TBV Lemgo Lippe
Kehrmann und Zereike im Exklusiv-Interview: Wie der TBV die Pokal-Helden ersetzt
| von Jörg Hagemann

Peter Johannesson (von links), Jonathan Carlsbogard, Andrej Kogut, Andreas Cederholm und Bjarki Mar Elisson verlassen den TBV im Sommer. - © Fotos/Montage: Jörg Hagemann
Peter Johannesson (von links), Jonathan Carlsbogard, Andrej Kogut, Andreas Cederholm und Bjarki Mar Elisson verlassen den TBV im Sommer. (© Fotos/Montage: Jörg Hagemann)

Lemgo. Der TBV Lemgo Lippe steht im Sommer vor einem großen Umbruch. Gleich fünf Pokal-Helden verlassen den Verein. Trainer Florian Kehrmann und Geschäftsführer Jörg Zereike ordnen die Personalien ein.

Mit welchen Gefühlen haben Sie das EM-Finale verfolgt?

Florian Kehrmann: Ich habe mich die gesamte EM über die guten Leistungen unserer Jungs gefreut. Dass zwei Spieler nun Europameister sind, ist sensationell. Kleiner Wermutstropfen war, dass Peter Johannesson im Finale nicht spielte, was ich nicht so richtig nachvollziehen kann. Auch Gedeon Guardiola hat mit seinen Spaniern herausragendes geleistet. Und er war dabei der Anführer.

Jörg Zereike: Ich fand auch die Performance der Niederländer toll. Auch Island hätte das Halbfinale verdient gehabt. Acht Spieler bei der EM sind für den TBV eine tolle Sache. Besonders freut es mich für die Schweden. Peter Johannesson hat ihnen erst das Halbfinale ermöglicht. Nachteil ist, dass viele Spieler bis zum Schluss in Ungarn dabei waren.

Schon bald kündigt sich ein großer Umbau an. Zahlt Lemgo jetzt den Preis für den Erfolg?

Zereike: Es ist eine Mischung aus vielen Dingen. Bei Jonathan Carlsbogard ist es sicherlich der Preis der guten Leistungen, die er auch in der Liga immer wieder zeigt. Von daher ist sein Weggang ein normaler Prozess. Man sollte die Personalien aber individuell betrachten. Bjarki Mar Elisson und Peter Johannesson wurden damals bei ihren Vereinen aussortiert. Jonathan kam kam ganz jung aus Göteborg zu uns. Auch Ceder stand in Minden in der zweiten Reihe. Alle haben sich toll entwickelt, was dann Begehrlichkeiten weckt. Aber das ist auch ein Zeugnis für die gute Arbeit von Florian Kehrmann und Matthias Struck.

Kehrmann: Wir müssen mit dem TBV eine Rolle annehmen. Unser Metier ist es, junge Spieler zu entwickeln. Denn wir arbeiten hier mit begrenzten Möglichkeiten. Stichwort Wirtschaftlichkeit. Die Schere in der Liga geht immer weiter auseinander. Wenn wir in zwei Jahren wieder eine gute Mischung zusammenführen sollten, wissen wir, dass Umbrüche bei uns dazu gehören. Das müssen wir uns alle bewusst machen, solange wir wirtschaftlich von der Konkurrenz überholt werden.

Inwieweit spielten finanzielle Gründe bei den Personalien eine entscheidende Rolle?

Zereike: Einerseits geht es um individuelle Finanzen, denn jeder Spieler will entsprechend entlohnt werden. Aber damit allein ist es nicht getan. Man muss den Jungs auch sportliche Ambitionen ermöglichen. Viel mehr als European League ist für uns nicht möglich. Die Abgänge von Jonathan und Bjarki müssen wir akzeptieren. Das ist nachvollziehbar. Da ist keiner böse.

Kehrmann: Es ist schwer, eine Blaupause hervorzuholen und zu sagen, dass wir die neue Mannschaft in zwei Jahren wieder auf solch ein Niveau heben. Klar ist, dass uns angesichts des Umbruchs ein schweres Jahr bevorsteht. Darum müssen wir schnell unsere Rollen finden. Zudem sehe ich, dass wir von immer mehr Vereinen überholt werden. Sowohl vom Finanziellen als auch von der Infrastruktur. Klubs wie der BHC und Leipzig bauen beispielsweise eigene Trainingszentren. Da müssen wir sehen, dass wir nicht abgehängt werden und jedes Jahr gegen den Abstieg spielen. Der Handball wird jedenfalls immer professioneller.

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Werden Kastelic, Laerke, Brosch, Versteijnen, Zehnder und Blaauw auf Anhieb die Lücken füllen können?

Zereike: Wenn man vielversprechende Junge holt, ist natürlich immer ein Risiko dabei. Aber das Potenzial ist vorhanden. Mit Simak, Hutecek, Versteijnen, Laerke, Zehnder und Zecher haben wir schon einige Eisen im Feuer. Sie haben bei uns eine riesen Chance, sich weiter zu entwickeln. Siehe Lukas Zerbe, der zum Nationalspieler aufgestiegen ist. Und Tim Suton sehe ich dort auch bald wieder. Zudem funktioniert unser Unterbau mit dem Team Handball hervorragend. Im übrigen haben wir alle Spieler, die nun gehen, einst auch nicht als Topspieler geholt. "Flo" hat sie alle besser gemacht.

Emil Buhl Laerke. - © Jörg Hagemann
Emil Buhl Laerke. (© Jörg Hagemann)

Kehrmann: Ich versuche es mal, komplex zu beschreiben. Wir haben für jede Position ein bestimmtes Budget. Teilweise haben wir das nun umgeschichtet. Auf Linksaußen haben wir vielleicht nicht mehr die Sicherheit, die uns ein Torschützenkönig gibt. Jetzt spielen wir halt mit zwei Jungen, wobei Samuel Zehnder auch in der European League gezeigt hat, was er drauf hat. Auch auf der Mittelposition haben wir durch die Verschiebung von Kogut zu Blaauw etwas Geld gespart, das wir woanders wieder ausgeben konnten. Doch insgesamt wird der Haushalt leider nicht mehr. Im Gegenteil. In diesem Jahr steht uns sogar weniger zur Verfügung.

Zereike: Ich bin froh über vielversprechende Transfers. Denn aktuell ist der Spielermarkt sehr eng geworden. Im Vorjahr haben die Klubs durch Corona vorsichtig agiert. Das sieht jetzt wieder anders aus. Zudem nehmen internationale Projekte wie in Aalborg oder Kolstad neue Räume ein. Vereine, die Spieler dorthin verlieren, bedienen sich dann in unseren Gefilden.

Mit Emil Laerke, der auch bei vielen anderen Klubs auf dem Zettel stand, ist dem TBV ein beachtlicher Coup gelungen. Wie war das möglich?

Kehrmann: Emil Laerke ist tatsächlich eine andere Nummer. Ähnlich wie Samuel Zehnder ist er jung, aber bereits mehr als ein Talent. Beide Spieler verfügen schon über ein beachtliches Niveau. Ohne den Wechsel von Andreas Cederholm, für den wir eine Ablöse kassiert haben, wäre der Laerke-Transfer nicht möglich gewesen. In den vergangenen zwei Jahren hat sich Lemgo zu einer guten Adresse entwickelt, wo einige Spieler das Sportliche als entscheidend ansehen und nicht auf den letzten Cent gucken. Zudem mussten wir für Emil Laerke intern ein paar finanzielle Rochaden vornehmen.

Zereike: Interessant ist, dass sich ausländische Talente als erste Station in Deutschland einen Verein wie Lemgo aussuchen, bei dem sie Spielzeiten bekommen. Viele Deutsche tendieren dagegen eher zu den Topadressen. Doch das Beispiel Carlsbogard zeigt den richtigen Weg.

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Mit Jan Brosch (30) passt ein Spieler nicht mehr in die Kategorie jung und unerfahren.

Kehrmann: Die Kreisläuferposition lebt von der Abwehrstärke. Und Jan ist ein top Abwehrspieler, was er schon seit Jahren beweist. Zudem ist er ein überragender Typ. Ich habe ihn schon lange im Blick. Jetzt passte das Gesamtpaket. Wir wollen auch eine Ergänzung zu den Guardiolas zu haben.

Zereike: Wichtig ist eine solide Mischung aus erfahrenen Spielern, die die Jungen an die Hand nehmen. Wie wertvoll das ist, haben wir an den Spaniern mit Gede bei der EM gesehen.

Kehrmann: Ähnlich ist auch die Verlängerung von Bobby Schagen zu sehen. Kontinuität im Team ist wichtig. Wobei wir uns mit den beiden Rechtsaußen auch etwas Luxus erlauben.

Aktuell rotiert das Torwartkarussell gewaltig. Warum haben Sie sich schon so früh auf Urh Kastelic festgelegt?

Zereike: Wir hätten mit Peter Johannesson gerne verlängert. Doch leider hat es nicht gepasst. Mit Urh bot sich ein Torwart an, der mit 25 Jahren noch lange nicht am Ende ist. Er zählte in seinem Jahrgang bei den Junioren zu den herausragenden Talenten und kann schon mal komplett die Bude dicht machen. Auch bei der EM stimmten seine Leistungen.

Kehrmann: Auch für Celje und Göppingen hat er hervorragende Spiele gezeigt. Wir hoffen, dass Finn Zecher von ihm lernen kann. Beide haben eine ähnliche Art. Wir wollten im Tor schnell Klarheit haben und lieber selber agieren, als abwarten, was da noch kommt.

Ist es ein Vor- oder Nachteil, dass alle Personalien schon so früh abgearbeitet sind? Und wie lautet die Zielstellung für den Rest der Saison?

Kehrmann: Dass alle wissen, wo es langgeht, zeugt von hoher Seriosität des TBV und von Jörg Zereike. Unser ganz großes Ziel ist es, am Sonntag wieder ins Final Four zu kommen. In der Liga wollen wir weiter so viele Punkte wie möglich sammeln. Gleiches gilt in der European League, um das bestmögliche Los für das nahe Achtelfinale zu bekommen.

Zereike: Durch den Umbruch waren der November und Dezember sehr herausfordernd. Ich bin sehr zufrieden, dass wir so früh Klarheit haben. Ob das nun beflügelnd ist, oder einen Spieler eher hemmt, müssen wir sehen. Wir wollen weiter lange auf drei Hochzeiten tanzen. Darum geht der volle Fokus jetzt auf das Pokalspiel am Sonntag. Wir sind gegen Melsungen nicht der Favorit – aber das waren wir im Final Four auch nicht. (Anmk. der Red.: Das Spiel am Sonntag musste kurzfristig abgesagt werden.)

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Neue Saison, neue Spieler

Für den TBV Lemgo Lippe wird es in der kommenden Saison wieder spannend. Sechs Spieler hat der Verein neuverpflichtet: Jan Brosch (30, KR, ASV Hamm-Westfalen), Emil Buhl Laerke (22, RL, GOG Gudme), Niko Blaauw (20, RM, Team Handball Lippe), Niels Versteijnen (21, RR, VfL Lübeck-Schwartau), Urh Kastelic (25, TW, FA Göppingen), Samuel Zehnder (21, LA, Kadetten Schaffhausen). Alle Hintergründe rund um den Verein und die aktuellen Spielergebnisse gibt's unter LZ.de/tbv

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