Die „großen Schlachten“ des TBV Lemgo Lippe: Florian Kehrmanns exklusive Saisonbilanz

Lemgo. Zum vierten Mal in den vergangenen fünf Spielzeiten hat Florian Kehrmann den TBV Lemgo Lippe unter die Top-10 geführt. Wie der dienstälteste Trainer der Handball-Bundesliga die Saison 2024/2025 selbst einstuft, verrät er im nachstehenden Interview.

Auf einer Skala von 1 bis 10 – wo würden Sie den TBV in dieser Saison einordnen?

Florian Kehrmann: Das ist schwer. Ich möchte unser Abschneiden nicht auf einer Skala festlegen. Wir haben einfach eine sehr, sehr gute Saison gespielt und unglaublich viele Punkte gesammelt. Wir sind einstellig. Wobei mir wichtiger ist, dass wir es geschafft haben, uns frühzeitig ins Mittelfeld abzusetzen. Was heraussticht: Wir waren daheim eine Macht und haben große Schlachten geschlagen. Dabei haben uns die tollen Zuschauerzahlen und die Intensität von der Tribüne enorm geholfen. Ich denke beispielsweise an das Heimspiel gegen Eisenach, das wir trotz Verletzungspech gewinnen konnten. Oder auch das 30:24 gegen den HC Erlangen. Ein besonderes Spiel kann man dabei nicht herausziehen.

Vor der Saison ist man ja häufig etwas unsicher. Was waren die Momente, wo Sie gemerkt haben, dass es gut werden könnte?

Wenn es in Spielen darum ging, in welche Richtung man sich anschließend bewegt und wenn Druck da war, haben wir Ergebnisse geliefert. Wichtig war, dass wir während der gesamten Saison keine Unruhe hatten. Tim Suton und Lukas Hutecek sind immer vorangegangen. Auch Hendrik Wagner ist schnell in die Bresche gesprungen und hat uns sehr geholfen.

Wagner ist ein gutes Stichwort: Erneut hat der TBV ein glückliches Händchen bei seinen Zugängen gehabt. Wie bewerten Sie die Leistungen von Jarnes Faust?

Ich habe erwartet, dass er sowohl zu solch Topleistungen in der Lage ist, die er teilweise bereits gebracht hat, aber auch, dass er manchmal noch Lehrgeld zahlen muss. Dass nicht immer alles funktioniert, ist für so einen jungen Spieler nichts Negatives. Jarnes wird draufpacken und noch abgezockter werden. Er lernt viel von Bobby Schagen, zum Beispiel, in entscheidenden Momenten an sein Spiel zu glauben und sich nicht von Rückschlägen beirren zu lassen.

Wagner und Möstl waren Volltreffer?

Bei Hendrik Wagner haben wir zunächst auf die Abwehrarbeit wert gelegt. Aber auch vorne macht er es sehr gut. Er passt zudem vom Typ sehr gut in die Mannschaft – das hat auch bei Constantin Möstl gut harmoniert. Wir hatten in den vergangenen Jahren über die Saison gesehen noch nie so gute Torhüterleistungen wie jetzt mit Urh Kastelic und Constantin Möstl. Es hat quasi in jedem Spiel ein Torhüter gute Akzente gesetzt.

Was sich auch in der Statistik niederschlägt, wo die HBL dem TBV die drittbeste Abwehr attestiert.

Diese Statistik ist irgendwie Quatsch. Normalerweise müssten die Zahlen in Relation zu den Angriffen stehen. Man kann ja jede Statistik so oder so auslegen. Aber natürlich weiß ich, dass wir phasenweise eine sehr gute Deckung gestellt haben.

Ein großes Plus waren mit Hutecek, Simak, Brosch und Wagner gleich vier unterschiedliche Innenblocker...

Ja, dadurch hatten wir gute Möglichkeiten und waren immer sehr flexibel. Das ist auch der Grund, weshalb wir nicht so ausrechenbar sind. Voraussetzung sind klare Absprachen untereinander. Das haben wir gleich in der Vorbereitung in Angriff genommen.

Und dann kam in der Rückrunde noch die Variante mit den vier Rückraumspielern hinzu.

Das haben wir schon in der Vorbereitung mal gespielt. Vorm Eisenach-Spiel mussten wir uns genauer mit dem Thema beschäftigen und haben es dann vermehrt bei uns hinzugenommen. Das alles ist ja keine Weltneuheit. Wetzlar hat das letztes Jahr auch schon praktiziert. Es geht immer um Ansätze, den Kreisläufer zu isolieren und dahinter Räume zu schaffen, um ins Eins-gegen-eins zu gehen. Dabei handelt es sich um komplizierte Abläufe, die sich erst einschleifen müssen. Und zu jeder Mannschaft passt das auch nicht. Magdeburg spielt viel Eins-gegen-eins, weil sie einfach die Typen dafür haben. Der THW Kiel kommt mehr über seine Rückraumschützen. Wir verfügen dagegen über sehr spielintelligente Spieler.

Heißt das, dass die Zeit der Shooter vorbei ist?

Es gibt immer wieder außergewöhnliche Shooter, die aus der Distanz Akzente setzen, doch das Eins-gegen-eins gewinnt an Wichtigkeit. Auch Hendrik Wagner hat das adaptiert und entwickelt immer mehr das Gefühl, ins Eins-gegen-eins, in die Tiefe, zu gehen.

Würden Sie Frederik Simak als Kreisläufer bezeichnen?

Für mich ist er ein Hybridspieler. Freddy ist unglaublich wichtig für die Mannschaft. Er wird von allen akzeptiert, kann auch im Rückraum spielen und ist ein sehr wichtiger Abwehrspieler. Er hat ein gutes Verständnis, ist flexibel und sich für nix zu schade.

Außergewöhnlich war, dass Sie den gerade 18 Jahre alt gewordenen Sadik Herseklioglu im Februar sofort mit in den Bundesligakader genommen haben. Was sehen Sie in ihm?

Das hatte unterschiedliche Gründe. Wir hatten Connar Battermann gerade nach Großwallstadt verliehen und wollten ihn nicht sofort wieder zurückholen. Deshalb haben wir uns entschlossen, Sadik mehr bei uns als bei THL reinzunehmen. Er hat das ordentlich gemacht und alles sofort angenommen. Man darf nicht vergessen: Er ist erstes Jahr A-Jugend... Aber wir wollen das auch nicht zu groß machen. Sadik muss jetzt beweisen, dass er im Drittligateam ein Führungsspieler wird. Aber das traue ich ihm voll zu.Punktuell tauchten mit Moritz Sundermann und Ralfs Geislers zwei weitere Youngster im Bundesligateam auf... Beide hatten aber von der Schule oder von ihrer Ausbildung zeitliche Probleme. Sie konnten nicht immer um 15 Uhr mittrainieren.

Bei der Saisonbewertung sollte auch das Drittligateam nicht unter den Tisch fallen. Waren Sie über den stabilen Mittelfeldplatz überrascht?

Das ist ein sehr spannendes Projekt für Jari Lemke. Er ist zwar erst 28 Jahre. Aber ich weiß, dass Jari Handball versteht, dass er ehrgeizig ist und mit Jungs umgehen kann. Und dazwischen ist dann ja noch Matthias Struck, der so etwas wie der Mentor ist. Ich halte das Konstrukt mit den beiden Geschäftsführern Andreas Blüsse und Andreas Sukop für sehr gelungen. Man muss doch nur schauen, was in Augustdorf am Drumherum entstanden ist. Sportlich traue ich den Jungs von THL absolut zu, sich auch in der kommenden Saison wieder in der 3. Liga zu behaupten. In der Rückserie konnte man sehen, wie Marco Bilanzola aufgeblüht ist. Auch Meeno Carstensen hatte eine wichtige Rolle, nachdem Fynn Hasenkamp zu einem Topteam der 3. Liga gewechselt ist. Das wird auch weiterhin die Aufgabe beim Team HandbALL sein.

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