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Echte Schätze in Lippes ältester Gastwirtschaft

Silke Buhrmester

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Ludger Hermanns betreibt in Brakelsiek die älteste Gaststätte Lippes. 300 Jahre Gasthof-Geschichte sind in dem Bild vereint, das im Saal hängt. - © Silke Buhrmester
Ludger Hermanns betreibt in Brakelsiek die älteste Gaststätte Lippes. 300 Jahre Gasthof-Geschichte sind in dem Bild vereint, das im Saal hängt. (© Silke Buhrmester)

Schieder-Schwalenberg/Brakelsiek. Unzählige Besitzer, vier Namensänderungen, drei Konkurse: Die älteste Gaststätte Lippes hat in den 490 Jahren seit ihrer Eröffnung in Brakelsiek eine wechselvolle Geschichte erlebt. Seit 1987 betreibt Ludger Hermanns den Landgasthof unter dem Namen „Zum Postillion“. Und in den vergangenen 37 Jahren ist eine gewisse Konstanz eingetreten. Doch allein die Überraschungen, die der 68-Jährige mit dem Haus, oder besser seiner Substanz, und darin verborgenen Schätzen erlebt hat, könnten Bücher füllen. Und dank der freigiebigen Brakelsieker hat er einen großen Fundus historischer Fotos und Postkarten noch dazu.

Hermanns kaufte das Haus 1991. Er war zuvor Pächter der Stadthalle Brakel gewesen und kochte im Schwalenberger Malkasten: „Dadurch war ich in der Umgebung bekannt.“ Zwei Jahre zuvor war der Vorbesitzer in Brakelsiek pleite gegangen. Hermanns eröffnete mit seiner Frau die Gaststätte unter dem neuen Namen „Zum Postillion“ und sicherte sich ein Vorkaufsrecht, von dem er vier Jahre später Gebrauch machte.

Renovierungen im Urlaub

„Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, weiß ich nicht, ob ich das gemacht hätte“, sagt Hermanns rückblickend und spielt dabei auf die schlechte Bausubstanz an allen Ecken an, die es mit den Jahren erst einmal zu beheben galt. Doch der gelernte Koch war leidensfähig. Er stamme, so erzählt er, aus einer Gastronomenfamilie in vierter Generation. Und auch das Haus, in dem seine Eltern in Eissen, einem kleinen Ort bei Warburg, eine Gaststätte betrieben hätten, sei alt gewesen und habe vielfach saniert werden müssen.

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Hermanns kannte sich also nicht nur mit dem Kochlöffel aus, sondern auch mit der Maurerkelle, mit Spaten und Spachtel. Und so gab er nicht auf: Nicht, als er den maroden Fußboden richtete, nicht, als in einem der Gasträume an einem Vormittag plötzlich die Decke einstürzte, und auch nicht, als er im Boden die Reste eines alten Fachwerkhauses fand. „Mein Urlaub war viele Jahre lang Renovierungsurlaub - aber ich habe auch viel Hilfe aus dem Dorf bekommen“, erinnert er sich.

Der Männergesangverein und der Frauenchor sangen auf dem großen Saal der Gaststätte. - © Silke Buhrmester
Der Männergesangverein und der Frauenchor sangen auf dem großen Saal der Gaststätte. (© Silke Buhrmester)

Dass seine Gaststätte alt ist, merkte er rasch - dass es indes die älteste in Lippe ist, erfuhr er erst beim 500-jährigen Dorfjubiläum im Jahre 2010. Heimatforscher und Alteingesessene aus Brakelsiek lieferten wertvolle Informationen: 1532, während der Neugründung des Dorfes, eröffnete die Familie Franz den Krüger- und Kramladen in dem 20. Haus von Brakelsiek. 1590 und 1617 wurden „Carell der Krüger“ und daneben „Die olde Krügersche und Kramersche“ - möglicherweise die Mutter oder Schwiegermutter - erwähnt.

Weihnachtsfeier 1921 mit den Lehrern Müller und Sauerländer. Sogar eine Liste mit allen Namen der Kinder und den Nummern der Häuser, in denen sie lebten, ist überliefert. - © Silke Buhrmester
Weihnachtsfeier 1921 mit den Lehrern Müller und Sauerländer. Sogar eine Liste mit allen Namen der Kinder und den Nummern der Häuser, in denen sie lebten, ist überliefert. (© Silke Buhrmester)

Jungeblut ging pleite - und in die USA

1659 wurde erstmals Friedrich Jungeblut genannt. Dessen Nachfahren mussten 1870 den ersten Konkurs erleben: „Jungeblut, verschuldet durch Liebe und Suff auf dem Klöpper bei Dortchen, verkauft seinen Krug und wandert nach USA aus!“, heißt es in der Hauschronik. Und so kam es, dass Familie Hermanns vor einigen Jahren Besuch aus den USA hatten: „Eine Frau meldete sich bei uns und sagte, dass ihre Vorfahren einmal Besitzer der Gaststätte gewesen seien“, erinnert sich Ludger Hermanns.

Noch einige Besitzer- und Pächterwechsel folgten, die Gaststätte hieß mal „Brakelsieker Krug“, dann „Gasthof Berkenkamp“, später „Gasthof Zur Post“ - schließlich waren hier einst auch einmal eine Bäckerei und die Poststelle untergebracht - und schließlich „Zum Postillion“.

Warum sich Familie Hermanns mit ihrer Gastronomie auf dem Dorf nicht nur halten, sondern auch etablieren konnte, während um sie herum eine Gaststätte nach der anderen die Flügel streckte? Ludger Hermanns glaubt, dass es unter anderem an seiner langjährigen Erfahrung liegt: Er begann seine Lehre im „Schweizer Haus“ in Paderborn 1970, später folgten Stationen im Berliner Arosa-Hotel, im Kempinsky und Hilton und einige Jahre im Carlton in Johannisburg, Südafrika: „Das war das größte Hotel in Afrika mit mehr als 1300 Angestellten.“ Damals sei er beteiligt gewesen an der Ausrichtung eines Banketts für 3500 Gäste, denen innerhalb von 20 Minuten das Essen serviert werden musste.

Das Hochzeitsfoto des Brautpaares Fritz und Mathilde Plöger, aufgenommen am 20. April 1938. Die Namen aller Personen auf dem Bild sind überliefert. - © Silke Buhrmester
Das Hochzeitsfoto des Brautpaares Fritz und Mathilde Plöger, aufgenommen am 20. April 1938. Die Namen aller Personen auf dem Bild sind überliefert. (© Silke Buhrmester)

Neue Gäste dank Außer-Haus-Verkauf

Logistik und Kalkulation hat der leidenschaftliche Koch auf diesen Stationen also ebenfalls gelernt - und das habe ihm in der Selbstständigkeit genützt, ist er überzeugt. Der große Saal, auf dem früher die Sängerinnen und Sänger Chorabende abhielten und zahlreiche Hochzeiten gefeiert wurden, wird noch heute von Gesellschaften genutzt. Früher diente er sogar als Kino. Zudem gibt es zwei kleinere Säle. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen sich die Kegelclubs die Klinke in die Hand gaben - und auch der Frühschoppen am Sonntagmorgen ist aus der Mode.

Doch Hermanns erzählt etwas Überraschendes: „Corona hat der deutschen Küche geholfen.“ Die Menschen hätten nicht in den Urlaub fahren können und sich auf das gutbürgerliche Essen besonnen. Und speziell zum „Postillion“ seien die Kunden beim Außer-Haus-Verkauf von weither gekommen - und anschließend Stammgäste geworden.

Postkartenmotiv: Schon damals warb Brakelsiek mit der schönen Landschaft des Mörth und dem Gasthof, der damals Berkenkamp hieß und von Werner Kuhlmann betrieben wurde. - © Silke Buhrmester
Postkartenmotiv: Schon damals warb Brakelsiek mit der schönen Landschaft des Mörth und dem Gasthof, der damals Berkenkamp hieß und von Werner Kuhlmann betrieben wurde. (© Silke Buhrmester)

Personalmangel ist in seinem Restaurant kein Thema. Hier kocht der Chef selbst: „Wenn man Koch gelernt hat, weiß man, wie es geht.“ Sicherlich sei es viel Arbeit, aber manches gehe auch „nebenbei“: Zum Beispiel, dass die Kartoffeln kochen, während er sich mit der Redakteurin unterhält.

Inzwischen hat seine Gaststätte nur noch freitags bis sonntags und zu besonderen Anlässen geöffnet. Über Gästemangel kann er sich nicht beklagen. Convenience-Produkte, die nur warm gemacht werden müssen, kommen nicht auf den Tisch. 30 Gerichte auf der Karte sind dennoch eine Menge - schließlich weiß man nicht, was der Gast heute bestellen wird: „Ich koche auch vor und friere die Speisen ein“, verrät Hermanns. Und er punkte mit saisonalen Angeboten - das schätzten die Gäste.

490 Jahre - wird der Gasthof unter seiner Regie noch 500? Hermanns antwortet diplomatisch: „Ich werde dieses Jahr 69, meine Frau am Sonntag 60. Wir machen weiter, so lange wir können. Und dann verkaufen wir die Gaststätte günstig, denn wir wollen, dass hier ein Nachfolger eine Chance hat.“

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