Landgericht Detmold präsentiert Theaterstück zum Auschwitz-Prozess im Sitzungssaal

Detmold. Um den ersten deutschen Auschwitz-Prozess (1963 bis 1965) als dokumentarisches Theaterstück zu inszenieren, gibt es wohl kaum eine passenderes Bühnenbild als den historischen Sitzungssaal 143 – den ehemaligen Lippischen Landtag am Landgericht Detmold. Normalerweise werden hier ganz gewöhnliche Zivilfälle verhandelt, nun hat die hiesige Justiz ein Stück Erinnerungskultur nach Detmold geholt.

&bdquo;Die Ermittlung“ von Dramatiker Peter Weiss thematisiert den damaligen Prozessverlauf, setzt den Fokus mit nüchterner Sprache auf Zeugenberichte, die Einlassungen der Angeklagten sowie die Äußerungen von Verteidigern, Anklägern und Richtern. Das Stück gehörte in seinem Erscheinungsjahr 1965 wohl mit zu dem ersten Stoff, der das zwei Jahrzehnte anhaltende Schweigen über Auschwitz aufgebrochen haben soll.

&bdquo;Nur das Wort zählt, durch das sich dem Zuschauer das Leben und Sterben im Konzentrationslager vermittelt – ungeschmücktes Material für das Urteil der Zuschauer“, schreiben die Macher. Aufgeführt wird die jetzige Produktion in Detmold am Dienstag, 4. November, um 19.30 Uhr vom Trias-Theater aus Gelsenkirchen. Die WAZ beschreibt die Inszenierung in einer Kritik von 2024 als &bdquo;Ereignis der Extraklasse“, weil das Stück &bdquo;erschüttert, durchschüttelt, aufrüttelt, durch Mark und Bein geht“.

Aufklärungsarbeit im Gerichtssaal Das Landgericht Detmold will allen Interessierten nun einen kostenlosen Besuch des Theaterstückes ermöglichen, soweit es das Platzkontingent zulässt. &bdquo;Das Stück kann mit den Mitteln des Theaters Aufklärungsarbeit leisten, wie sie im Rahmen eines echten Prozesses kaum möglich ist“, teilt Landgerichtssprecher Dr. Wolfram Wormuth dazu mit.

Wer sich &bdquo;Die Ermittlung“ in Saal 143 selbst ansehen möchte, kann sich daher ganz einfach per Mail – samt vollständigen Namen – an pressestelle@lg-detmold.nrw.de um eine kostenlose Eintrittskarte bewerben (weitere Infos siehe unten).

Das Theaterprojekt mit einem Ensemble aus 22 Darstellerinnen und Darstellern arbeitet laut Trias-Theater mit Profis und spielerfahrenen Amateuren. Die Produktion dauert zwei Stunden ohne Pause. Als Bühnenbild ist extra ein nüchterner Gerichtssaal vorgesehen, um jede Ablenkung von den Zeugenberichten zu vermeiden.

Dass das Landgericht Detmold die juristische Aufarbeitung des Holocausts in seinen eigenen Räumen auf die Bühne bringen kann, hat für die hiesige Justiz eine besondere Bedeutung. Denn vor fast zehn Jahren fand in Detmold ebenfalls ein Auschwitz-Prozess gegen einen damals 94-Jährigen ehemaligen SS-Wachmann aus Lage statt.

Lagenser SS-Mann stand in Detmold vor Gericht Die Ermittlungen gegen Reinhold Hanning hatten bereits im Februar 2014 begonnen, als Ermittler des Landeskriminalamts Düsseldorf und die Staatsanwaltschaft Dortmund an der Tür des Beschuldigten in Lage klingelten, um den Senioren zu seiner Arbeit als SS-Wachmann in Auschwitz zu vernehmen.

Ein Jahr später erhob die Zentralstelle im Land NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen der Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen gegen den Lagenser. Konkret ging es um den Zeitraum von Januar 1943 bis Juni 1944.

Der Prozess fand von Februar bis Juni 2016 vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Detmold nicht etwa im Gericht statt, sondern extra in den Räumen der Industrie- und Handelskammer Lippe zu Detmold, um das gigantische Verfahren organisatorisch stemmen zu können.Nur das Urteil sprach die Vorsitzende Richterin Anke Grudda nach 20 Verhandlungstagen im Foyer des Gerichtsgebäudes. Die Kammer verurteilte den 94-Jährigen am Ende wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Noch vor Rechtskraft des Urteils verstarb der Angeklagte, er trat seine Haftstrafe nie an. Während des Prozesses traten nach Angaben des Landgerichts 26 hochbetagte Nebenklägerinnen und Nebenkläger aus aller Welt auf. Darunter war auch der Holocaust-Überlebende Leon Schwarzbaum aus Berlin, der 2022 im Alter von 101 Jahren starb. Schwarzbaum hatte als Einziger seiner jüdischen Familie den Holocaust überlebt – und als Zeitzeuge immer wieder die Gräueltaten der Nazi-Zeit für die Nachwelt erlebbar gemacht. Leon Schwarzbaum (damals ebenfalls 94 Jahre) kam nach seiner Zeugenaussage erneut nach Detmold, um Hannings Erklärung zu hören – und war enttäuscht: &bdquo;Er soll sagen, was er getan hat“, sagte er damals.Der aufsehenerregende Prozess war für das Landgericht Detmold eine Mammutaufgabe, erklärt Landgerichtssprecher Wormuth. Auch vor diesem Hintergrund ist die anstehende Theateraufführung im Sitzungssaal mehr als außergewöhnlich.

Wie komme ich an Eintrittskarten? Wer &bdquo;Die Ermittlung“ am 4. November sehen möchte, kann sich bis Mittwoch, 29. Oktober, per Mail an pressestelle@lg-detmold.nrw.de um eine kostenlose Eintrittskarte bewerben. Sollte es mehr Interessenten als Plätze geben, entscheidet die Reihenfolge. Eine Zu- oder Absage erfolgt ausschließlich per Mail bis spätestens zum 31.10.2025.

Der Detmolder Auschwitz-Prozess in Zahlen 63 Seiten Anklageschrift 3.413 Seiten Strafakte (gesamt 59 Leitz-Ordner) 170.000 tateinheitliche Fälle von Beihilfe zum Mord 20 Verhandlungstage 58 Nebenkläger 19 Nebenklagevertreter 114 Seiten Urteil 5 Jahre Freiheitsstrafe 18 Zeugen (davon 11 Nebenkläger) 4 Sachverständige 30 akkreditierte Pressevertreter 120 Sitzplätze für die Öffentlichkeit (60 für Zuschauer, 60 für Medienvertreter) 730.000 Euro Prozesskosten (darunter rund 300.000 Euro Nebenklagevertreterhonorare; 50.000 Euro Sachverständigenhonorare, 140.000 Euro Dolmetscherkosten; 105.000 Euro für Technik/Techniker sowie Miete der vier Dolmetscherkabinen) 7 Richterinnen und Richter 1 Angeklagter 2 Pflichtverteidiger 11 Simultandolmetscher

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