehrfach unter Vollnarkose operiert werden müssen“, erklärt Brors.

Welchen Einfluss hat die NRW-Klinikreform auf die Versorgung?

In NRW stehen niedergelassenen HNO-Ärzten seit diesem Jahr deutlich weniger Belegbetten in Kliniken zur Verfügung. Nach Angaben des NRW-Gesundheitsministeriums haben im Zuge der Krankenhausreform 73 Kliniken die Zuweisung für die Leistungsgruppe HNO erhalten. 72 Kliniken haben die Leistungsgruppe auch für ihre Belegabteilungen beantragt. Den Zuschlag dafür haben jedoch nur 39 Belegabteilungen erhalten, weil sie die Mindestkriterien erfüllen.

Dadurch sind nach Angaben des HNO-Berufsverbands 33 Belegabteilungen und damit 4.000 Operationen pro Jahr weggefallen. Laut Ministerium könnten diese Operationen jedoch ohne Probleme in den weiter bestehenden Kliniken durchgeführt werden. Insgesamt sieht das Ministerium einen Bedarf von 114.163 HNO-Eingriffen bei Kindern und Erwachsenen pro Jahr. &bdquo;Der prognostizierte Bedarf liegt deutlich über dem aktuellen Fallgeschehen, weshalb das Land auch weiterhin eine bedarfsgerechte Krankenhausversorgung gewährleistet“, erklärt ein Sprecher. Einen Zusammenhang zwischen der schlechten Versorgungslage von Kindern und der Klinikreform sieht das Ministerium nicht. Nach Angaben des Sprechers sinkt die Zahl der Belegärzte und der Belegabteilungen bundesweit bereits seit Jahren, unabhängig von der Klinikreform in NRW.

Kliniken kürzen OP-Kapazitäten für Kinder Der Berufsverband der HNO-Ärzte bemängelt hingegen einen deutlichen Rückgang der OP-Kapazitäten. Allerdings nicht nur wegen der Klinikreform, sondern auch aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage der Kliniken. Hintergrund ist nach Angaben von HNO-Präsident Jan Löhler die vergleichsweise schlechte Vergütung von Eingriffen bei Kindern, die zwar kurz, aber mit hohen Risiken verbunden sind. &bdquo;Die Kliniken müssen knallhart rechnen und für risikoärmere Operationen in anderen Fachbereichen erhalten sie mehr Geld. Deshalb werden OP-Kapazitäten für Kinder im HNO-Bereich gestrichen und Verträge mit niedergelassenen Operateuren gekündigt.“

Welche Folgen hat die Entwicklung für Kinder?

Die Zahl der HNO-Ärzte, die Kinder ambulant operieren, ist seit 2023 deutlich gesunken. Brors bietet die Eingriffe weiter an. &bdquo;Das ist aber nicht für jeden Arzt möglich. Es kommt auf die Größe der Praxis und die Möglichkeit an, ob und zu welchen Konditionen Belegbetten in Kliniken zur Verfügung stehen.“ Der HNO-Berufsverband schätzt, dass aktuell bis zu 14.000 Kinder auf einen OP-Termin warten. &bdquo;Die Ärzte, die die Eingriffe noch anbieten, müssen nach Dringlichkeit entscheiden. Leider kommt es immer wieder vor, dass Kinder aufgrund der Verzögerungen zu Notfällen werden.“

Werden Kinder nicht rechtzeitig operiert, drohen nach Angaben Brors Entwicklungsstörungen. &bdquo;Die Kinder leiden massiv. Sie können nicht mehr richtig hören, haben Probleme mit Schwindel, beim Atmen und Schlafen und entwickeln sich dadurch verzögert, vor allem in ihrer Sprachentwicklung.“ Das sei verheerend und unnötig, denn rechtzeitige Eingriffe könnten das verhindern, sagt Brors. &bdquo;Hinzu kommen enorme Kosten für das Gesundheitswesen. Betroffene Kinder benötigen beispielsweise Logopädie. 20 Sitzungen kosten die Solidargemeinschaft 1.200 Euro.“

Verzweifelte Eltern bitten in Praxen und Kliniken um OP-Termine Brors und sein Team erreichen täglich verzweifelte Anfragen von Eltern. &bdquo;Wir können die hohe Nachfrage jedoch nicht bedienen, weil die Kostenträger an der Kürzung festhalten, obwohl sie durch die Stärkung der Ambulantisierung Kosten sparen könnten.“

In ihrer Not wenden sich Eltern vermehrt an Kliniken, die jedoch in vielen Fällen keine ambulanten HNO-Eingriffe bei Kindern anbieten, sondern nur in schweren Fällen und im Notfall zuständig sind. Dazu zählt auch die HNO-Klinik des Johannes-Wesling-Klinikums Minden, die seit Anfang 2024 keine ambulanten HNO-Eingriffe mehr anbietet. &bdquo;Weil in der Vergangenheit immer mehr ambulante Eingriffe, wie die Entfernung von kindlichen Polypen durchgeführt werden mussten, wurde es immer schwieriger, unsere Kernaufgabe zu erfüllen“, hieß es zur Begründung.

Klinikum Minden hat ambulante HNO-Eingriffe gestrichen Ein Jahr später hat sich an der Lage nichts geändert. &bdquo;Leider zwingen uns die begrenzten OP-Kapazitäten zu einer Fokussierung auf unseren eigentlichen Versorgungsauftrag, der die großen Operationen und speziell die großen onkologischen Operationen vorsieht“, erklärt Sprecher Christian Busse. &bdquo;Unser Versorgungsauftrag bezieht sich auf stationäre Leistungen, die zwingend in einem Krankenhaus erbracht werden müssen.“

Die Nachfrage nach ambulanten HNO-Operationen, vor allem bei Kindern, ist laut Busse jedoch weiterhin hoch. &bdquo;Wir erleben einen hohen Leidensdruck bei den Eltern. Wir verweisen die Eltern an die leider sehr wenigen HNO-Praxen in der Region, die noch ambulant operieren.“

Was können Eltern tun?

Viele Möglichkeiten gibt es nach Angaben Brors für Eltern kranker Kinder aktuell nicht. &bdquo;Eltern können nur versuchen, freie Termine in Praxen oder Kliniken zu finden.“ Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) bietet zudem Unterstützung über die Terminservicestelle. Viele Eltern berichten jedoch, dass auch die KVWL oft nicht weiterhelfen kann. &bdquo;Erst wenn die Vergütung wieder steigt, wird sich etwas ändern“, befürchtet Brors.

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