Mordprozess nach tödlichem Unfall in Lügde: Angeklagter beteuert Erinnerungslücken

Detmold/Lügde. Noch bevor der Mordprozess rund um einen tödlichen Verkehrsunfall in Lügde überhaupt begonnen hat, fließen im Sitzungssaal 165 die ersten Tränen. Im Zuschauerraum sitzt einerseits die Familie des 54-jährigen Opfers aus Emmerthal, die den Verlust eines geliebten Menschen verarbeiten muss. Daneben ringen Angehörige des in Bad Pyrmont lebenden Angeklagten mit ihren Emotionen. Ihm, dem heute der Prozess gemacht wird, geht es offensichtlich auch nicht gut. Zitternd und schluchzend schleppt er sich auf die Anklagebank.

Es dauert einige Minuten, bis er sich wieder fängt. Dann will sich der aus Leverkusen stammende Berufssoldat zum Prozessauftakt erstmals vor dem Schwurgericht zu dem Mordvorwurf einlassen. Staatsanwalt Alexander Görlitz wirft ihm der Anklage nach vor, am Abend des 7. März dieses Jahres auf der Umgehungsstraße in Lügde nach einer gescheiterten Beziehung seinen hoch motorisierten Audi aus suizidaler Absicht heraus in den Gegenverkehr gesteuert zu haben und dabei einen Menschen getötet zu haben.

Unfallfahrer spricht von Erinnerungslücken Der Geschädigte habe überhaupt keine Chance gehabt, dem Frontalzusammenstoß auszuweichen. &bdquo;Er war innerhalb weniger Sekunden tot“, sagt der Staatsanwalt. Der jetzt angeklagte Unfallverursacher habe das durch seine Fahrweise billigend in Kauf genommen. Vor Gericht bestreitet der 30-Jährige am Montag, den Unfall bewusst provoziert zu haben. &bdquo;Für mich wäre es nicht infrage gekommen, jemanden etwas anzutun“, sagt der Angeklagte relativ zum Schluss seiner Einlassung. Wieder bricht er in Tränen aus. &bdquo;Es tut mir leid.“

Der Pyrmonter habe sich an dem Abend unbedingt mit seiner Ex-Freundin treffen wollen, die ihn gerade erst verlassen hatte. &bdquo;Ich wollte nach jedem Strohhalm greifen.“ Nach einigen emotionalen Telefonaten sei er auf dem Weg zum Schiedersee dann panisch geworden. &bdquo;Es war so ein beklemmendes Gefühl im Bauch.“ Dann sei ihm schwarz vor Augen geworden und er sei erst im Krankenhaus wieder aufgewacht - was genau passiert ist, daran könne er sich nicht erinnern.

Staatsanwalt Alexander Görlitz nimmt ihm diese Version nicht ganz ab. &bdquo;Die passt nicht zu der Kurznachricht, die Sie Ihrer Ex-Freundin geschrieben haben“, sagt Görlitz. &bdquo;Die klingt wie ein Abschied.“ Die Kammer führt besagte Nachricht am ersten Verhandlungstag nicht ein, auch die Ex-Freundin erwähnt sie bei ihrer Aussage im Zeugenstand nicht.

Die 27-Jährige habe sich allerdings am Unfallabend große Sorgen um ihren Ex-Lebensgefährten gemacht, weil er so bitterlich am Telefon geweint habe. Mehrfach habe sie ihn gebeten, seinen Standort mitzuteilen. Dann sei sie einfach auf gut Glück losgefahren. &bdquo;Ich dachte, er will zum Schiedersee, weil wir da immer hin wollten.“ Von einem geplanten Treffen ist nicht die Rede. Eigentlich habe die sozialpädagogische Erzieherin immer gehofft, dass die knapp acht Monate andauernde Beziehung noch eine Chance hätte. Ihr Partner habe aber zu oft mit anderen Frauen geschrieben und sich dort Bestätigung gesucht.

Beziehungsende als Tatmotiv? Die akute Beziehungskrise ist zwar ein wichtiges Indiz, aber nicht das einzige, auf das die Ermittler ihre Mordtheorie stützen. Nach den Ergebnissen des von der Staatsanwaltschaft Detmold beauftragten Dekra-Gutachtens lässt sich anhand der Spurenlage und der Blackbox genau ablesen, dass der Unfall absichtlich herbeigeführt worden sein müsse. Einen alternativen Unfallhergang könne sich der Sachverständige Dr. Alexander Harder aus Bielefeld zumindest nicht erklären, sagt er selbst bei seinem kurzen Auftritt im Zeugenstand. Zentraler Punkt sei die abrupte Lenkradbewegung, berichtet Staatsanwalt Görlitz später auf dem Gerichtsflur. Deren Winkel passe nicht dazu, wenn der Fahrer zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bewusstlos gewesen wäre.

In der Hauptverhandlung darf der beauftragte Unfallanalytiker aus Bielefeld seine Ergebnisse aber gar nicht erst vorstellen. Verteidiger Torsten Giesecke beantragt zunächst, das Gutachten wegen Befangenheit des Sachverständigen abzulehnen. Ein alternatives, von der Verteidigung in Auftrag gegebenes Gutachten kommt laut dem Verteidiger zum Ergebnis, dass die Vorgehensweise des Fachkollegen Mängel aufweise. Außerdem habe der Gutachter seine Ergebnisse bewertet und damit seine Kompetenzen überschritten. &bdquo;Dass das Auto bewusst hineingesteuert wurde, ist eine bewertende und juristische Ausführung“, sagt Giesecke.

Überraschende Wende im Prozess Das Schwurgericht unter dem Vorsitz von Richter Karsten Niemeyer trifft nach einer Beratung zu dem Antrag an sich keine Entscheidung, schlägt aber vor, noch ein drittes Obergutachten einzuholen, da sich die beiden bisherigen Unfallanalytiker offensichtlich fachlich nicht einig sind. Bis ein dritter Sachverständiger sich den Unfallhergang genau angeguckt hat, wird es allerdings noch einige Wochen dauern.

Das Gericht hört sich daher zum Prozessauftakt nur noch einige weitere Zeugen an - darunter Ersthelfer, Polizisten und medizinisches Personal, das den Angeklagten im Krankenhaus versorgt hatte. Einem Arzt gegenüber soll der 30-Jährige von Suizidgedanken berichtet haben. Der Angeklagte gibt ebenfalls zu, am Nachmittag vor der tödlichen Fahrt nach Wegen gegoogelt zu haben, sich das Leben zu nehmen. Die Trennung habe ihm psychisch schwer zu schaffen gemacht, sagt er.

Da das Gericht die Drei-Wochen-Frist zwischen Verhandlungstagen einhalten muss, hat das Schwurgericht nun einen sogenannten Schiebetermin mit kleinem Beweisprogramm am Montag, 16. September, um 14 Uhr, angesetzt. Anfang Oktober soll es dann mit dem Prozess richtig weitergehen.

Mordprozess nach tödlichem Unfall in Lügde: Angeklagter beteuert Erinnerungslücken

Tödlicher Unfall durch Suizidversuch in Lügde: BGH hebt Urteil teilweise auf

Treppe zweifach heruntergestoßen: Sohn gesteht Mordversuch an Mutter (99) in Lemgo

Rechtsmediziner ist sicher: Getötete Salzuflerin kämpfte in Badewanne gegen das Ertrinken

Sohn stößt Lemgoerin (99) die Treppe herunter - warum das Gericht vom Mordvorwurf abrückte

Nach tödlichem Verkehrsunfall in Lügde: Gericht gibt Verurteilten keinen Straferlass

Brände in Detmolder Sinalco-Gebäude vor Gericht: Zeugenbegegnung belastet Angeklagten

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus

0,99 € im ersten Monat

Angebot: Jahresabo nur 99 €