Salzuflens Bürgermeister Dirk Tolkemitt: "Nichts zu entscheiden, das ist das Schlimmste"

Bad Salzuflen. Dirk Tolkemitt empfängt zum Interview im Bürgermeisterbüro im Rathaus. Vom Fenster aus kann er auf die Rudolph-Brandes-Allee blicken, an der Wand hängt ein großer Monitor, auf dem Tisch steht ein Weihnachtsstern. Es ist Tolkemitts erstes Interview als Bürgermeister. Seit dem 1. November ist der CDU-Politiker im Amt. Neben dem städtischen Haushalt beschäftigt den 56-Jährigen vor allem die Zukunft des Staatsbads. Aber auch ein Wir-Gefühl zwischen den Ortsteilen und der Kernstadt zu schaffen, steht auf seiner Agenda.

Herr Tolkemitt , es ist ein ungewöhnliches Jahr, in dem Sie Ihren Job als Bürgermeister angetreten haben. Gut sechs Wochen sind Sie jetzt im Amt. Haben Sie sich schon eingelebt?

Dirk Tolkemitt : Die Zeit ist dahingerannt. Für das Eingewöhnen hat Corona einen Vorteil: Ich habe so gut wie keine repräsentativen Termine. Das macht es einfacher, sich in die hiesigen Abläufe der Verwaltung einzufuchsen.

Auf welche Art von Chef können sich Ihre Mitarbeiter einstellen?

Tolkemitt : Ich lege sehr viel Wert darauf, die Menschen zu beteiligen und dass diese sich auch aktiv einbringen. Und: Wer Verantwortung übernimmt, kann auch damit rechnen, dass er Fehler machen darf. Sonst entscheidet keiner etwas und nichts zu entscheiden, ist das Schlimmste. Wenn allerdings jemand zu viele Fehler macht, wird es auch schwierig...

Sie haben bereits kurz nach Amtsantritt begonnen, die Verwaltung umzustrukturieren. Das könnten einige als recht forsch wahrnehmen...

Tolkemitt : Das ist forsch. Aber ich habe eine bestimmte Vorstellung davon, wie Organisationen funktionieren. Man braucht Einheiten, die schnell reagieren können und die einen Output liefern. Die Wirtschaftsförderung war im Haus versteckt, sie hatte bisher keine Anbindung an den Bürgermeister. Auch der Personalbereich und die Kommunikationsabteilung werden dort angebunden. Und das wird nicht die letzte Organisationsänderung sein. Das Stadtmarketing gehört aus meiner Sicht ebenfalls zur Wirtschaftsförderung, momentan befindet es sich aber noch beim Staatsbad.

In Lemgo wurden in Ihrer Zeit als Erster Beigeordneter im Rathaus Stellen abgebaut. Planen Sie auch in Bad Salzuflen perspektivisch mit einer kleineren Belegschaft?

Tolkemitt : Wir werden vielleicht Stellen umschichten, indem wir uns genau angucken, wo wir genug und wo zu wenige Mitarbeiter haben. Da habe ich im Moment aber noch keinen Überblick.

Sie gelten als Macher, der seine Position auch robust vertreten kann. Können Sie auch Diplomatie?

Tolkemitt : Menschen und Meinungen zusammenzubringen, das kann ich ganz gut, glaube ich. Was nichts damit zu tun hat, dass ich auch meine Meinung pointiert äußere – auch gegenüber der Politik.

Gehen Sie auch mal einen Schritt zurück?

Tolkemitt : Da muss man mich schon überzeugen, dass das richtig ist. Vielleicht muss man ab und an innehalten und überlegen, ob man irgendwo falsch abgebogen ist. Aber zurückzugehen ist meistens keine gute Alternative.

Lippe ist Corona-Hotspot in NRW und Bad Salzuflen steht im Kreis fast seit Beginn der Pandemie an der Spitze mit den meisten Neuinfektionen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Tolkemitt : Dass die absoluten Zahlen höher sind als in Lemgo, ist klar, weil wir auch wesentlich größer sind. Eine Erklärung findet man aber nur, wenn man guckt, ob sich die Menschen daran halten, was geboten ist. Und da haben wir in Lippe in allen Städten Nachholbedarf. Deshalb ist der Lockdown absolut richtig.

Die Pandemie wird auch den Haushalt der ohnehin klammen Stadt belasten. Wagen Sie schon eine Prognose, was das für die kommenden Jahre bedeutet?

Tolkemitt : Wir werden in diesem Jahr bei minus 12 Millionen Euro landen, im nächsten Jahr wird es vermutlich nicht besser. Wir haben da aber immerhin den bilanziellen Vorteil, dass wir es auf 50 Jahre abschreiben können. Wir wissen im Moment noch nicht, in welcher Größenordnung wir einen Ersatz für die Gewerbesteuerausfälle bekommen, für Einkommenssteuer- und Umsatzsteuerausfälle bekommen wir gar nichts.

Die Schulden werden also weiter steigen...

Tolkemitt : Ja, wir werden uns darauf fokussieren müssen, wofür wir künftig Geld ausgeben. Im Moment schieben wir 75 Millionen Euro an Investitionen im Haushalt vor uns her, die wir niemals abarbeiten können, weil wir das Geld und die Ressourcen gar nicht haben. Es kommt mir manchmal so vor, als wenn man sich in Bad Salzuflen den Forderungen der Allgemeinheit nicht mehr weiter erwehren konnte und gesagt hat: ,Ja gut, dann fangen wir das halt auch noch an. Wir werden erst mal Baustellen wie die Schulen vernünftig fertigstellen müssen, bevor wir wieder Neues anfangen. Und davon werde ich die Politik überzeugen müssen.

Sie stehen als Aufsichtsratsvorsitzender seit Kurzem allen städtischen Gesellschaften vor, also Wirtschaftsbetrieben, Stadtwerken und Staatsbad. Die SPD befürchtet Interessenkonflikte...

Tolkemitt : Welche denn? Das Interesse der Stadt an den hundertprozentigen Töchtern liegt bei einhundert Prozent und Chef der Stadtverwaltung und Vorsitzender des Rates ist der Bürgermeister. Bislang hat es jedenfalls keinen Vorteil gebracht, dass die Aufsichtsratsvorsitzenden aus den politischen Parteien im Rat kamen, das muss man ja auch mal ehrlich sagen.

Mit Stefan Krieger geht beim Staatsbad ein Geschäftsführer, der auch mal ganz anderer Meinung war als der bisherige Bürgermeister. Wie sehen Sie die Rolle seines Nachfolgers?

Tolkemitt : Führungspersönlichkeiten müssen unbedingt ihre eigene Meinung haben. Aber man hat das Staatsbad über viele Jahre so betrieben, als würde es immer noch dem Landesverband oder irgendwem anders gehören. Es gehört aber der Stadt und ist keine Organisation in der Organisation. Das Zusammenwachsen wird allerdings schwierig werden. Die Nachfolge von Stefan Krieger wird den Gesundheits- und Tourismusstandort weiter nach vorne entwickeln müssen, das ist die Aufgabe.

Vertreter der Ortsteile beklagen immer wieder, dass die Ortsteile zu kurz kommen, das Hauptaugenmerk der Verwaltung liege auf der Kernstadt und dem Staatsbad. Auch Sie wollen dem Tourismus mehr Gewicht geben. Wie lösen Sie das Dilemma?

Tolkemitt : Ich glaube, dass das kein Dilemma ist. Bisher hat man die Ortsteile nur nicht mit in die Tourismusstrategie einbezogen. Die Nachfolge von Herrn Krieger muss den Blick auch auf die Ortsteile werfen. Auch da haben wir Gastronomie und kulturelle Angebote. Wir wollen, dass die Ortsteile mehr Gehör in der Verwaltung finden und wir wollen ein Wir-Gefühl schaffen, das es bisher gar nicht gibt.

Dass Ihnen Wirtschaftspolitik wichtig ist, haben Sie deutlich gemacht. Sind Sie auch Sozialpolitiker?

Tolkemitt : Ich war sogar mal Vorsitzender des Sozialausschusses des Kreises Lippe. Das eine schließt das andere nicht aus. Die beste Sozialpolitik ist, wenn die Leute Jobs haben und nicht auf Transferleistungen angewiesen sind. Bisher hat Bad Salzuflen die höchste Arbeitslosenquote in ganz Lippe. Eine große Baustelle ist daher, dass wir fast keine Gewerbeflächen haben, die wir Unternehmen zeitnah anbieten könnten.

Als Bürgermeister vertreten Sie alle Bürger. Wie möchten Sie von den Menschen wahrgenommen werden, die Sie nicht gewählt haben?

Tolkemitt : Als jemand, der sich um diese Stadt ehrlich kümmert. Ich mache als Bürgermeister keine Parteipolitik. Es ist mir wichtig, Menschen über die Parteigrenzen hinaus zusammenzubringen.

Persönlich Dirk Tolkemitt (56) ist verheiratet und hat drei Kinder. Geboren und aufgewachsen ist er in Langenholzhausen, heute lebt er in Lemgo. Seit dem 1. November ist er Bürgermeister von Bad Salzuflen, zuvor war er Stadtkämmerer und Erster Beigeordneter in Lemgo. An der Universität Bielefeld hat er Geschichte und Wirtschaftswissenschaften studiert. &bdquo;Ich fühle mich den Werten des ehrbaren Kaufmanns verpflichtet", schreibt Tolkemitt auf seiner Homepage.

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