Stattgespräch-Premiere: Wenn das vermeintliche Familienglück zerplatzt

Lemgo. Die freie Theatergruppe Stattgespräch hat eine grandiose Premiere mit dem Familiendrama &bdquo;Dinge, die ich sicher weiß“ unter der feinfühligen Regie von Frank Wiemann und Katrin Brakemeier ( Assistenz ) gefeiert. Myriam Heidemann und Manfred Templin erleben ein erfolgreiches Debüt. Der australische Schriftsteller Andrew Bovell schrieb 2016 sein Stück &bdquo;Things I Know To Be True“. Die deutsche Erstaufführung erfolgte 2018 im Stadttheater Mainz.

Selbst nach jahrelangem Zusammenleben ist es oft nicht viel, was man wirklich voneinander weiß. Die Bilder, die man sich macht, entpuppen sich oft als Täuschungen oder Enttäuschungen, die es im Stück reichlich gibt. Es lässt Seifenblasen des kleinbürgerlichen Familienglücks zerplatzen und offenbart verdrängte Wirklichkeiten, die dem Zuschauer einen Spiegel vorhalten. Die Dramaturgie lebt unter anderem von tiefgründigen Monologen, die ausdrucksstark auf der Bühne realisiert werden. Alle Protagonisten beherrschen pointiert ihre Rollen und bannen die Besucher des ausverkauften Kulturbahnhofs.

Durchdachtes Bühnenbild Alles hätte so schön sein können: Das durchdachte Bühnenbild von Stephan Gottwald und Frank Wiemann mit seinem idyllischen Kleingarten ist das gepflegte Universum, in dem die sechsköpfige Familie Price zusammenkommt. Die erwachsenen Kinder Ben, Pip und Mark leben ihr eigenes Leben. Die jüngste Tochter Rosie wohnt noch bei ihren Eltern. Im Verlauf des vielschichtigen Schauspiels stellt sich eine Familienkrise nach der anderen ein, die sämtliche Wertvorstellungen und das ganze Leben der Eltern in Frage stellt, für das sie so hart arbeiten mussten. Ein Anruf um Mitternacht kann das Leben auf den Kopf stellen.

Mit gebrochenem Herzen kommt Rosie (Jacqueline Pape) vorzeitig vom Europa-Trip zurück. Sie hat sich in den Falschen verliebt und sucht Trost im Schoß der Familie. Jaqueline Pape gelingt ein ausdrucksstarker Monolog. Sie wollte neue Leute kennenlernen und auf eigenen Beinen stehen, was ein Reinfall wurde. &bdquo;Wann fängt das Leben an?“, fragt sie verzweifelt. Nun will sie eine Liste machen von Dingen, die sie sicher weiß, die jedoch sehr kurz wird. Manfred Templin ist die Rolle des gütigen Vaters Bob auf den Leib geschrieben und Liane Kreye verkörpert in der Hauptrolle authentisch die sich aufopfernde Über-Mutter Fran, die alles wissen will und weiß.

Heimlichkeiten bestimmen die Familie Tochter Pip, souverän von Myriam Heidemann verkörpert, plant ihren Mann und ihre Kinder zu verlassen, um mit einem anderen Mann ein neues Leben in Vancouver anzufangen. Den Mutter-Tochter-Konflikt verdeutlichen spannungsreiche Dialoge, die Erlebnisse der Kindheit beleuchten.

Sohn Mark, in dessen Rolle sich Stephan Gottwald sensibel versetzt, hat sich von seiner Freundin getrennt und plant eine Veränderung, die die Familie erschüttert. Die Intimität seines inneren Monologes macht betroffen.

Son Ben, dynamisch von Frank Wiemann gespielt, lässt sich mit 53 Jahren noch die Hemden von seiner Mutter waschen. Als verwöhntes Muttersöhnchen birgt er dunkle Geheimnisse, die bald aufzufliegen drohen. Sein erschreckendes Geständnis im Drogenrausch erschüttert.

Lachen und Weinen liegen dicht beieinander Mutter Fran hat heimlich etwas von ihrem Einkommen beiseite geschafft, für den Fall, dass sie ihren Ehemann Bob mal verlassen sollte. Irgendwann ist die große Liebe vorbei und man arrangiert sich. Sie hasst den ordentlichen Garten und hätte ihn lieber wilder. Dieser Wunsch ist Sinnbild für ihr eigenes Leben, das sie nie ausleben konnte, weil sie sich auch ehrenamtlich immer um andere kümmerte. Ein Leben allein zuhause mit Bob, der mit 63 frühverrentet wurde, wäre für sie unerträglich. Der lange Brief, den ihr Pip aus Vancouver schickt, geht ihr zu Herzen. Liane Kreye liest ihn im gelungenen Wechsel mit Einspielungen vom Band. Bob fällt es schwer zu akzeptieren, dass die Kinder eigene Wege gehen. &bdquo;Ich dachte, sie werden so wie wir, nur besser. Dafür haben wir doch so schwer gearbeitet.“

Mit viel Tiefgang hat Regisseur Frank Wiemann das facettenreiche Stück inszeniert. Lachen und Weinen liegen dicht beieinander ohne kitschig zu wirken. Mit liebevoller Sachlichkeit und großer Präzision gelingt es, starke Emotionen entstehen zu lassen und das Wesentliche sprachlich wie schauspielerisch beeindruckend umzusetzen. Das turbulente Familiendrama mit all seiner Tragik geht dem Publikum sichtlich unter die Haut und erhält stehenden Beifall.

Die nächste Vorstellung von &bdquo;Dinge, die ich sicher weiß“ findet am Samstag, 4. März, um 19.30 Uhr statt.

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