Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Gutschein gegen Bargeld: Wird die Bezahlkarte wirklich missbraucht?

Miriam Keilbach

Die Bezahlkarte für Geflüchtete: Für Bargeldabhebungen gibt es auch in NRW eine Grenze von 50 Euro pro Person (Erwachsene und Kinder). - © Andreas Arnold/dpa
Die Bezahlkarte für Geflüchtete: Für Bargeldabhebungen gibt es auch in NRW eine Grenze von 50 Euro pro Person (Erwachsene und Kinder). (© Andreas Arnold/dpa)

Ein Flohmarktbesuch hier, eine Busfahrt da, eine Kugel Eis dort: Auch wenn die Kartenzahlung während der Corona-Pandemie breitere Akzeptanz gefunden hat, gibt es noch immer viele Läden in Deutschland, in denen nur bar bezahlt werden kann oder eine Kartenzahlung erst ab einer bestimmten Summe möglich ist. Genau hier setzt die Kritik vieler Verbände in Sachen Bezahlkarte, die wie eine Debit-Karte funktioniert, für Geflüchtete an. Denn mit der Bezahlkarte, die bereits in einigen Kommunen und Städten im Einsatz ist und bald deutschlandweit kommt, liegt die Bargeldobergrenze bei 50 Euro.

„Eine Karte wie beim Modell der Social Card in Hannover ist grundsätzlich nicht schlecht“, sagt Mona Sandhas, Grünen-Vorsitzende in Hannover, „schlecht ist aber die Einführung einer Bargeldobergrenze“. Die würde diskriminieren, Menschen ausschließen und die Integration verhindern. „Geflüchtete sind räumlich oft eingeschränkt, können also nicht einfach weiter wegfahren, um mit der Karte zu zahlen“, sagt sie, „sie können Kindern dann kaum mal Geld mit in die Schule geben oder günstig auf dem Flohmarkt einkaufen“.

In einigen Bundesländern, Bayern beispielsweise, ist die Kartenzahlung auch nur für bestimmte Shops und innerhalb eines bestimmten Radius freigeschaltet. „Entmündigend“ findet das die Initiative „Nein zur Bezahlkarte“, die bundesweit Protest organisiert.

Tauschgeschäft mit Gutscheinen von Parteien unterstützt

Um die Bargeldobergrenze zu umgehen, haben Initiativen Tauschzirkel ins Leben gerufen. Die werden in nahezu allen Kommunen und Städten mit Bezahlkarte organisiert, teilweise sogar von den Parteien. In Regensburg etwa stellen die Grünen ihre Geschäftsstelle zur Verfügung, die Linken in Hamburg und Halle organisieren die Tauschzirkel selbst. Geflüchtete kaufen sich mit ihrer Bezahlkarte bei Supermärkten oder Drogerieketten Wertgutscheine. Diese wiederum tauschen sie dann mit Bürgerinnen und Bürgern gegen Bargeld ein.

Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) sagte der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ kürzlich: „Es war zu erwarten und es ist zu begrüßen, dass eine aktive und solidarische Zivilgesellschaft Wege sucht, die Integrationshemmnisse, die von der niedersächsischen Bezahlkarte ausgehen, zu umgehen.“

In vielen Städten und Kommunen kann mindestens einmal pro Woche getauscht werden, Flüchtlingsinitiativen berichten von teils 100 und mehr Bürgerinnen und Bürgern, die die Gutscheine abkaufen. CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz warf den Grünen in Bayern bei einer Bundestag-Debatte deshalb kürzlich vor, „den systematischen Missbrauch dieser Karte“ zu organisieren. Missbrauch ist es allerdings nicht, zumindest nicht im rechtlichen Sinne. Der Tausch von Gutschein zu Bargeld ist legal.

Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist im November 2023 von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen worden. - © Philipp von Ditfurth/dpa
Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist im November 2023 von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen worden. (© Philipp von Ditfurth/dpa)

Bayern kritisiert „Tricks“ zur Umgehung der Obergrenze

Das weiß man auch in Bayern, das sich besonders für die Einführung der Bargeldobergrenze eingesetzt hatte. Innenstaatssekretär Sandro Kirchner bezeichnete die Tauschaktionen gegenüber dieser Redaktion als „Tricks“, auch wenn man sich darüber im Klaren sei, dass es keine „bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit nach der aktuellen Rechtslage“ darstelle. „Im bayerischen Ministerrat haben wir letzte Woche eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, mit der entsprechende Rechtsgrundlagen geschaffen und Bezahlkartenumgehungen sanktioniert werden sollen“, sagt Kirchner.

Die Bargeldobergrenze wird damit begründet, dass Geflüchtete keine vom deutschen Staat finanzierte Sozialleistungen in ihre Herkunftsländer transferieren sollen – weder an Angehörige oder an Schlepperbanden. Diese These ist allerdings umstritten.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) hat herausgefunden, dass nur 7 Prozent der Geflüchteten in Deutschland Geld ins Ausland überweisen. Gestiegen ist demnach lediglich die Anzahl der Migrantinnen und Migranten, die in Deutschland Lohn oder Gehalt erarbeiten und davon etwas in die Heimat schicken.

Erfolgreiche Klagen gegen Bezahlkarte

Das einstige Argument, dass mit der Bezahlkarte der Verwaltungsapparat entlastet wird, könnte womöglich ebenfalls bald hinfällig werden, nachdem mehrere Gerichte zugunsten von Geflüchteten entschieden hatten. Demnach muss im Einzelfall geprüft werden, ob die 50 Euro an Bargeld tatsächlich für die jeweiligen Lebensbedürfnisse passen. In Hamburg hatte eine schwangere Frau geklagt, in Nürnberg zwei Personen, die unter anderem sagten, dass sie nicht einfach so Vereinen beitreten könnten. In Nürnberg wurde zudem moniert, dass die Bezahlkarte lokal begrenzt und nicht für den Internethandel freigegeben ist.

Über einen Wegfall der Bargeldobergrenze wird offenbar aber nicht nachgedacht. Die zuständigen Innenministerien in Bayern und Niedersachsen sagten dieser Redaktion, dass solche Tauschzirkel zwar bekannt seien, aber nur wenig genutzt würden. „Es handelt sich nicht, wie gelegentlich suggeriert wird, um ein massenhaftes, flächendeckendes Phänomen, sondern um eine kleine, überproportional laute Minderheit“, sagte Bayerns Innenstaatssekretär Sandro Kirchner.

Niedersachsen verweist auf den Wunsch nach einer bundeseinheitlichen Regelung – die habe man mit den 50 Euro erreicht. „Das Niedersächsische Innenministerium steht zu dieser Thematik mit den anderen Bundesländern im steten Austausch“, sagte eine Sprecherin.

Copyright © Lippische Landes-Zeitung 2025
Inhalte von lz.de sind urheberrechtlich geschützt.
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Chefredaktion.