Scheidender Stadtwerke-Chef: Ohne Gasimporte in die Zukunft

Lemgo. Zum Jahresende ist für Stadtwerke-Chef Arnd Oberscheven Schluss. Der Geschäftsführer räumt seinen Posten für den langjährigen Vertriebsleiter Matthias Sasse. Stürmischere Zeiten hätte sich Oberscheven für den altersbedingten Wechsel nicht aussuchen können. Wobei aussuchen ...

Ihr Nachfolger übernimmt in windumtoster See das Ruder des dicken Stadtwerke-Kahns. Ist das nicht etwas undankbar?

Arnd Oberscheven : Das stimmt. Solch eine, positiv formuliert, spannende Zeit, in der Entscheidungen immer kurzlebiger und spontaner werden, hat es in der Energiebranche noch nie gegeben. Das tut mir für Matthias Sasse schon ein bisschen leid. Aber die Entscheidung ist vor drei Jahren gefallen und steht fest.

Bedauern Sie den Zeitpunkt denn im Nachhinein?

Arnd Oberscheven : Bedauern? Nein. Nach 20 Jahren und 9 Monaten an der Spitze der vergleichsweise großen Stadtwerke Lemgo, mit neben dem Standardgeschäft noch eigenem Bäder-, Stadtbus- und Parkhausbetrieb, ist es für mich an der Zeit, ruhiger zu treten. Was aber stimmt: Angesichts der Irrungen und Wirrungen, vor allem der Politik derzeit, juckt es mich schon in den Fingern, meinem Nachfolger zu helfen. Er wird es mit seiner Erfahrung aber meistern.

Helfen heißt ja auch, ein gut bestelltes Haus zu übergeben. Sind die Lemgoer Stadtwerke gesunde Stadtwerke?

Arnd Oberscheven : Ja, zweifelsohne. Und nicht nur gesund, sondern seit Jahren als Vorreiter unterwegs, was den Umbau zu nachhaltiger, innovativer Stromerzeugung und der Unabhängigkeit vom Weltmarkt angeht. Darauf bin ich schon stolz.

Können Sie das ein bisschen konkreter machen?

Arnd Oberscheven : Mit der Wärmepumpe an der Kläranlage waren wir die ersten in Deutschland, beim Elektrokessel auch Vorreiter, bei Kraftwärmekopplung und Fernwärme galten wir schon früh in Düsseldorf als Modellstadt.

... und jetzt zahlt sich das aus. Galt Fernwärme bisher als relativ teuer, fällt die Preiserhöhung dort jetzt äußerst gering aus.

Arnd Oberscheven : Genau. Der Netzausbau bei der Fernwärme ist halt teuer. Ich sage immer, grob kostet ein Meter Fernwärme 700, ein Meter Gasleitung aber nur 150 Euro. Trotzdem sind wir den Weg gegangen und erreichen jetzt die Preisgleichheit. Wir verkaufen Fernwärmeanschlüsse noch und nöcher, und es kann den Kunden gar nicht schnell genug gehen. Wir haben jeden Bagger im Einsatz, den wir kriegen können.

Unabhängigkeit vom Gaspreis ist also derzeit Trumpf?

Arnd Oberscheven : Im Sommerhalbjahr haben wir die ja mit den Fluss- und Abwasserwärmepumpen und mit dem Solarthermiefeld ja schon weitestgehend erreicht. Jetzt müssen wir daran arbeiten, auch im Winter, wenn wir noch Gas verfeuern müssen, autarker zu werden. In der Planung haben wir einen Holzhackschnitzel-Kessel, in dem dann regionales, lippisches Holz die Energieversorgung sichert.

Sind die Stadtwerke Lemgo also grüne Stadtwerke?

Arnd Oberscheven : Das würde der ein oder andere sicher so formulieren. Ich meine, seit dem ersten Lemgoer Klimaschutzkonzept - wohlgemerkt schon 2008 - sind wir dabei die treibende Kraft. Auch, um neue Technologien zu fördern. Auch bei neuen Windrädern stehen wir in den Startlöchern. Etwa in Barntrup. Die hätte ich gerne noch selbst mit eingeweiht.

Nur mit Windrädern in Lemgo selbst hat es nicht so geklappt.

Arnd Oberscheven : In der Tat. Ich hätte gerne auch hier eigene Windräder gebaut, und die Baugenehmigung beispielsweise für Brüntorf hatten wir schon. Doch der Widerstand in der Bevölkerung war zu groß, und der Rückhalt in der Politik zu klein. Ja, im Grunde ist man uns in den Rücken gefallen, uns wurde massenhaft damit gedroht, den Energieversorger zu wechseln.

Dann ziehst du so etwas Unpopuläres eben nicht durch ...

Arnd Oberscheven : Genau, und jetzt baut ein privater Investor zwei statt unserem einen Windrad, das wir versprochen hatten - und dann auch noch näher an die Wohnbebauung. Die Gewinne bleiben ebenfalls woanders hängen. Das kommt dabei raus, wenn in der Diskussion zu viel Ideologie im Spiel ist.

Apropos: Was sagen Sie zu den "Klimaklebern", der sogenannten "Letzten Generation", die auch mit illegalen Mitteln ihre Ziele durchsetzen will?

Arnd Oberscheven : Für Demonstrationen und ähnliche Protestformen habe ich Verständnis, nicht aber für Rechtsbruch. Ich fürchte, dass die aktuellen Protestformen auch mehr schaden als nutzen. Dabei sind wir im Ziel doch eigentlich einig: die Energieversorgung ökologisch umzubauen.

Und was ist mit Atomstrom? Die Technologie ist ja wieder in der Diskussion, als vermeintlich sauber.

Arnd Oberscheven : Das sehe ich so nicht. Seit 2009 verzichten die Stadtwerke Lemgo beim Einkauf auf Atomstrom, zwei Jahre vor Fukushima. An dieser Marschroute hat sich nichts geändert. Wenn in Grohnde etwas Schlimmes passiert wäre, hätten wir in Lemgo nicht mehr wohnen können. So einfach ist das. Andere haben das sicher später erkannt als wir.

Wie konnte man diesen Kurs eigentlich mit einem langjährigen CDU-Bürgermeister und seiner Ratsmehrheit durchsetzen?

Arnd Oberscheven : Ganz einfach: Wenn sich Ökonomie und Ökologie zugunsten der Stadt verbinden lassen, ist auch ein bekennender Kfz-Fan wie Reiner Austermann für die entsprechenden Ideen zu gewinnen.

Reiner Austermann , der ja nun auch im Ruhestand ist, an seinen Kübelwagen herumschraubt und ein Fachbuch dazu geschrieben hat. Was planen Sie für den Ruhestand?

Arnd Oberscheven : Ich liebe das Reisen. Mit meinem Bruder, der beruflich passenderweise ebenfalls kürzertritt, möchte ich mit dem Auto nach Montenegro. Einfach reinsetzen und los gehts - ohne Zeitdruck und ohne Verpflichtungen. Das wird nach einer beruflichen Phase, in der ich nie länger als zwei Wochen am Stück fehlen konnte und 24/7 erreichbar war, auch schön. Und ich werde ein wenig Beratung bei Wärmeversorgungskonzepten machen.

Experte für Kraftwärmekopplung Arnd Oberscheven ist seit 2002 Geschäftsführer der Stadtwerke Lemgo. Zum Jahresende geht er in den Ruhestand. Studiert hatte der heute 59-Jährige an der Uni Hannover Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Energieversorgung. Nach einer Station bei den Stadtwerken Hannover wurde Oberscheven Bezirksstellenleiter bei einem Regionalstromanbieter, dann war er für weitere sechs Jahre Technischer Leiter und Prokurist bei den Energiewerken Korbach. Die Stadtwerke Lemgo, wo er fast 21 Jahre die Geschäfte lenkte, sind somit seine vierte berufliche Station.

Scheidender Stadtwerke-Chef: Ohne Gasimporte in die Zukunft

Stadtwerke Lemgo: Rekordinvestitionen und höhere Preise für die Kunden

Energieversorgung in Lemgo: Stadtwerke kämpfen gegen Preisschwankungen

Lemgo stoppt Fernwärme-Ausbau für Neubaugebiete

Zufrieden mit den Zahlen: Stadtwerke Lemgo legen Jahresergebnis vor

So soll Lemgo künftig heizen

Klaus Rübesamen sagt bei Brasseler in Lemgo nach 44 Jahren ade

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus