August Zirner und Kollegen bestechen in Lemgo mit radikaler Salonfähigkeit

Lemgo. Hass, Hetze, Lügen, Verleumdungen – das gab es schon immer. Aber im Zeitalter der ungebremsten Massenkommunikation kann es sich millionenfach multiplizieren und eine Eigendynamik entwickeln, die Menschen vernichtet. &bdquo;Radikale Salonfähigkeit“ war der Titel einer musikalischen Lesung, die am Mittwoch in Kooperation mit dem Literaturbüro OWL im Weserrenaissance-Museum stattgefunden hat.

Dabei ging es um Hass, Hetze und Populismus. Was das bedeuten kann, spiegeln zwei Romane, jeweils für ihre Zeit und ihr Land. Daraus lasen der Schauspieler August Zirner und seine Kollegin Gabrielle Pietermann im Wechsel. Sie lasen mitreißend und ließen das Publikum im voll besetzten Vortragssaal des Museums überzeugend an den verschiedenen Stimmungen teilhaben.

Analogien zur heutigen USA

1935 erschien in den USA der Bestseller &bdquo;Das ist bei uns nicht möglich“ (&bdquo;It Can’t Happen Here“) des Literaturnobelpreisträgers Sinclair Lewis. Protagonist des satirischen Romans ist der Politiker Berzelius Windrip, der mit seinen populistischen Hetzreden und Lügen die Begeisterung unzufriedener Wähler entfacht und Präsident der Vereinigten Staaten wird.

Er schürt Ängste, er verspricht drastische Wirtschafts- und Sozialreformen sowie eine Rückkehr zum Patriotismus und traditionellen Werten. Verbrechen wie Mord werden auf haarsträubende Weise vertuscht. Als Präsident übernimmt er die völlige Kontrolle über die Regierung und errichtet eine totalitäre Herrschaft mit Hilfe einer erbarmungslosen paramilitärischen Truppe, den &bdquo;Minute Men“.

Der Journalist Doremus Jessup kämpft gegen dieses Regime. Er sieht es als seine &bdquo;priesterliche Pflicht“, die Wahrheit zu sagen, auch wenn ihm dafür Gefängnis droht. Erschütternd ist die Aktualität, sind die Parallelen zum jetzigen Präsidenten. Dem Autor wurden prophetische Gaben attestiert.

Zwei unterschiedliche Welten

Fast unmittelbar gegenwartsaktuell ist der Roman &bdquo;Zwischen Welten“ (2023) von Juli Zeh und Simon Urban. Seine Form ist die WhatsApp- und Mail-Korrespondenz zwischen Theresa und Stefan, die sich seit Studentenzeiten kennen und nun in völlig anderen Welten leben. Er als Kulturchef eines großen Nachrichtenmagazins in Hamburg, sie als Ökobäuerin in Brandenburg. Er ist von der enormen gesellschaftspolitischen Bedeutung der Gendersprache überzeugt, sie spricht von &bdquo;politisch korrekter Gefühlsduselei“ und kämpft auf ihrem Hof bis zum Umfallen gegen existenzbedrohliche Widrigkeiten wie Agrarpolitik, Dürre, Schweinepest. Er lebt in einer Blase, die mit ihrer harten Realität fast nichts zu tun hat.

August Zirner und Gabrielle Pietermann gestalteten diesen Dialog vibrierend lebendig. Und bewegend: Das Ganze endet in einer Katastrophe.

&bdquo;Dino Paris & der Chor der Finsternis“ ist ein Solo-Projekt des Musikers Jan Preißler. Mit E-Gitarre und Synthesizer untermalte er die gelesenen Texte und sang mit seiner weichen Stimme auch eigene Lieder: &bdquo;Die Ballade vom sterbenden Mann“, &bdquo;Geisterbahn“ und &bdquo;SUV“ setzen sich mit dem Ende des Patriarchats und dem entfremdeten Leben im Kapitalismus auseinander. Das hochkonzentrierte Publikum dankte mit viel Beifall.

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