Oerlinghausens Rolle beim Projekt „Rechtsruck“

Oerlinghausen . Eigentlich wollte der Historiker Clemens Tangerding aus Luckenwalde nur die Geschichte einiger deutscher Feuerwehren aufarbeiten. Und eigentlich wollte der Oerlinghauser Feuerwehrmann Christian Stüber nur die 100-jährige Geschichte der Helpuper Feuerwehr unter die Lupe nehmen. Daraus wurde ein viel beachtetes, deutschlandweites Geschichtsprojekt.

Dass die beiden nun zu Hauptakteuren in diesem Projekt geworden sind, war beim Start im Herbst 2021 noch längst nicht erkennbar. Oerlinghausen nämlich spielte eine Hauptrolle in der sehr erfolgreichen Aktion, wie man die NS-Vergangenheit erforscht und durch neue Ideen dem aktuellen Rechtsruck begegnen kann.

Jetzt hat Clemens Tangerding ein Buch über das abgelaufene Projekt &bdquo;Das Dritte Reich und wir“ veröffentlicht und das Werk in einer Lesung im Bürgerhaus vorgestellt. Titel des Buches: &bdquo;Rückkehr nach Rottendorf“. Zuvor schon war ein Kamerateam vom Sender 3sat in Oerlinghausen unterwegs, um einige Szenen und Interviews an historischen Orten für die Fernsehsendung &bdquo;Kulturzeit“ aufzunehmen. Ausgestrahlt wird sie am 8. Oktober, 19.20 Uhr.

Das, was ursprünglich einmal als Spurensuche bei Freiwilligen Feuerwehren geplant war, entwickelte sich zu einer bundesweiten Studie über die Vergangenheit deutscher Kommunen. Projektleiter in Oerlinghausen war Christian Stüber.

10 deutsche Städte beteiligen sich an Geschichtsprojekt

Eineinhalb Jahre lang hatte sich seinerzeit ein etwa 30-köpfiger Arbeitskreis mit geschichtsbewussten Oerlinghauser Bürgern immer wieder in Workshops getroffen, um eine Ausstellung auf die Beine zu stellen. Im November 2022 wurde sie im Bürgerhaus eröffnet. Auf farbigen Schautafeln konnten Besucher dort Themen wie &bdquo;Jüdisches Leben“, Segelfliegen unterm Hakenkreuz“ oder &bdquo;Zwangsarbeiter“ erleben.

&bdquo;Zehn deutsche Städte und Gemeinden haben sich an dem Geschichtsprojekt beteiligt“, sagte Clemens Tangerding. Orte wie Radeberg oder Heynitz in Sachsen waren dabei, ebenso wie Dietramszell in Oberbayern, München oder Stuttgart-Riedenberg. &bdquo;In Oerlinghausen gab es eine große Anzahl von engagierten und auch kompetenten Teilnehmern.“

Auch die Bestückung der Ausstellung entwickelte sich in Oerlinghausen zu einem echten Erfolg. &bdquo;Sehr viele Menschen haben alte Dokumente, zahlreiche Fotos, Kinokarten, Schutzhelme, Wehrpässe, persönliche Briefe oder amtliche Schreiben beigesteuert“, berichtete Clemens Tangerding.

Viel Lob für Christian Stüber

Projektleiter Christian Stüber, der mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern aus Helpup, Jaqueline Nowack und Niklas Döner, die Fundstücke und NS-Informationen zusammengetragen hat sowie die Workshops organisierte, machte sogar Hausbesuche, um an das Material aus der Oerlinghauser NS-Geschichte zu gelangen.

Erhebliche Unterstützung erhielt das Team auch aus den Heimatvereinen Oerlinghausen, Lage oder der Heimatwerkstatt Lipperreihe. &bdquo;Viele Projekte haben keinen Erfolg, weil sie vor Ort keine Akzeptanz finden, also keine Leute, die mitmachen“, erläuterte der Historiker. &bdquo;Hier in Oerlinghausen ist &bdquo;Das Dritte Reich und wir“ auf so fruchtbaren Boden gefallen, weil es unter anderem einen Christian Stüber gibt“, lobt er den Organisationsleiter.

Was nun sind die Erkenntnisse aus dem Geschichtsprojekt? &bdquo;Man kann leicht behaupten: Wer Faschisten wählt, macht sich mitschuldig“, erzählt Tangerding. &bdquo;Wer Faschisten wie die AfD wählt, fährt aber auch unsere Kinder zur Schule, steht nachts an der Tankstelle oder erneuert das Pflaster auf dem Kirchplatz.“ Man sei in kleineren Kommunen aufeinander angewiesen, man müsse sich einigen und oftmals gemeinsame Aufgaben erledigen. Deshalb warnt er vor Polarisierungen und begrüßt die Fähigkeit von Bürgern, sich auch unter erschwerten Bedingungen zusammenzufinden.

Sehr unterschiedliche politische Meinungen

Auch in Oerlinghausen hätten sich deutlich unterschiedliche politische Meinungen zur NS-Geschichte gezeigt. &bdquo;Die größten Debatten hat es zum Thema Ehrenmal, Mahnmal, Denkmal auf dem Tönsberg gegeben“, sagte er. &bdquo;Gleichwohl ging es Hand in Hand weiter. Mit dem Akkuschrauber und anderen Werkzeugen haben Teilnehmer in Oerlinghausen gemeinsam Stellwände hergestellt. Man hat zusammengearbeitet, obwohl man möglicherweise ganz unterschiedliche Meinungen über die NS-Zeit und die Ausstellung hat.“

In seinem Buch &bdquo;Rückkehr nach Rottendorf“, in dem er die Leser mit in seinen Geburtsort nimmt, ermutigt Clemens Tangerding die Bürger, einfach einmal andere Meinungen und Perspektiven auszuhalten und zu respektieren. Und mit Hinblick auf das Wählerverhalten vieler junger Leute sagt er: &bdquo;Vor dem Projekt habe ich die Menschen sehr schwarz-weiß in zwei Gruppen eingeteilt: Demokratiefeinde und Verfechter der Demokratie. Aber an den Einzelprojekten haben auch AfD-Wähler teilgenommen. Daraufhin habe ich gemerkt, dass meine einfach Trennung so nicht funktioniert. Die meisten AfD-Wähler sind keine Nazis wie früher. Sie wünschen sich ein Deutschland von vor 30 Jahren zurück.“

Transparenzhinweis: Dr. Clemens Tangerding, Autor des Buches &bdquo;Rückkehr nach Rottendorf“ hat auf zwei Stellen im Artikel hingewiesen, in denen er nicht korrekt zitiert worden war. Er habe Oerlinghausen nicht als das größte Projekt und engagierteste der 14 Einzelprojekte dargestellt. Außerdem hat er nicht gesagt, dass vielfach keine klare Trennung zwischen der AfD und den etablierten Parteien erkennbar ist. Die LZ hat die korrekten Zitate in der aktualisierten Fassung eingefügt.

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