Carlsbogårds Silbermedaille hängt im Schlafzimmer

Lemgo. Er zählte zu den Perlen der vergangenen Handball-WM. Jonathan Carlsbogård, der im Dezember seinen Vertrag beim TBV Lemgo Lippe bis 2023 verlängert hat, katapultierte sich auf Platz sieben der WM-Scorerwertung und war ein Prädikatsspieler beim Vize-Weltmeister Schweden.

Neun WM-Spiele innerhalb von 18 Tagen klingen nach einer schönen Tortur. Sind Sie froh, dass das Bundesligaspiel am Sonntag gegen den THW Kiel ausgefallen ist und Sie noch etwas mehr Regenerationszeit haben?

Jonathan Carlsbogård : Ich war froh, dass in der vergangenen Woche die Partie beim Bergischen HC verlegt wurde. Gegen Kiel wäre mein Körper wieder okay gewesen. Dass wir jetzt extra trainieren können ist gut – aber auch etwas langweilig ohne Spiel.

Wo ist denn Ihre Medaille?

Carlsbogå rd : Die hängt zuhause im Schlafzimmer.

Musste sie schon geputzt werden?

Carlsbogå rd : Nee. Das dauert noch.

Sie standen bei der WM im Schnitt 40 Minuten auf dem Feld. Waren Sie überrascht, so viele Spielanteile zu bekommen?

Carlsbogå rd: Natürlich. Ich wusste vorher ja überhaupt nicht, ob und wie viel ich spielen würde. Dass ich im Turnier eine große Rolle spielen durfte, fand ich richtig cool. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Sie sind ja mit dem Erfahrungsschatz aus einem einzigen Länderspiel nach Ägypten gereist. Außerdem kamen sie direkt aus einer Verletzung. Wie lautete der Auftrag, den Ihnen Ihr Trainer Glenn Solberg erteilt hat?

Carlsbogå rd : Der Trainer hat gesagt: Spiel so wie in Lemgo. Spiele viel für die anderen und lass den Ball laufen. Ich hatte in beiden Richtungen wichtige Aufgaben. Dass es im Innenblock und auf Halblinks so gut geklappt hat, war vorher nicht zu erwarten.

Haben Sie von Ihrem Trainer ein Lob bekommen?

Carlsbogå rd : Ja, er hat sich sehr gefreut. Auch für ihn ist ja alles neu. Glenn Solberg hatte vor der WM erst zwei Spiele als Nationaltrainer. Er wollte in drei, vier Jahren ein neues Team aufbauen. Dass es jetzt auf Anhieb mit der Silbermedaille geklappt hat ist überraschend.

Dabei war die Vorbereitung ja kompliziert. Durch einen Coronafall musste Schweden ohne Vorbereitungsspiel nach Ägypten fliegen. Wie konnte das Zusammenspiel mit dem Kreis oder im Innenblock so gut funktionieren?

Carlsbogå rd : Unsere Vorbereitung war wirklich richtig krass. Wir durften nur zwei Tage als Mannschaft zusammen trainieren. Nach dem Coronafall haben wir Zweiergruppen gebildet, wo zwei Spieler aus dem gleichen Hotelzimmer miteinander Krafttraining gemacht haben oder gelaufen sind. Mein Partner, auch in Ägypten, war Linksaußen Lucas Pellas. Er ist der gleiche Jahrgang wie ich. Echt ein netter Typ.

Auf der Tribüne war beim Schweden-Spiel häufig der einstige Abwehr-König Tobias Karlsson zu sehen. Hat er Sie extra gecoacht in der Abwehr?

Carlsbogå rd : Ja, natürlich. Man sollte solch große Erfahrung nutzen. Und ich wollte unbedingt alles mitnehmen und extra lernen. Anhand von Videos hat er gezeigt, was man in bestimmten Situationen noch besser machen kann. In der Abwehr stand ich neben Max Darj, der schon seit vier Jahren in der Nationalmannschaft spielt. Ich hatte das Glück, dass wir mit Schweden meistens eine ähnliche Abwehr wie in Lemgo stellten. So war es für mich einfacher. Zum besseren Verständnis untereinander haben wir in Schweden separate Gruppen gebildet: eine Torwartgruppe, eine Außengruppe usw. Als Innenblocker haben wir viel zusammengesessen und diskutiert, was wir gut oder schlecht machen. Diese extra Vorbereitung hat gut geklappt. Viel miteinander sprechen und kommunizieren ist eben sehr wichtig.

Vom Fußball ist es bekannt, dass Trainer unten am Spielfeld Infos von oben, von der Tribüne, erhalten. Schwedens Trainer Glenn Solberg hatte auch einen Knopf im Ohr und wurde von Tobias Karlsson &bdquo;gefüttert". Wird das auch im Handball Mode?

Carlsbogå rd : Davon weiß ich nichts. Aber ich habe es auch beobachtet. Wobei der Trainer in den ersten Spielen noch nicht mit Tobias Karlsson verbunden war. Das hat sich erst im Turnier so ergeben.

Vom Tempospiel erinnerte das schwedische Auftreten ja an den TBV..., oder an Flensburg?

Carlsbogå rd : Ich würde eher Flensburg sagen. In Lemgo sollten wir, wie ich finde, noch viel mehr laufen. Dadurch wird der Gegner schneller müde. Vom Tempo her können wir beim TBV noch besser spielen.

Was hat Schweden im WM-Finale gegen Dänemark gefehlt?

Carlsbogå rd : Ich selber, aber auch unsere Team insgesamt, waren an diesem Tag nicht mehr ganz so gut. Wir haben etwas weniger in der Abwehr gemacht, uns häufiger Fehlwürfe erlaubt und viele einfache Tore kassiert. Dänemark war sehr gut auf uns vorbereitet. Vielleicht waren wir schon etwas müde. Es war eben nicht unser Spiel.

Was überwog nach dem Endspiel: Frust oder Freude?

Carlsbogå rd : Direkt nach dem Finale waren wir natürlich etwas unzufrieden. Doch inzwischen sieht Silber ganz gut aus und wir sind stolz.

Haben Sie es nach dem Finale auf dem Bankett wenigstens richtig krachen lassen?

Carlsbogå rd : (lacht) Da war nicht viel. Nach der Zeremonie in der Halle sind wir sofort zum Duschen ins Hotel. Wir haben nur ein Bier zusammen getrunken. Das Essen wurde in Lunchboxen aufs Zimmer gebracht. Und um 2 Uhr nachts ging schon der Flieger zurück nach Frankfurt. Von dort hat sich die Gruppe dann nach Göteborg und Kopenhagen aufgeteilt. Nur Lucas Pellas ist nach Paris geflogen.

Haben Sie aus der Luft die beleuchtete Oeresundbrücke gesehen?

Carlsbogå rd : Nein. Aber ich habe Fotos gesehen. Vor dem Endspiel war die Brücke zur Hälfte in rot-weiß und in blau-gelb beleuchtet. Aber nach dem Finale strahlte alles nur noch in den dänischen Farben.

Auch das dänische und das schwedische Königshaus haben im Finale mitgefiebert...

Carlsbogå rd : Ich habe davon gehört. Das ist cool. Doch ohnehin haben ganz viele Menschen die WM im Fernsehen verfolgt. Das Turnier kam zur perfekten Zeit, da ansonsten ja derzeit nicht viel los ist.

Ist das 20 Jahre nach den Erfolgen der legendären Bengan-Boys jetzt der Start zu einer neuen schwedischen Handball-Ära?

Carlsbogå rd : Ich hoffe, ja. Aber das ist schwer zu sagen. Lass uns in zehn Jahren nochmal drüber sprechen.

Viele ehemalige Stars von früher waren vor dem Turnier skeptisch. Wie urteilen Wislander, Olsson, Lövgren Svensson oder Andersson denn heute?

Carlsbogå rd : Wir sind mit einer ganz jungen Mannschaft ins Turnier gegangen, die noch nicht so viele internationale Spiele bestritten hat. Darum war das normal. Mit Magnus Wislander habe ich in Ägypten gesprochen. Er war in Göteborg fünf Jahre mein Trainer und kommentiert jetzt für das Radio. Ola Lindgren war als Fernsehexperte dabei. Wir wohnten alle im gleichen Hotel.

Und in diesem Hotel wohnten auch die Dänen. Ihr Endspielgegner, mit dem Sie zusammen in einem Flieger nach Ägypten geflogen sind...

Carlsbogå rd : Und die Norweger waren auf dem Hinflug aus Kopenhagen auch noch mit an Bord. Nur zurück sind alle getrennt geflogen. Die Dänen blieben nach dem Endspiel auch noch eine Nacht länger.

Exakt in einem Monat steht mit der Olympia-Qualifikation in Berlin der nächste Härtetest an. Werden Sie bei den Spielen gegen Deutschland, Slowenien und Algerien wieder mit dabei sein? Immerhin fehlten bei der WM aus unterschiedlichen Gründen mit Appelgren, Ekberg, Jeppsson, Arnesson, Andreas Nilsson, Lukas Nilsson und Jesper Nielsen viele weitere schwedische Topspieler.

Carlsbogå rd : Das ist ein schwieriger Job für Glenn Solberg. Einige dieser Spieler hatten wegen Corona nein zur Weltmeisterschaft gesagt. Wir haben in Ägypten als Mannschaft gut funktioniert. Ich hoffe, dass ich wieder dabei bin, wenn in der nächsten Woche das Aufgebot rauskommt.

Ihr mittelfristiges Ziel dürfte die kommende WM sein, die 2023 in Polen und Schweden stattfindet.

Carlsbogå rd : Ja, natürlich. Auch wenn die WM noch weit weg ist. Doch solch ein Turnier im eigenen Land wäre richtig cool. Wir haben ja im vergangenen Jahr bei der gemeinsam mit Dänemark ausgetragenen EM erlebt, was da für eine tolle Stimmung herrscht.

Carlsbogårds Silbermedaille hängt im Schlafzimmer

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