Regierungspräsidentin Marianne Thomann-Stahl geht in den Ruhestand

Frau Thomann-Stahl, Sie waren Regierungspräsidentin unter einer schwarz-gelben, dann unter einer rot-grünen und jetzt wieder unter einer schwarz-gelben Landesregierung. Was ist eigentlich der Unterschied?

Marianne Thomann-Stahl: Es gibt fast keinen. Wir haben als Mittelbehörde die Aufgabe, die Vorgaben der Landesregierung umzusetzen. Da jede Regierung mit Mehrheit gewählt ist, haben wir keine Probleme damit, das zu tun.

Sie sind profilierte Liberale. Folgt denn daraus nicht, dass Sie mit einer schwarz-gelben Regierung viel besser klar kommen als mit einer rot-grünen?

Thomann-Stahl: Ach, wissen Sie, ich war vor meinem Amt in Detmold parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion im Landtag und habe dabei auch mit SPD und Grünen gut zusammengearbeitet. Und so war es auch 2010 beim Übergang von Schwarz-Gelb zu Rot-Grün. Der Umgang mit vielen Problemen unserer Region, wie etwa dem Lehrermangel oder dem Bau der Autobahnen, ging nahtlos weiter. Natürlich gab es Diskussionen in den Bereichen Umwelt- und Naturschutz. Es ist ja bekannt, dass Detmold bei der Landesplanung oft gegen den Stachel lökte. Aber solche Differenzen hat man als Regionalvertreterin mit jeder Landesregierung, egal ob rot-grün oder schwarz-gelb.

Wo sehen Sie denn Probleme mit der jetzigen Landesregierung? So kurz vor Ihrer Pensionierung können Sie ja offen reden...

Thomann-Stahl (lacht): Die Region wird sich in Zukunft heftig anstrengen müssen. Denn wegen des Kohleausstiegs wird der Fokus zunächst einmal stark auf dem Braunkohlerevier ganz im Westen liegen. Das ist auch in Ordnung. Dennoch müssen wir unsere Stimme erheben um sicherzustellen, dass wir nicht aus dem Blickfeld geraten.

Aber Sie werden doch 2010, spätestens 2012, als Rot-Grün im Landtag wieder eine klare Mehrheit hatte, damit gerechnet haben, dass Ihre Amtszeit hier in Detmold zu Ende geht...

Thomann-Stahl: Ja, natürlich. Ich war sehr überrascht, als die neue Ministerpräsidentin, Hannelore Kraft, mich anrief und mir mitteilte, sie habe nicht vor, etwas an unserer Zusammenarbeit zu ändern. Darüber habe ich mich sehr gefreut.

Wertschätzung oder Kalkül, die Tür zur FDP nicht gänzlich zuzuschlagen?

Thomann-Stahl: Da war sicher auch politisches Kalkül dabei. Das gehört in diesem Geschäft immer dazu. Aber ich habe mich trotzdem gefreut.

Seit Ihrem Amtsantritt 2005 sind 14 Jahre vergangenen. Was hat sich in OWL seitdem zum Vorteil entwickelt?

Thomann-Stahl: Es hat sich deutlich mehr Zusammenarbeit in der Region entwickelt, Zusammenarbeit der Kommunen, der Universitäten, der Unternehmen. Mit den Jahren ist dann auch das Vertrauen untereinander gewachsen. Auf dem globalisierten Markt können Regionen nur bestehen, wenn die lokalen Einheiten zusammenstehen.

Die Rivalität zwischen Bielefeld und Paderborn – ist sie gut oder schlecht für OWL?

Thomann-Stahl: Konkurrenz belebt das Geschäft. Für die Region ist es gut, wenn beide sich weiterentwickeln, der eine manchmal schneller als der andere.

Teilen Sie die Einschätzung, dass Paderborn sich in Ihrer Amtszeit deutlich besser entwickelt hat als Bielefeld?

Thomann-Stahl: Ich würde eher sagen, die Städte haben sich anders entwickelt. Die Kommunalpolitik in Bielefeld legt andere Schwerpunkte als die in Paderborn. Aber es stimmt, dass der Abstand zwischen Bielefeld und Paderborn kleiner geworden ist.

Wo sehen Sie Defizite in OWL?

Thomann-Stahl: Wir haben ein Problem mit unseren Randgebieten, beispielsweise in Ost-Lippe, in Teilen des Kreises Höxter oder im äußersten Nordosten. Dort leben zu wenige junge Leute. Die Entwicklung dort hängt sicher auch mit der mangelnden Infrastruktur zusammen. Da versuchen wir mit der Digitalisierung, also mit schnellem Internet, gegenzusteuern. Auch bei der Mobilität müssen wir uns neue Systeme einfallen lassen. Außerdem fehlt es in manchen Städten, darunter in Bielefeld, an Flächen, sowohl für neue Wohnungen als auch für Gewerbe.

Und kulturell? Sind Sie zufrieden mit der bisherigen Ausstrahlung des Weltkulturerbes Corvey im Kreis Höxter?

Thomann-Stahl: Da könnte mehr passieren. Das ist eine Frage der Zusammenarbeit zwischen Eigentümer und Region. Die ist sicher verbesserungsfähig. Aber inzwischen gibt es Gespräche, und das ist gut so.

Bei den Autobahnen ist man nun, was die A 33 und Bad Oeynhausen anbelangt, da wo man hinwollte. Muss Infrastrukturpolitik in OWL jetzt ihren Schwerpunkt auf die Bahn legen?

Thomann-Stahl: Die B 64 in Richtung Höxter und der Engpass der B 239 in Herford drücken uns weiter. Zur Bahn: Ja, es wäre wünschenswert, wenn die Region an die Hochgeschwindigkeitsstrecke vom Ruhrgebiet in Richtung Berlin angebunden würde. Bielefeld als Hauptzentrum eines so starken Wirtschaftsraumes sollte unbedingt als Haltepunkt vorgesehen sein. Eines der wichtigsten Verkehrsprojekte der nächsten Jahrzehnte ist deshalb sicher die Ertüchtigung der Bahnstrecke vom Ruhrgebiet in Richtung Hannover. Natürlich dürfen wir die kleineren Bahnprojekte, wie beispielsweise im Kreis Gütersloh oder in Lippe, nicht vergessen. Aber hier gilt: Es muss ein ausreichendes Publikum vorhanden sein.

Mit welchen Herausforderungen wird es Ihre Nachfolgerin, Judith Pirscher, als erstes zu tun bekommen?

Thomann-Stahl: Der neue Regionalplan mit seiner Flächenausweisung, der bis 2035 gelten soll, harrt der Fertigstellung. Die Fortentwicklung der Bezirksregierung zu einem digitalisierten Dienstleistungszentrum, die wir begonnen haben, muss auch weitergehen. Ich weiß, dass Frau Pirscher das uneingeschränkt genauso sieht.

Seit 46 Jahren sind Sie Mitglied der FDP. Wie schätzen Sie die momentane Lage Ihrer Partei ein?

Thomann-Stahl: Im Bund ist es nicht einfach, unter mehreren Oppositionsparteien zur Geltung zu kommen – vor allen Dingen, wenn andere scheinbar einfache Lösungen haben. Hier in Nordrhein-Westfalen läuft es wirklich gut für uns. Hier kann man endlich einmal mit Freude wahrnehmen, welches Standing die FDP hat und wie Problemlösungen sachorientiert vorangetrieben werden.

War es ein Fehler von Ihrem Parteivorsitzenden 2017 nicht in die Regierung, sondern in die Opposition zu gehen und jetzt nur sehr schwer neben den Schreihälsen von der AfD zur Geltung zu kommen?

Thomann-Stahl: Zum damaligen Zeitpunkt war es die richtige Entscheidung. Christian Lindner befürchtete zurecht, erneut unter die Räder zu kommen, nachdem die Partei sich gerade wieder gefangen hatte.

Am 1. Dezember beginnt nun Ihr Ruhestand. Freuen Sie sich darauf und fürchten Sie sich davor?

Thomann-Stahl (lacht): Ich war noch nie furchtsam. Nein, ich freue mich darauf, dass ich endlich ein bisschen Zeit habe.

Verraten Sie uns Ihre Pläne?

Thomann-Stahl: Wenn ich Pläne machen müsste, müsste ich mir ja wieder Termine machen. Und da habe ich jetzt echt keine Lust zu. Aber ich würde gerne mit meinem Mann in der nächsten Zeit die großen Naturparks in Nordamerika sehen. Außerdem habe ich noch ein paar Ämter, die mit meiner jetzigen Funktion verbunden sind. Und hierfür müssen erst einmal Nachfolger bestimmt werden.

Was ist denn Ihr Lieblingsnebenamt?

Thomann-Stahl: Eines meiner Lieblingsämter ist sicher der Bezirksvorsitz beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, ein Verband, der viel in der internationalen Friedensarbeit mit jungen Leuten bewegt. Ein weiteres Lieblingsnebenamt ist der Kuratoriumsvorsitz der Philharmonischen Gesellschaft OWL, und mein allerliebstes Lieblingsnebenamt ist der Vorsitz im Kuratorium der Detmolder Hochschule für Musik.

Das Gespräch führte Lothar Schmalen

Nur Walter Stich war länger im Amt Marianne Thomann- Stahl (65) stammt aus dem Schwabenland. Bevor sie am 22. Juli 2005 Regierungspräsidentin in Detmold wurde, war sie 15 Jahre lang für die FDP Mitglied des Landtages, zuletzt war sie parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion. Sie hat zwei erwachsene Kinder und lebt heute mit ihrem Mann in Minden.

Wenn man auf die Liste der Detmolder Regierungspräsidenten schaut, sieht man, dass nur Walter Stich (CDU, 1979 bis 1995) länger im Amt war. Vier Monate kürzer als sie war Ernst Graumann (parteilos, 1964 bis 1978) Chef in Detmold. Zwölf Jahre im Amt war Gustav Galle (CDU, 1952 bis 1964). Heute gilt Thomann-Stahl als dienstälteste Regierungspräsidentin in Deutschland.

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