Im Landgerichtsgebäude herrschten einst Feudalismus, Freiheit und Diktatur

Kreis Lippe. Es klingt paradox. Ausgerechnet am 15. Januar, wenn sich die Machtübernahme der Nazis zum 90. Mal jährt, wird der ehemalige Lippische Landtag an der Paulinenstraße in Detmold zum &bdquo;Ort der Demokratiegeschichte“ ernannt. Doch auf den zweiten Blick ist dieser besondere Tag sehr passend.

&bdquo;An keinem anderen Ort in Lippe lässt sich der Wandel des Obrigkeitsstaates bis hin zu einem demokratischen Volksstaat so deutlich nachvollziehen, wie am Gebäude des ehemaligen Lippischen Landtags am Kaiser-Wilhelm-Platz“, zitiert Gerichtssprecher Wolfram Wormuth die Detmolder Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink in der Einleitung zu einer kleinen Festschrift.

Der allererste lippische Landtag war zwar nicht etwa in Detmold, sondern 1576 unter Leitung des Grafen Simon VI im kleinen Cappel zusammengetreten. Die Szene empfand der Maler Bruno Wittenstein 1919 in einem Gemälde nach, und noch heute ist es an der Wand im Flur vor dem damaligen Plenarsaal zu bewundern.

Wahl nach Klassen Vereinfacht gesagt, war die lippische Verfassung bis 1918 immer von einem Klassenwahlrecht in unterschiedlichen Varianten geprägt. Von 1876 an wurden die Wähler und das Gewicht ihrer Stimmen nach der Höhe ihrer Steuerleistung in drei Klassen eingeteilt. Jede dieser drei lippischen Klassen wählte ein Drittel der Abgeordneten des 21-köpfigen Landtages.

Die Herrschaften hatten zunächst allerdings keine eigene Bleibe, berichtet der ehemalige Vize-Präsident des Landgerichts, Hans-Bodo Goldbeck. &bdquo;Aber schließlich wollte man doch ein eigenes Gebäude für den Landtag, und das wurde auf der freien Fläche am Kaiser-Wilhelm-Platz gebaut.“ Zur Zeit der Fertigstellung, 1914, gab es drumherum kaum Bebauung, der Landtag stand also frei und repräsentativ auf der Fläche.

Doch die Herrlichkeit dauerte nicht lange, denn wenige Monate nach der Einweihung im März 1914 begann der Krieg. Die Weimarer Republik bescherte nach der Revolution mit der Reichsverfassung 1919 auch Lippe das ersten demokratisch gewählte Landesparlament, ein Jahr später wurde das Reichsrecht auch in der Verfassung des Freistaates Lippe festgeschrieben.

Frauen wählen - und eine wird gewählt Alle Frauen und Männer über 20 durften an dieser allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahl teilnehmen. Da das Gebäude im Krieg unversehrt geblieben war, tagten die Abgeordneten mit einer klaren SPD-Mehrheit – 11 von 21 Sitzen – am 10. Februar 1919 erstmals in dem repräsentativen Saal. Wie das Landgericht schreibt, gab es sogar mit der Sozialdemokratin Auguste Bracht aus Oerlinghausen die erste Frau im Landtag Lippes.

Lippe war das kleinste unter den zunächst 18 Ländern des Deutschen Reichs, und doch lagen hier im Januar 1933 die Hoffnungen der NSDAP. Denn die hatte zwar ein Jahr zuvor im Juli 1932 bei der Reichstagswahl ordentlich Stimmen eingefahren: Lippeweit mit 41,1 Prozent mehr als reichsweit (37,3); im November aber auch in Lippe wieder an Boden verloren hier nur auf 34,7 Prozent gekommen. Reichsweit war das Ergebnis sogar noch schlechter: 33,1 Prozent für die NSDAP.

"Entscheidungsschlacht im Teutoburger Wald" &bdquo;Darum wollte man bei der nächsten Wahl alles in die Waagschale werfen, was man hatte, und das war nun mal Lippe“, sagt der Blomberger Stadtarchivar Dieter Zoremba dazu. &bdquo;Macht frei das Hermannsland“, so heißt es auf einem der Wahlplakate, und selbstverständlich nutzten die Nazis das Hermannsdenkmal zur Untermalung ihrer Parolen. Doch es blieb nicht bei markigen Parolen; der Führer höchstselbst machte sich auf zur Wahlkampftour. Göring, Goebbels, Frick und Prinz August Wilhelm besuchten Lippe, Hitler selbst hielt 17 Reden in elf Tagen. Die Abschlusskundgebung fand am 14. Januar 1933 vor 15.000 Menschen in Bad Salzuflen statt.

Später strickten die Nazis dann die Legende von der Entscheidungsschlacht im Teutoburger Wald daraus, dabei war der Erfolg der Propagandaschlacht mäßig: Sie verbuchten einen Stimmenzuwachs von 4,8 Prozent auf 39,5. Immerhin bescherte diese vorerst letzte freie Wahl der NSDAP 9 Sitze im Lippischen Landtag, die SPD kam auf 7, die KPD auf 2.

48921 Lipper wählten stramm rechts Und der Wahlsieg führte Adolf Hitler ins Kanzleramt: Am 30. Januar 1933 wurde er Reichskanzler, und keine drei Monate später war es vorbei mit der Selbstständigkeit Lippes und aller anderen Länder: Sie wurden gleichgeschaltet. Bei der Reichstagswahl im März 1933 kam die NSDAP in Lippe auf 47,1 Prozent. Im Klartext: 48921 Lipper wählten stramm rechts.

Der Landtag wurde auf 17 Sitze verkleinert, von denen 10 auf die NSDAP, fünf auf die SPD und einer auf die Deutschnationale Volkspartei entfielen. Der Sitz der KPD wurde gestrichen. Doch zu sagen hatte der Landtag ohnehin nicht mehr viel, das Lippische Ermächtigungsgesetz führte im Juni 1933 zur faktischen Auflösung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten erst einmal die Briten das Sagen: Sie setzten den Sozialdemokraten Heinrich Drake, der bis zum 15. Januar noch Präsident der Landesregierung gewesen war, wieder ein und beriefen zunächst einen zwölfköpfigen Landesrat, dann einen 31-köpfigen Landtag. Drake verhandelte mit den Briten den Anschluss an Nordrhein-Westfalen. Am 21. Januar 1947 trat die Militärverordnung in Kraft, nach der Lippe die Selbstständigkeit als Land verlor. Am selben Tag trat der Lippische Landtag zum letzten Mal zusammen.

Haupteingang von der Seite Richter a.D. Hans-Bodo Goldbeck hat einst manchen Fall im Sitzungssaal 143 verhandelt. Der einstige Plenarsaal wurde zunächst für Schwurgerichtsverhandlungen des Landgerichts benutzt. Der ehemalige Landtag ist längst von anderen Baukörpern umgeben, die als Gesamtkomplex nicht nur das Landgericht, sondern auch das Amtsgericht und die Staatsanwaltschaft beherbergen. &bdquo;Der ursprüngliche repräsentative Haupteingang wird heute nicht mehr genutzt“, sagt Goldbeck, der seit Jahren Besucher durch die historischen Räume führt. &bdquo;Nur am Sonntag, 15. Januar, ist er noch mal offiziell geöffnet.“

Goldbeck engagiert sich im lippischen Heimatbund, und auf seine Initiative geht die Aufnahme des Gebäudes in den Kreis der &bdquo;Orte der Demokratiegeschichte“ zurück. Dahinter steckt eine bundesweite Arbeitsgemeinschaft aus 50 Institutionen - vom Bundesarchiv über die Friedrich-Ebert-Stiftung bis hin zum Archiv der deutschen Frauenbewegung und der Bayerischen Schlösserverwaltung.

Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist es, die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit zu fördern, schreibt sie in ihren Grundsätzen. Die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratiegeschichte aus Weimar stellt eine Wanderausstellung über die deutschen Freiheitsbewegungen von der französischen Revolution bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vor, die ab Sonntag bis zum 10. März im Gerichtsgebäude zu sehen ist.

Feierstunde im Plenarsaal Die Eröffnung der Ausstellung im Landgericht und die Deklaration als Ort der Demokratiegeschichte wird am Sonntag, 15. Januar, ab 16 Uhr mit einer öffentlichen Feier begangen. Unter anderem sprechen der Präsident des NRW-Landtags, André Kuper, Detmolds Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink und der Vizelandgerichtspräsident a.D. Hans-Bodo Goldbeck, über &bdquo;der ehemalige Lippischen Landtag – ein symbolträchtiger Ort“.

Neben den geladenen Gästen ist Jedermann herzlich willkommen. Ein Teilnahmewunsch kann unter Angabe des Namens und der E-Mail-Adresse bis zum 12.Januar an das Landgericht gerichtet werden: verwaltung@lg-detmold.nrw.de oder Tel. (05231)768 234.

Im Landgerichtsgebäude herrschten einst Feudalismus, Freiheit und Diktatur

Wie das Hermannsdenkmal von den Nationalsozialisten für den Wahlkampf vereinnahmt wurde

Als die Banknoten auch in Lage immer mehr Nullen erhielten

Historischer Rundgang: Das passierte rund um die Befreiung Detmolds am 4. April 1945

„Glaube an die Volksgemeinschaft“: Doktorand forscht zur Stadt Lage im Nationalsozialismus

Zwischen „Mythos Arminius“ und Missbrauch: Der Hermann als politisches Symbol - jetzt Podcast-Folge 3 hören!

Warum ein Detmolder Revolutionär den Lippern kaum bekannt ist

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €