"Das war unfassbar": Bielefelder verlässt Privatfeier aus Corona-Angst

Bielefeld. Eigentlich hatte sich Thomas R. (Alle Namen geändert) auf die Party gefreut, um seinem Bekannten persönlich zum Geburtstag zu gratulieren. Der Bielefelder war Ende August auf einer Überraschungsparty eingeladen. Er verließ sie vorzeitig und frustriert. "Es hat sich wirklich niemand an die Corona-Vorgaben gehalten." Nicht zuletzt nach dem Corona-Ausbruch auf einer Familienfeier in Bielefeld mit mittlerweile 45 Infizierten stellen sich viele Bürger die Frage: Darf ich jetzt noch Freunde auf eine Fete einladen oder selber an einer Feier teilnehmen? Sollte ich nicht lieber zuhause bleiben? Und ab wann wird es brenzlig?

Der Bielefelder Thomas R. ist bei dieser Frage schon einen Schritt weiter. Um seinem Bekannten einen tollen Tag zu bescheren, war er mit rund 30 weiteren Gästen in "einem nicht gerade großen" Wohnzimmer eingepfercht, um die Überraschung zu wahren. "Bussi links, Bussi rechts, keiner mit Maske", beschreibt der Bielefelder die Situation vor Ort. "Unfassbar". Er habe sich schließlich unter einem Vorwand verabschiedet.

Unsicher zeigt sich derweil eine 25-jährige Bielefelderin, die am Wochenende auf eine Einweihungsparty eingeladen ist. "Es sind wohl 85 Gäste eingeladen. Der Anhänger mit Alkohol ist schon voll." Die junge Frau glaube kaum, dass sie "da jetzt noch hingehen" könne, sagt sie in Anlehnung an den Corona-Ausbruch in Bielefeld, der längst bundesweit Schlagzeilen macht. "Aber ich weiß es nicht." Abstand könne sie auf der Feier eh nicht wirklich halten. "Das war in den vergangenen Wochen aber ehrlich gesagt auf den wenigsten Feiern möglich."

Wo feiern die Jugendlichen, wenn die Disco zu ist? Viele Bielefelder bringen derzeit ihr Unverständnis und ihren Frust zum Ausdruck, weil 30 Menschen einen Geburtstag gefeiert haben - und 1.000 deshalb zwei Wochen lang ihr Haus nicht verlassen dürfen. Dabei dürfte es zahlreiche ähnliche Feiern in der Stadt im privaten Kreis geben. Wo feiern die Jugendlichen, wenn die Diskotheken dicht sind? Wenn Festivals und Konzerte abgesagt wurden? Wenn der 18. oder der 40. Geburtstag ansteht? Oder wenn eine wichtige Prüfung bestanden wurde? In der kalten Jahreszeit bietet sich dann schnell ein Zusammenkommen in den eigenen vier Wänden an.

Und genau das ist aktuell erlaubt - noch. Konkrete Regeln für Privatfeiern gibt es nicht. Es gilt der Grundrechtsschutz der Privatsphäre. Der Bund hat am Dienstag beschlossen, die Teilnehmerzahl bei privaten Feiern auf 25 zu begrenzen, wenn es in der Kommune auf 100.000 Einwohner pro Woche 35 Neuinfektionen gibt. In Bielefeld liegt dieser Wert aktuell bei 22,5.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann lehnt ein Verschärfen der Obergrenzen für private Feiern aber ab: Jede Zahl sei am Ende willkürlich, sagt er gegenüber der Rheinischen Post. Laumann ist der Auffassung, dass der Staat nichts bei Feiern in einer Wohnung oder einer Garage zu suchen habe - wenn irgendwie möglich.

Auch die Familienfeier in Bielefeld wird - Stand jetzt - keine rechtlichen Konsequenzen haben. Schließlich habe sie nicht im öffentlichen Raum stattgefunden. Auch einen Veranstalter habe es somit nicht gegeben.

"Sind Feiern aktuell wirklich nötig?" Doch reicht es aus, wenn Bund und Länder weiter an den "gesunden Menschenverstand" appellieren, so wie es der Bielefelder Krisenstab seit einem halben Jahr tut? Leiter Ingo Nürnberger gibt zu bedenken, dass die Infektionen nach der viel zitierten Familienfeier "ja auch zu schweren Krankheitsverlaufen" führen könnten. Es mache Sinn, zwischen einem "43. und einem 80. Geburtstag zu unterscheiden", so Nürnberger. "Sind Feiern aktuell wirklich nötig?" Er appelliert, weiterhin auf die allgemeinen Hygieneregeln zu achten: Abstand halten, Hände waschen, lüften, Hust- und Niesregeln befolgen.

Der 30-jährige Marc D. wird in zwei Wochen heiraten - und verliert langsam die Lust daran, wenn er die Infektions-Entwicklung im Land verfolgt. Erste Gäste sagen kurzfristig ab - "wegen Corona". Auch der Veranstalter brachte ein gesondertes Hygienekonzept ins Spiel: Maskenpflicht während der Feier und viel Abstand. So hat sich Marc D. seine Hochzeitsfeier nicht vorgestellt: "Dann können wir sie eigentlich auch gleich sein lassen."

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