Lippische Experten klären auf: Wann Stress die Psyche krank macht

Kreis Lippe. Genauso wie Leistungssportler sich beim 10.000 Meterlauf ihre Kräfte einteilen, müssten wir auch mit der eigenen Psyche haushalten. Davon ist Psychiater Dr. Ralf Marquard überzeugt. Der ärztliche Direktor des Gemeindepsychiatrischen Zentrums (GPZ) in Detmold trifft auf immer mehr Patientinnen und Patienten, die von &bdquo;Burnout“ betroffen - also buchstäblich ausgebrannt - sind und daraus oft eine Depression entwickelten. Ein Grund dafür könne ständiger Druck sein, dem man ausgesetzt ist.

Dabei muss Stress nicht immer schlecht sein, sagt Marquard. Herausforderungen, also positiver Stress, könnten den Menschen beflügeln. Allerdings bringe jede Art Verantwortung enorme psychische Belastungen mit sich, die wir nicht beeinflussen könnten. &bdquo;Wenn wir einen Berg an Aufgaben habe, die man zeitlich gar nicht bewältigen kann, kann das die Psyche krank machen.“

Daher sei es wichtig, auf die ersten Anzeichen des Körpers zu achten und sich selbst immer wieder Ruhe-Oasen in den Alltag einzubauen. &bdquo;Wenn ich nachts im Bett liege und über die Arbeit grübel, ist das kein gutes Zeichen“, nennt Dr. Ralf Marquard ein Beispiel. &bdquo;Gleiches gilt, wenn es mir schwerfällt, nach der Arbeit abzuschalten.“

Pausen durchzuarbeiten, ist nicht sinnvoll Dazu kämen psychosomatische Beschwerden wie Magendarm, Rückenschmerzen und Bluthochdruck als typische Alarmzeichen. Daher sei es für jeden Menschen wichtig, sich in seinem Alltag Rituale und Pausen zu schaffen. Letzteres sei beruflich sogar vorgeschrieben. &bdquo;Viele arbeiten trotzdem weiter oder füllen Pausen mit Aufgaben, die noch erledigt werden müssen. Das ist nicht sinnvoll.“

Geschaffene Pausen sollten ungestört und mit Dingen gefüllt sein, die einen Ausgleich schaffen, sagt der Psychiater. &bdquo;Man muss sich seine Inseln schaffen. Egal, ob beim Kaffeetrinken oder regelmäßigen Treffen mit Freunden. Entscheidend ist, dass es guttut.“

Auf dem Sofa liegen und dabei soziale Netzwerke wie Instagram oder Tiktok durchscrollen, zähle übrigens nicht dazu, sagt der GPZ-Chef. &bdquo;Dabei findet keine Regeneration und Erholung statt, es geht nur um Ablenkung.“ Entlastend für die Seele seien soziale Medien daher nicht - eher das Gegenteil sei der Fall.

Eigentlich gebe es eine simple Formel, die Dr. Ralf Marquard mal bei einem Kollgen aufgeschnappt habe und den Menschen in Lippe gern mitgeben möchte. &bdquo;Idealerweise arbeitet man so, dass man das ganze Jahr durcharbeiten könnte - ohne Urlaub“, sagt er. &bdquo;Das heißt nicht, faul zu sein, sondern achtsam mit sich umzugehen.“

Erst dann könne der Urlaub nämlich wirklich erholsam sein. Viele lebten nämlich nicht danach und kämpften dann damit, direkt im Urlaub krank zu werden. Das sei auch ein Zeichen für eine fehlende Balance. Der Körper hole sich wieder, was er braucht.

Distanzierungstechniken für Körper und Geist Die daraus entstehenden Probleme beobachtet auch die Sozial- und Entspannungspädagogin Nicoline Kossinna seit 18 Jahren in ihrer Praxis in Detmold. &bdquo;Der psychosoziale Stress hat massiv zugenommen“, sagt sie. Die Ursachen seien vielschichtig: dauernde Erreichbarkeit, private Verpflichtungen, Über- und Unterforderung im Büro, der Druck, Super-Eltern zu sein, chronische Paarkonflikte oder der überhandnehmende Perfektionismus. &bdquo;Wir vergleichen uns viel zu oft mit anderen. Das erzeugt Druck.“

Aber wie lässt sich das Hamsterrad aufhalten? &bdquo;Genauso individuell wie der Stress sind auch die Strategien dagegen“, sagt Kossinna. Da gebe es die natürlichen Methoden, die Menschen instinktiv anwendeten, wie etwa Sport, Wellness oder ein Kurzurlaub. Wenn das nicht mehr ausreiche, könnten professionelle Entspannungsverfahren wie autogenes Training, Meditation, progressive Muskelentspannung oder Achtsamkeitsübungen ins Spiel kommen. Die Liste sei lang.

Entscheidend sei aus Sicht der Stressmangement-Trainerin, sich seine eigenen Distanzierungstechniken zu erarbeiten. &bdquo;Sich mental vom Berufsleben zu trennen, bevor man ins Privatleben übergeht, ist enorm wichtig.“ Beispielsweise gebe es einige, die am Ende eines Arbeitstages auf einen Zettel schreiben, was gut war, und diesen dann an ihrem Arbeitsplatz zurücklassen. Ein simpler Cut, der beim Abschluss des Tages helfen könne.

Genauso helfe vielen auch die sogenannte &bdquo;Fußabstreifer-Methode“. Dabei nutze man ganz bewusst die Fußmatte vor der Tür und streife den Arbeitstag beziehungsweise seine Verpflichtungen förmlich unterm Schuh ab. &bdquo;Es gibt viele verschiedene Techniken, die helfen können.“ Jeder Mensch sollte daher unbedingt auf den eigenen Körper hören, um seine Grenzen wahrzunehmen.

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