Senior wegen sexueller Übergriffe auf Kalletalerin (36) verurteilt

Kreis Lippe. In sich zusammengesunken sitzt ein alter gebrechlicher Mann auf der Anklagebank. Die Vorwürfe, die ihm gemacht werden, sind beim Anblick des hageren Senioren kaum nachvollziehbar. Mehrfach soll der 83-Jährige vergangenes Jahr gegenüber seiner wesentlich jüngeren Nachbarin (36) sexuell übergriffig geworden sein. Mindestens zwei Taten spielten sich im Flur des Kalletaler Mehrfamilienhauses ab, einmal überfiel der Täter sein Opfer auf dem Parkplatz. Nur den schwersten Vorwurf der Vergewaltigung stellt Staatsanwalt Kristoffer Mergelmeyer am Ende der Beweisaufnahme ein. Nicht etwa, weil er der Zeugin nicht glaubt, ihre Aussage ist allerdings an einigen Stellen nicht eindeutig, der Tatvorwurf lasse sich daher nicht genau aufklären. Das sieht auch das Gericht so.

Die Geschädigte selbst kann über das Erlebte kaum sprechen. Nervös zittern ihre Beine im Zeugenstand, je tiefer die Fragen ins Detail gehen, desto mehr scheint etwas in ihr zu blockieren. Um die Zeugin nicht weiter zu quälen, verzichtet die große Strafkammer nach einer Unterbrechung mit dem Einverständnis aller Prozessbeteiligten darauf, noch tiefer nachzubohren.

Das Gericht ist dennoch überzeugt, dass der Senior mindestens dreimal gegenüber seiner damaligen Nachbarin sexuell übergriffig geworden ist, deshalb verurteilt ihn die Kammer wegen zweifacher sexueller Nötigung und wegen sexueller Belästigung - genau wie vom Staatsanwalt gefordert - zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Dem schließt sich auch Opferanwalt Marco Vogt an, der die Frau in der Nebenklagte vertritt. Sechs Monate hatte der angeklagte Rentner bereits in U-Haft gesessen, bevor der Haftbefehl vergangene Woche ausgesetzt wurde. "Es hätte nicht viel gefehlt und Sie hätten wieder ins Gefängnis gemusst", sagt der Vorsitzende Richter Karsten Niemeyer mit Nachdruck. Das Verhalten des Angeklagten sei inakzeptabel.

"Ich war wie in Schockstarre"

Es sei erwiesen, dass der 83-Jährige der Nachbarin im Sommer 2021 im Treppenhaus aufgelauert, sie im Intimbereich berührt und sie einmal sogar dazu gezwungen habe, sein Geschlechtsteil anzufassen, als sie ihm Einkäufe an der Wohnungstür abliefern wollte. "Ich war wie unter Schockstarre und konnte nichts machen", sagt die verheiratete Mutter vor Gericht. Sie sei wie gelähmt gewesen und hätte die Übergriffe einfach über sich ergehen lassen.

Auch das hält das Gericht für nachvollziehbar, auch wenn die Konstellation von Opfer und Täter ungewöhnlich sei. "Die Zeugin ist durch sexuelle Übergriffe in der Kindheit schwer traumatisiert", sagt der Richter. In "Schockstarre" hätte sie den vermeintlich körperlich schwächeren Senioren gar nicht abwehren können. Wie nachhaltig das Erlebte die 36-Jährige präge, sei auch in der Hauptverhandlung deutlich geworden. "Es war ihr irgendwann gar nicht mehr möglich, Fragen zu beantworten", meint Richter Karsten Niemeyer. "Nicht weil sie nicht wollte, sie konnte einfach nicht."

Senior überfällt Frau auf Parkplatz

Vergangenen November hatte es dann auf dem Parkplatz einen weiteren Vorfall gegeben, der letztendlich zur Anzeige und Inhaftierung des alten Mannes geführt habe. Der angeklagte Senior hatte die am Auto stehende Frau auf die Ladefläche des Kofferraums geschubst und sein Geschlechtsteil bis zum Samenerguss an ihrem Hintern gerieben. Nur weil ihr Ehemann darauf gedrängt habe, zeigte die Geschädigte die Taten letztendlich an. Mehrfach sei der Senior davor aufgefordert worden, sie in Ruhe zu lassen - doch gebracht habe es nichts, das beteuert die Zeugin unter Tränen vor Gericht. "Er hat gedroht, meinen Kindern etwas anzutun, wenn ich was sage." Deshalb sei sie erst Monate nach dem ersten Übergriff zur Polizei gegangen.

Zum Prozessauftakt vor wenigen Wochen hatte der 83-Jährige sexuelle Kontakte zwischen den beiden zugegeben, jedoch sollen diese aus seiner Sicht von der Nachbarin ausgegangen sein. "Das werten wir als Schutzbehauptung, der Angeklagte ist mehr als doppelt so alt. Er weiß genau, dass die Geschädigte kein Interesse an ihm gehabt hat", sagt der Richter. Auch Verteidiger Remzi Yalcin versucht im Plädoyer gar nicht erst, seinen Mandanten als unschuldig darzustellen, er fordert mit anderthalb Jahren nur eine etwas geringere Bewährungsstrafe. "Mir war nur wichtig, dass der Vorwurf der Vergewaltigung vom Tisch ist", sagt der Verteidiger. Opfer und Täter müssen sich zumindest nicht mehr begegnen, beide wohnen nun woanders.

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