In der Familienpolitik geht's zurück statt vorwärts

Viele Mütter und Väter können darüber ein Klagelied anstimmen: die Kita muss schließen oder verkürzt öffnen, weil das Personal knapp wird und die Betreuungsschlüssel nicht weiter ausgereizt werden dürfen. Mehr als die Hälfte der berufstätigen Eltern, deren Kinder eine Kita oder Tagespflege besuchen, hat diese Erfahrung allein in den vergangenen drei Monaten gemacht.

Das ist das Ergebnis einer Befragung durch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI), wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet.

Die Folge der Kita-Krise zieht Kreise. Denn es bleibt nicht bei der Belastung von Eltern. Weil sie ihre Jobs an den Betreuungsmangel anpassen müssen, kommt es entweder zu Leistungseinschränkungen im Beruf oder zur Reduzierung von Berufstätigkeit - was die Finanzen vieler Familien an ihre Grenzen führt. Nicht überall stehen Opa und Oma zur Verfügung, um die staatliche Misere aufzufangen.

Der Rechtsanspruch verkommt zur hohlen Phrase Die in Parteiprogrammen und Koalitionsverträgen vollmundig ausgemalte Vereinbarkeit von Familie und Beruf verkommt zehn Jahre nach dem Beschluss des Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung zur hohlen Phrase. Noch hohler wirkt sie, wenn immer wieder vom &bdquo;Riesenpotenzial berufstätiger Mütter“ gesprochen wird - die derzeit jedoch hauptsächlich für den Fachkräftemangel im pädagogischen Bereich ihre Arbeitszeit mindern oder den Job entnervt aufgeben.

Essenziell sind die Konsequenzen jedoch für Kinder, weil sie in die Zukunft reichen - vor allem für Kinder aus ärmeren Familien. Laut Deutschem Kitaverband sind 69 Prozent der Träger dazu übergegangen, Personalmangel durch reduzierte Öffnungszeiten zu bewältigen. Das bedeutet nichts weniger, als dass pädagogische Angebote ausgedünnt werden sowie Ausflüge oder Sport flach fallen. Kinder werden somit - trotz größter Bemühungen von Erzieherinnen und Erziehern - verwaltet.

Eine Welle baut sich auf Diese Mängel in der frühkindlichen Bildung schlagen sich in künftigen PISA-Studien und in der fehlenden Verfügbarkeit qualifizierten Personals in spätestens zwei Jahrzehnten nieder. Es ist wie eine sich aufbauende Welle, die sich weder durch politische Beschwichtigungen noch Schönrednerei zähmen lassen wird.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) versichert zwar, dass die Länder im Rahmen des 2022 vom Bundestag beschlossenen Kita-Qualitätsgesetzes eine Milliarde Euro für einen besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel und die Gewinnung von Fachpersonal ausgeben werden. Doch dieses Personal muss erst einmal gefunden, ausgebildet und vor allem ordentlich bezahlt werden.

Höchster Krankenstand aller Berufsgruppen Denn in der Kita ist es wie in der Pflege: viel Verantwortung, beklagenswerte Bezahlung. Erzieherinnen haben nach Erhebungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands den höchsten Krankenstand aller Berufsgruppen. Die Arbeitsbelastungen nehmen zu, was die Attraktivität des Berufs sinken lässt und zu einem hohen Krankenstand unter dem Personal führt.

Und zu Hause ist die Verteilung der familiären Erziehungsarbeit aufgrund der Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern nicht gleichmäßig. Zu wenige Kitaplätze in vielen Bundesländern stehen dem Ziel entgegen, eine höhere Erwerbstätigkeit unter Eltern zu erreichen. Logischerweise verlieren vor allem Mütter, die den Schlammassel am häufigsten ausbaden, das Vertrauen in die Politik. Es ist zu befürchten, dass sich angesichts der Situation diese Entwicklung fortsetzen wird.

Ja, die Gesellschaft ist durch viele Herausforderungen gleichzeitig im Stress. Die jüngste Generation sollte aber gerade deshalb fit gemacht werden für die Aufgaben, die vor ihr liegen. Das ist die verdammte Pflicht der Älteren.

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